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Eine dunkle Verschwörung gegen Luther

Deutschland im Jahre 1537. Von ihrem Hof vertrieben, flieht die junge Philippa von Bora zu ihrem berühmten Onkel Martin Luther in das Schwarze Kloster. Sogleich erhält sie einen ungewöhnlichen Auftrag von ihm: Sie soll an der Wittenberger Mädchenschule unterrichten.

Eine wunderbare Aufgabe, so scheint es, bis ihre Gehilfin ermordet wird und die Magistra einem Unbekannten auf die Spur kommt, der nur ein Ziel hat: die Reformation niederzuschlagen, indem er Martin Luther tötet.

Ein faszinierender, klug recherchierter Roman, der in vielen Begebenheiten auf historischen Tatsachen beruht. Vom Autor des Bestsellers »Luther«.

Guido Dieckmann

Die Magistra

Roman

Inhaltsübersicht

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Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

Nachwort des Autors

Über Guido Dieckmann

Impressum

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Prolog
St. Johannisnacht, Anno Domini 1535

Unter peitschenden Regenböen drängten sich die Menschen in den Gassen jenseits des Stadttores aneinander, als die feindlichen Landsknechte in drei Kolonnen auf den Domplatz zuhielten.

»Gott sei uns gnädig«, erklangen angsterfüllte Rufe. »Errette uns vor dem Widersacher!« Ein paar Frauen ließen sich mit gefalteten Händen vor ihren Häusern in den Schlamm sinken. Sie dachten an ein Opfer, ein letztes Opfer, das die Stadt darbringen mußte, um sie vor der Gewalt des Feindes zu schützen.

Vier oder fünf junge Burschen schoben sich an den Betenden vorbei. Sie waren mit Schwertern, Knüppeln und Hellebarden bewaffnet und stolperten hastig die rutschigen Stufen zu den Wehrtürmen hinauf. Im nächsten Moment heulten von allen Wällen der Stadt Hörner auf. Ihr Ton hörte sich schrill und furchteinflößend an, als riefe man die letzten Verteidiger zum Jüngsten Gericht. Im selben Moment hoben die ersten Kirchenglocken zum Sturmgeläut an.

Doch es war zu spät.

Die Soldaten des Fürstbischofs waren durch eine schlecht bewachte Pforte in die Stadt eingedrungen. Ihre Wut auf die Verteidiger war gewaltig. Zu lange waren die Männer vergeblich gegen die starken Wälle angerannt, die man für uneinnehmbar gehalten hatte.

Ein paar Soldaten der städtischen Freiwache bogen im Laufschritt in die Gasse ein. Ihnen folgte ein geschlossener Kastenwagen, dessen eisenbeschlagene Räder geräuschvoll über das Kopfsteinpflaster ratterten. Der Wagenlenker brüllte den Wachsoldaten Befehle zu, die eher verängstigt als entschlossen klangen. Offensichtlich war den Männern nicht einmal Zeit geblieben, ihre Rüstungen anzulegen, denn sie trugen lediglich lederne Arm- und Beinschienen, aber keine Helme, nicht einmal Schilde zur Verteidigung. Statt dessen schleppten sie Kisten auf den Schultern oder zogen Handkarren hinter sich her.

Leise murmelnd wich die Menge vor den Wachen zurück. Ihre Hoffnung, daß die Männer dem Spuk ein Ende machen und die Angreifer noch einmal zurückschlagen würden, zerrann jedoch wie das Wasser, welches unter ihren Füßen im Morast versiegte.

»Schließt euch uns an!« rief ein junger Wachsoldat, der sich ein in schmutzige Hirschfelle geschlagenes Bündel unter den Arm geklemmt hatte. Er blieb stehen. Seine rauhe Stimme überschlug sich vor Aufregung. »Die Bischöflichen töten jeden, der ihnen in die Hände fällt. Sie haben die Brücken gekappt und fast alle Tore verriegelt.«

»Wo ist unser Meister?« rief eine Frau voller Verzweiflung. »Warum zeigt er sich nicht auf den Zinnen, um uns Trost zu spenden? Wo sind seine Prediger? Ist es etwa das, was sie uns versprochen haben? Folter, Plünderung und Tod?«

Der junge Soldat schnitt der Frau mit einer wütenden Handbewegung das Wort ab. »Runter von der Gasse! Die Landsknechte können jede Sekunde euer Viertel stürmen! Wenn ihr nicht fliehen wollt, so verrammelt wenigstens Türen und Fenster!«

»Weißt du einen Fluchtweg aus der Stadt?« Aus dem Zwielicht löste sich die Silhouette eines Mannes, der mit gestrafften Schultern auf den Wachsoldaten zutrat und beinahe gebieterisch die Hand nach ihm ausstreckte. Keiner hatte den Mann kommen sehen, er war buchstäblich aus dem Nichts aufgetaucht, aber die Menschen wichen ehrfurchtsvoll vor ihm zurück. Eine junge Frau nahm ihr Kleinkind auf den Arm und verbarg dessen Köpfchen in ihrem steifen Schleier, als fürchte sie sich vor der Berührung des Mannes. Tatsächlich sah der Unbekannte wenig vertrauenerweckend aus. Sein Kopf steckte unter einem schweren Pilgerhut, dessen mit Muscheln besetzte Krempe durch die Wucht des Sturmwindes tief in die Stirn gerutscht war. Der kräftige Körper wurde von einem schmucklosen grauen Kapuzenmantel fast vollständig eingehüllt. An den Füßen trug er feste Stiefel aus Rindsleder.

Verwirrt drehte der Wachsoldat sich nach seinen Kameraden um, die den Sturmwagen eskortiert hatten, doch die Männer waren bereits weitergeeilt.

Aus den Vierteln, die das größte Tor umgaben, drangen plötzlich Schreie durch den prasselnden Regen. Schreie, die so nahe klangen, als würden sie an der nächsten Straßenecke ausgestoßen.

»Hast du etwa die Sprache verloren, Kerl?« Die Stimme des Mannes nahm einen scharfen, beinahe bedrohlichen Unterton an. Er schien daran gewöhnt zu sein, Befehle auszusprechen. Voller Ungeduld packte er den jungen Burschen am Ärmelausschnitt seines Wamses und schüttelte ihn grob.

Der Junge stieß einen halb überraschten, halb ärgerlichen Laut aus und ließ dabei das Bündel fallen, das er unter dem Arm getragen hatte. Mit einem dumpfen Geräusch schlug es auf den Stein. Ein goldener, mit funkelnden Rubinen besetzter Kelch, der einst für den Wein in der heiligen Messe bestimmt gewesen war, kam unter den schmutzigfeuchten Fellstücken zum Vorschein.

Wortlos raffte der ältere Mann seinen Umhang über die Schulter und hob den Kelch auf. »Du hast einen guten Geschmack, mein Freund. Bestimmt weißt du, was mit dir geschieht, wenn die Söldner des Fürstbischofs gestohlenes Kirchengerät bei dir finden!« Rasch verbarg er das kostbare Stück vor den Blicken der alten Männer und Frauen, die noch immer unschlüssig auf der Gasse verharrten.

»Verratet mich nicht, gnädiger Herr. Ich bin erst vor zwei Monaten zu Euch übergelaufen. Aber Ihr …« Er errötete und geriet ins Stottern. »Ihr seid doch … ich meine, Ihr habt in St. Mauritius gepredigt. Wo ist Eure junge Gemahlin? Habt Ihr sie im Getümmel verloren?«

Mißbilligend hob der Mann eine Augenbraue. Er ließ das Wams des Burschen los und klopfte ihm leicht gegen die Schulter. Dann lächelte er ihn kalt an und drängte die Umstehenden zur Seite. Der Junge war nicht dumm. Zweifellos hatte er ihn erkannt. Aber das spielte keine Rolle mehr, denn er konnte ihn unmöglich verraten, ohne sich selber ans Messer zu liefern. Auf Kirchenplünderung stand der Tod auf dem Scheiterhaufen.

Manchmal staunte der Mann darüber, wie leicht es war, Ängste zu schüren und somit Macht über die Seelen der Menschen zu gewinnen. Dabei verspürte er nicht den leisesten Hauch von Schuld. Schuldig waren allein jene Narren, die sich vom Gefühl ihrer Fehlbarkeit verzehren ließen. Sie waren es aber auch, die ihn brauchten, um ihren Wünschen, Hoffnungen und Sehnsüchten einen Namen zu geben. Sie wollten nicht nur glauben, sondern auch sehen und fühlen, was er ihnen predigte.

»Du hast an den Schanzanlagen gedient, nicht wahr?« bemerkte der Mann nun. »Gewiß kennst du den geheimen Tunnel, der durch das Torhaus aus der Stadt führt!«

»Ja, Herr, ich kenne ihn, aber ich mußte schwören, daß …«

»Bring mich hinaus.« Sein Blick wurde durchdringend. »Ich darf dem Fürstbischof nicht in die Hände fallen. Unser Meister hat mich mit einem Auftrag auf den Weg geschickt, und diesen werde ich erfüllen, koste es, was es wolle!«

»Ihr habt den Auftrag, uns Rettung zu bringen«, brachte der Soldat schüchtern vor. »Wollt Ihr denn zu unseren Brüdern nach Straßburg?«

Er erhielt keine Antwort. Mit eisernem Griff schob ihn der Ältere an der Menschenmenge vorbei. Gemeinsam eilten sie durch die engen, verwinkelten Gassen, stiegen über zerschlagene Truhen, Holzbänke und die Scherben von Bleiglasfenstern. An einem Brunnen blieben sie kurz stehen, um Atem zu holen. Der ältere Mann war erschöpft. In seinem Brustkorb klopfte es hart, aber er spürte das anregende Brennen nicht mehr, das ihn in der Vergangenheit gestärkt und ihm die Bürden seines Amtes erträglicher gemacht hatte. Gleichgültig! Solange er lebte, trug er eine Flamme in sich, die nicht verlöschen würde. Eine Flamme, die einen Brand entfachen konnte. Er mußte wohlüberlegt vorgehen, um sie zu nähren. Bis zu dem Tag, an dem er Rache an den Männern nehmen durfte, die ihn verraten hatten.

»Seid vorsichtig, gnädiger Herr!« Im nächsten Moment schob ihn der Wachsoldat unter das herausragende Vordach einer Seilerei und drückte ihn gegen die Wand. Er bemerkte, wie eine Schar Ritter auf Pferden an ihnen vorübersprengte. In ihren Harnischen spiegelte sich der Mond so kalt wie Eis. Ihre Waffenknechte trugen Pechfackeln, mit denen sie die Mauernischen nach Flüchtlingen auszuleuchten versuchten. Zwei der Bewaffneten spähten argwöhnisch in den dunklen Winkel des Vordachs. Doch sie liefen weiter.

Augenblicke später begann die blutige Jagd.

Die Männer und Frauen, die eben noch auf den Gassen miteinander gebetet hatten, plagten sich auf und stürzten in wilder Hast ihren Häusern entgegen. Ein Schwarm von Landsknechten folgte ihnen auf dem Fuße. Unter dem dröhnenden Geläut der Glocken stachen sie mit Hellebarden und Lanzen auf die Flüchtenden ein. Panik griff um sich. Soldaten des Fürstbischofs schlugen auf der Suche nach Beute die Türen der hohen Giebelhäuser ein; sie zerrten Frauen und Kinder auf die Straße. Andere wurden aus den höhergelegenen Fenstern hinunter auf den Platz gestoßen. Zur selben Zeit verteilten sich Bogenschützen auf den Zinnen der Wehranlagen. Sie hieben die Handvoll Verteidiger nieder und richteten ihre Armbrüste dann gegen die Pforten in der Mauer, an denen die schreienden Menschen rüttelten. Ein Hagel von Pfeilen zerschnitt surrend Luft und Regen.

Sie ließen keinen der Fliehenden entkommen.

Der Regen hatte nachgelassen, vereinzelte Tropfen spülten das dunkelrote Blut vom Pflaster des Platzes. Die beiden Männer konnten in ihrem Versteck kaum glauben, daß sie dem Massaker entronnen waren. Die plötzliche Stille tat ihnen in den Ohren weh. Selbst das Glockengeläut hatte aufgehört.

»Wir müssen fort, Herr!« Der Junge hatte eine nur halb heruntergebrannte Kerze auf einem der Balken des Vordachs entdeckt und streckte die Hand danach aus. Sie zitterte leicht, als er das Wachs vom Balken brach. »Wenn wir hierbleiben, erwischen sie uns doch noch!«

Der Ältere nickte abwesend und setzte sich in Bewegung. Auf dem Weg zum Tor mußte er über Dutzende von Leichen hinwegsteigen, die sich, durch Schwerthiebe niedergestreckt oder von Pfeilen durchbohrt, an beiden Seiten der Gasse türmten. Der süßliche Geruch von Blut stieg ihm zu Kopf wie schwerer Wein. Im Nu färbte sich der Saum seines wallenden Kapuzenmantels rot. Der Herr im Himmel wird dieses Opfer annehmen, überlegte er. Er wird die Gottlosen mit Feuer und Schwert von der Erde fegen! Lange konnte es nicht mehr dauern. Zuerst würde der Verräter in Wittenberg fallen, danach die römische Hure. Die Zeichen standen günstig.

In der Nähe des Fallgatters fiel der Blick des Mannes plötzlich auf den von Mauersteinen zerschmetterten Körper einer Frau, zwischen deren Fingern ein Dolch hervorlugte. Er nahm das Messer an sich und steckte es in eine Schlaufe seines Wamses. Es war eine bescheidene Waffe, die Klinge maß kaum mehr als acht Zentimeter, und doch fühlte er sich plötzlich nicht mehr ganz so wehrlos.

Vorsichtig schlugen sich die beiden Männer durch einen verwilderten Garten, der zum Besitz eines verlassenen Klosters gehörte. Vor ihnen tat sich ein unübersichtlicher schwarzer Schlund auf. Ein ekelerregender Geruch nach Fäulnis und Tod wehte ihnen daraus entgegen.

»Was zum Teufel …« Der junge Wachsoldat stieß einen Schrei aus. Grauen schüttelte ihn, als er über den Rand der Aushebung blickte.

Die Grube war nicht weniger als fünf Meter tief und nur halb mit Erde bedeckt. Unter der vom Regen aufgeschwemmten Erdschicht lagen Hunderte von leblosen menschlichen Körpern, in schmutzige Stoffstreifen gewickelt und zu einem bizarren Turm aufgeschichtet. Jünglinge, die mit ihren grauen, spitzen Gesichtern wie Greise wirkten, Frauen und Kinder, verschlungen zu einem obszönen Totentanz. Zwischen den abgewinkelten Armen, Beinen und Schädeln der Toten stachen zudem Knochen und Schädel verendeter Pferde und Ziegen hervor. Wie in grauer, heidnischer Vorzeit hatten Mensch und Tier an diesem Ort eine gemeinsame letzte Ruhestätte gefunden.

»Nimm dich zusammen, Junge!« Die Stimme des Älteren klang tonlos, bar jeden Gefühls. »Sie sind während der Belagerung gestorben und ruhen nun auf himmlischen Thronen. Hätten unsere Brüder sie nach heiligem Brauch bestatten sollen, während die verfluchten Bischöflichen mit ihren Sturmleitern unsere Mauern emporsteigen? Die Kirchhöfe sind seit Monaten überfüllt. Die Kadaver verpesten die Luft. Komm endlich weiter!«

»Nein, Herr!«

Der junge Stadtwächter biß sich trotzig auf die Unterlippe. Offensichtlich hatte er einen Entschluß gefaßt. »Weiter gehe ich nicht mit Euch. Ich verstecke mich hier im Klostergarten bis der Tag anbricht und der Blutrausch der Landsknechte abgeklungen ist. Einer meiner Vettern kämpft im Lager des Fürstbischofs. Wenn ich ihn finde, wird er mir beistehen. Wir alle haben gesündigt, als wir den Schoß der Kirche verließen, aber ohne Euch habe ich wenigstens eine Chance zu überleben.« Er deutete auf den schattenhaften Umriß der alten Abtei. Das Gebäude lag in völliger Finsternis vor ihnen. »Seht Ihr die Seitenpforte zum Klosterhof? Im Gebäude zur rechten Hand findet Ihr eine Falltür, die Euch durch einen Tunnel zu den Schanzgräben führt. Wenn Ihr wirklich im Auftrag des Herrn unterwegs seid, sind sie vielleicht unbewacht. Dann könnt Ihr durch den Wassergraben schwimmen und jenseits der Mauer über die Dornenhecken verschwinden!«

»Zweifelst du nur an mir oder auch an der Macht unseres Herrn?« Der Mann nahm seinen Hut mit der breiten Krempe vom Kopf und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Mit einer beinahe väterlichen Geste strich er dem Jungen über die Wange. Dann nickte er nachdenklich. »Wahrscheinlich tust du gut daran, dich von mir zu lösen. Ich habe einen weiten, schwierigen Weg bis nach Wittenberg vor mir.«

»Wittenberg? Die Stadt Martin Luthers?« Verständnislos zuckte der Junge die Achseln, doch er kam nicht mehr dazu, sich über das Ziel seines Gegenübers Gedanken zu machen. Fassungslos öffnete er den Mund. Die Gefahr hatte er wohl gespürt, denn er machte einen Schritt zur Seite, aber den Dolch sah er erst im letzten Moment aufblitzen, und wären das warme Blut und der scharfe Schmerz an seiner Kehle nicht gewesen, so hätte er den Stahl der Schneide mit einem der silbrig glänzenden Sterne am Nachthimmel verwechselt.

Das Gesicht des älteren Mannes zeigte nicht die geringste Regung, als er seinen Dolch neben dem leblosen Körper des Jungen in einer Wasserpfütze reinigte und danach wieder in der Schlaufe seines Wamses verbarg. Sein Weg, davon war er überzeugt, war in den Büchern des Himmels vorgezeichnet.

Und er beabsichtigte, ihn ohne Zeugen zu gehen.

1. Kapitel
Lippendorf in Sachsen, zwei Jahre später

Philippa von Bora beugte sich versonnen wie eine Schlafwandlerin über die Brüstung ihres Erkers und starrte über die Dächer des Gutshauses hinweg auf die Nebelschwaden, die wie ein Meer aus eisigen Flammen über die gefrorene Wiese unterhalb ihres Fensters rauschten.

Die Kälte des Wintermorgens hinterließ eine milchige Blässe auf dem Gesicht der schlanken jungen Frau, die lediglich mit einem knöchellangen Nachtgewand aus gefärbter Wolle bekleidet war. Philippa empfand die Kälte indes nicht als unangenehm. Vor geraumer Zeit hatte sie es sich zur Gewohnheit gemacht, früh aufzustehen, um die Morgenröte sowie die Frische des erwachenden Tages zu genießen. Nur so gelang es ihr, sich eine Weile ungestört ihren Gedanken hingeben zu können, bevor die Pflichten des Tages sie einholten.

Plötzlich zuckte Philippa zusammen. In ihrem Rücken klapperten schwere Holzschuhe über die Dielenbretter. Roswitha, dachte sie, ohne sich umzudrehen. Ich habe der Alten hundertmal gesagt, daß ich es nicht mag, wenn sie meine Kammer betritt, ohne anzuklopfen. Trotzig beugte sie sich tiefer über die Brüstung. Ihr langes Haar flatterte im Wind.

»Ihr werdet Euch noch den Tod holen«, drang die Stimme der alten Frau, die Philippa jeden Morgen beim Ankleiden half, an ihr Ohr. »Entweder Ihr stürzt in den Hof und brecht Euch den Hals, oder Ihr bekommt Fieber. Die Entscheidung liegt bei Euch!« Die rauhe Stimme der Amme klang weniger aufgebracht als vielmehr traurig und gleichmütig, als hätte Roswitha sich schon lange damit abgefunden, daß ihre Ratschläge in den Wind geschlagen wurden.

Auf einmal bereute Philippa ihr schlechtes Benehmen. Freiheit bedeutete nicht, anderen Menschen Kummer zuzufügen. Irgendwo hatte sie dieses Zitat gelesen, doch ihr fiel nicht ein, wo. Mit einem tiefen Seufzer griff sie nach ihrem Mieder und dem Rock, der, von Roswitha ordentlich gefaltet, auf einer Truhe lag, und zog sich an. Ihre Amme half ihr nicht dabei. Sie schien etwas zu suchen. Leise murmelnd stand sie in der Mitte der Kammer und maß mit prüfendem Blick die hohen Wandschränke, hinter deren Türen Philippa ihre Kostbarkeiten aufbewahrte. Verdrossen klappte sie den Deckel der Truhe auf, scheuchte Philippa zur Seite und begann zwischen Leibtüchern, Spitzen, Schleiern und anderen Dingen zu wühlen. In der Hauptsache fand sie jedoch Bücher.

»Beim Kelch des heiligen Cosmas, ich kann nicht verstehen, warum Ihr diese Unmengen von Büchern und Papierbögen ausgerechnet in Eurer Kammer aufbewahren müßt. Gut Lippendorf ist doch kein Nonnenkloster!« Mit einer hilflosen Gebärde richtete die Alte sich auf, trottete zu den Schränken hinüber und schlug den schweren Vorhang zurück, hinter dem sich die wuchtigen, doch mit allerlei kunstvollen Schnitzarbeiten versehenen Regale, Kisten und Borde ihrer Herrin verbargen. Ein erstickter Schrei entwich ihrer Kehle, und sie hob abwehrend die Hände. Der Bücherturm schwankte bereits gefährlich über ihrem Kopf, bereit, den vorwitzigen Eindringling jeden Moment unter seiner zentnerschweren Last zu begraben.

»Hättet Ihr vielleicht die Güte mir zu verraten, wofür Ihr all das verwirrende Zeug in Eurem Kasten braucht?« fragte die Alte weiter. »Oder macht es Euch Spaß, mich in diesem Gewirr aus unnützer Gelehrsamkeit nach Euren Festgewändern suchen zu lassen? Wo habt Ihr den goldenen Brokat Eurer Tante gelassen? Und das Mieder mit den aufgestickten Glockenblumen? Tretet doch endlich vom Fenster zurück!«

Roswitha stützte beide Arme in die Hüften. Trotz der winterlichen Kälte, die mit beißender Gewalt durch das Mauerwerk in die Stube ihrer Herrin drang, glitzerten dicke Schweißtropfen auf ihrer zerfurchten Stirn. Verstimmt starrte sie ihr Ziehkind an, das, inzwischen vollständig bekleidet, am Bogen des kleinen Erkers lehnte und durch die geöffneten Bleiglasfenster gedankenverloren über die Felder blickte. Die Amme atmete scharf aus und strich sich mit wachsendem Unmut über ihr Doppelkinn. Hatte das verträumte Ding ihr überhaupt zugehört? Sie konnte doch nicht vergessen haben, welche Bedeutung der heutige Tag für die Lippendorfer hatte. In wenigen Stunden sollte der hohe Gast des jungen Herrn Sebastian auf dem Hof eintreffen. Philippa mußte die Pflichten der verstorbenen Hausherrin übernehmen. Roswitha schloß die Augen und sandte ein stummes Gebet zum Himmel, als sie an die Unordnung dachte, die im Gemach ihrer jungen Herrin herrschte. In der kleinen Kammer stapelten sich Bücher, Rollen, Schreibfedern, scharfe Elfenbeinstilette zum Anspitzen sowie bauchige Krüge, die bis zum Rand mit schwarzer Galltinte gefüllt waren. Doch wo um alles in der Welt bewahrte die Tochter des Gutsherrn ihre Roben für feierliche Anlässe und die guten Schleier auf? Wo das gerollte Leinen, um die Gemächer der Gäste herzurichten? Hoffnungsvoll öffnete die alte Frau eine der drei bunt bemalten hölzernen Wandtüren gleich neben dem Alkoven. Aus dem Dunkel des Schrankes kamen immerhin ein vergilbter Kopfputz, mehrere Decken aus schwerem Brokat und zwei samtene Kleider mit Stickereien und Goldborten zum Vorschein. Jammernd klaubte Roswitha ihren zerknitterten Fund von den Holzdielen auf und machte sich daran, die nur noch schwach glänzenden Fäden und Borten zu entwirren.

Ich kann dem Mädchen seine Mutter nicht ersetzen, ging es der Amme durch den Kopf, während sie sich abmühte, eine hoffnungslos zerknitterte Seidenhaube mit der flachen Hand zu glätten. Es war töricht gewesen, es überhaupt jemals zu versuchen, und der alte Herr war sein Leben lang zu nachsichtig gewesen. Man durfte dem Kind keinen Vorwurf machen, daß es nicht so anmutig war und weniger weibliche Tugenden entwickelt hatte als die übrigen Frauen der Familie. Doch was hilft es, sie in Schutz zu nehmen? überlegte Roswitha. Sie macht es ihren Mitmenschen nicht gerade einfach. Keine Gastmahle mit den adligen Söhnen und Töchtern der Nachbargüter, keinen Besuch der Kirchweih. Niemals Jagdgesellschaften, es sei denn allein in Gesellschaft ihres Vaters. Wenn ihre Verwandten am Maifeiertag auf die Straßen und Plätze zogen, um zu tanzen und sich zu vergnügen, blieb Philippa in ihrer düsteren Kammer am Schreibtisch zurück und las. Immer nur Bücher, dachte die Amme, während sie die wenigen brauchbaren Kleider ihres Schützlings zurück in die Truhe legte. Als ob die Welt aus Papier und Druckerschwärze bestünde. Aber lag es in ihrer, Roswithas, Macht, dem Kind den Kopf zurechtzurücken? Sie war nicht mehr als eine Dienstmagd auf dem Rittergut der Herren von Bora.

»Philippa, mein Herz«, begann die Alte schließlich ihrem Zögling zu schmeicheln, »ich werde Eurem Vater nicht verraten, wie nachlässig Ihr mit der Aussteuer Eurer seligen Frau Mutter umgeht. Aber erklärt mir um Himmels willen, was Ihr nun für den Empfang der Jungfer Abekke zu tragen gedenkt. Sie ist immerhin …«

»Ja, ich weiß, sie ist Sebastians Braut, die Erbin von Medewitz und – wenn es nach ihrem Willen ginge – gewiß auch bald unser aller gnädige Gebieterin.«

Philippa von Bora trennte sich nur widerstrebend von ihrem Lieblingsplatz. Langsam ging sie zum Alkoven hinüber. Aus den tiefer gelegenen Räumen drangen Geräusche an ihr Ohr, wie sie zu einem langsam erwachenden Haus gehörten. Mägde klapperten mit Geschirr. Eine Stimme beschwerte sich darüber, daß der schwere Kupferkessel nicht gesäubert worden und die Tür zur Räucherstube über Nacht offengeblieben war. Im nächsten Augenblick wurde ein Karren über das Kopfsteinpflaster in Richtung der Ställe gezogen.

»Es gehört sich nicht, in einem derartigen Ton über seine zukünftige Schwägerin zu reden, teure Philippa«, tadelte Roswitha und schnürte mit geschickten Bewegungen das Band unter ihrem Doppelkinn straffer. Ihrer Stimme war indessen anzumerken, daß die Ermahnung ihr nur halbherzig über die Lippen gekommen war. Die Verlobung des jungen Sebastian von Bora mit der Medewitzerin war nicht nur Philippa, sondern halb Lippendorf empfindlich auf den Magen geschlagen.

Die Fehde zwischen Lippendorf und seinem westlichen Nachbarn war bereits so alt, daß nicht einmal Roswitha sich erinnern konnte, wann genau sie ihren unheilvollen Anfang genommen hatte. War der Streit zu Beginn der Auseinandersetzungen nur um einige verschobene Grenzsteine ausgetragen worden, so hatte der Leichtsinn von Philippas Großvater letzten Endes zu einer Schuldverschreibung geführt. Die Familie von Bora hatte das Fron- und Mühlenrecht über Lippendorf an das Erbgut von Medewitz verloren. Seitdem pflegten die Medewitzer Ritter und deren Landsknechte unbekümmert über Nikolaus von Boras Felder zu galoppieren. Sie zerstörten den Weizen, beleidigten die Bauern, die sich selbstverständlich nicht zur Wehr setzen durften, und schreckten nicht einmal davor zurück, Schmähungen gegen das nachbarliche Gut auszustoßen. Einige der Dienstmannen trieben es besonders schlimm, indem sie sowohl Feldarbeiter als auch reisende Händler mit ihrem Mutwillen schikanierten. Sie trieben Vieh auseinander und stellten jungen Mägden nach. Im Herbst hatte die Weidmüllerin ein Kind zur Welt gebracht, das sie nun allein, auf Almosen angewiesen, durchbringen mußte. Beschwerden verhallten ungehört.

Philippa nahm ein Buch mit einem kostbaren dunkelbraunen Ledereinband von ihrem Tisch. Zärtlich strich sie über den sorgfältig eingestanzten und mit Gold aufgefüllten Schriftzug. Auf diese Ausgabe der De Coniuratione Catilinae war sie besonders stolz. Erst vor kurzem hatte sie damit begonnen, das bekannte Werk des römischen Schriftstellers Sallust in die deutsche Sprache der höfischen Kanzlei zu übertragen.

Die junge Adelige liebte das Studium der alten Sprachen, seit sie als kleines Mädchen den Unterricht ihres älteren Bruders belauscht und dessen Magister, einen armen wandernden Studenten, so lange geplagt hatte, bis er es nicht mehr ablehnen konnte, sie mit der wunderlichen Welt des klassischen Altertums bekannt zu machen. Mit leuchtenden Augen hatte sie aufgenommen, was der Magister sie lehrte, und nach einer Weile hatte sie sogar begonnen, von Göttern und Tempeln unter blauem Himmel und heißer Sonne zu träumen. Gemeinsam mit Julius Cäsar stand sie vor dem Senat oder begleitete ihn hoch zu Roß auf seinen Kriegszügen gegen die Gallier und Briten. Fühlte sie sich krank oder einsam, so diskutierte sie im Geiste mit Cicero, und längst hatte sie sich angewöhnt, seine berühmten sechs Fragen auch auf ihre kleinen, alltäglichen Probleme anzuwenden.

quis? quid? quomodo? ubi? quando? cur?

Eines Tages merkte ihr Vater jedoch, daß nicht nur Sebastian über mathematischen Formeln und griechischen Vokabeln brütete, und entließ den wandernden Magister aus seinen Diensten. Als der Unglückliche es wagte, dem Hausherrn von Philippas Begabung und Sebastians nur mäßigem Fortschritt zu berichten, ließ Nikolaus von Bora ihn von einem seiner Knechte mit den Hunden bis hinter die Mühlen von Kaunitz jagen. Der flüchtende Vagant hatte nicht einmal Zeit gehabt, seine Bücher und Kleider zu packen, ein Umstand, der zumindest Philippa zum Nutzen gereichte, denn sie nahm alles, was der Magister hinterlassen hatte, an sich und verbarg es heimlich im Heuschober.

Nikolaus von Bora war mit seiner Tochter hart ins Gericht gegangen und hatte sie wochenlang in ihrer Kammer eingesperrt, um ihren unheilvollen Stolz zu brechen. Was sollte man auch mit einem Mädchen aus adeligem Haus anfangen, das kaum sticken und nähen konnte, sich dafür aber den Kopf mit unnützem Firlefanz vollstopfte, der es von ihren eigentlichen Aufgaben ablenkte? Genügte es nicht, wenn Sebastian als zukünftiger Herr über Lippendorf das Lesen und Rechnen erlernte, um sein Rittergut zu verwalten? Von dem endlosen Geschwätz der Humanisten über die Früchte des klassischen Altertums oder den Fabeln über die Neue Welt, die ein paar Spanier entdeckt haben wollten, wuchs der Weizen auf den Lippendorfer Feldern schließlich auch nicht schneller. Und in Zeiten drohender Hungersnöte war Weizen nichts weniger als das wahre Gold des Landes.

»Roswitha, hör endlich auf, in meinen Kleidern zu wühlen«, rief Philippa, die fand, daß ihre Amme sich lange genug in ihrer Kammer aufgehalten hatte.

»Wenn Ihr dies wünscht …« Gekränkt richtete sich die Alte auf und ließ den Deckel der schweren Eichentruhe geräuschvoll ins Schloß fallen. »Ich wasche meine Hände in Unschuld. Kann ich sonst noch etwas für Euch tun, ehe das Geleit der Herrin Abekke eintrifft?«

Philippa zögerte einen Augenblick, beschloß dann aber, sich Roswitha mit einem Auftrag vom Halse zu schaffen.

»Lauf doch bitte hinunter und erkundige dich auf dem Hof, ob der Karren des Händlers Bartholomäus bereits in Lippendorf gesehen wurde. Er soll mich unverzüglich aufsuchen. Am besten, ohne Sebastian oder meinem Vater über den Weg zu laufen.«

»Bartholomäus?« Die alte Frau spie den Namen aus wie ein Stück verdorbenes Fleisch. Ihr Kinnband hatte sich schon wieder gelöst und tanzte wie ein Lätzchen über ihren gewaltigen Busen. Der Buchhändler war nicht sonderlich beliebt im Ort, wie ihr Zögling genau wußte; Krämer, Salz- und Pelzhändler, Haubenmacher – die waren wichtig für das Gut, weil sie doch Waren feilboten, welche die Bauern, ob frei oder hörig, brauchten, um den Winter zu überstehen.

»Euer Bruder hat dem verlausten alten Gauner verboten, sich noch einmal mit seinem wurmstichigen Karren auf dem Gut sehen zu lassen«, murrte Roswitha. »Glaubt mir, mein Herz, dieser Mensch setzt Euch nur Flausen in den Kopf. Lateinische Bücher und griechische … nun, Unfug eben!« Die Alte hatte sich in Rage geredet. Erhitzt ließ sie sich auf Philippas Schemel neben der Tür sinken und schnappte nach Luft. Warum mußte sie dieses widerspenstige Kind, das nur Schwierigkeiten machte, so gern haben? Sie hätte das Gut längst verlassen können, vor Jahren schon, gleich nach dem Unglück der seligen Herrin, aber sie hatte es nicht übers Herz gebracht, weil sie geahnt hatte, daß ein Mädchen wie Philippa von Bora Ärger anzog wie ein Honigtopf den Bären. Das Kind war mit seinen langen, dünnen Armen und den hohen, slawischen Wangenknochen, dem unverkennbaren Erbe der von Boras, gewiß keine betörende Schönheit, die für den Dienst am Hof der Kurfürstin in Betracht kam. Das einzige, was die Männer an ihr reizvoll fanden, waren ihre seidig glänzenden dunklen Haare, die ihr wie ein Nonnenschleier über die Schultern fielen und die vor Temperament sprühenden schwarzen Augen der Südländer. Der alte Herr von Bora bekam zuweilen einen melancholischen Gesichtsausdruck, wenn er seiner Tochter in die Augen sah. Sie erinnerten ihn an seine tote Gemahlin. Und diese Erinnerung war süß und bitter zugleich.

»Ich habe bei Bartholomäus eine hebräische Grammatik aus Leipzig bestellt«, erklärte Philippa ungerührt und trat wieder in den Erker zum Hof. Sie öffnete eines der schmalen Spitzbogenfenster mit den kleinen, in Blei gefaßten Butzenscheiben. Über die von Frost glitzernden Felder hüpften ein paar Raben und stocherten mit ihren scharfen Schnäbeln in der gefrorenen Erde nach Würmern. Ihr ärgerliches Gekrächze durchdrang die trübe Stille der Morgendämmerung.

Der Winter hatte sich für lange Zeit eingerichtet. Zu lange für die Bauern, die wegen des anhaltenden Frostes keine Gelegenheit mehr gefunden hatten, sich um ihre eigenen Äcker zu kümmern. Seit zwei Tagen war die Verpfändung des Dorfes und der beiden Mühlen am Schafgarten rechtsgültig. Ein Ausrufer, dessen blutrotes Wams das Wappen der Medewitzer trug, war auf den Dorfplatz geritten, um in Anwesenheit von Philippas Vater und Sebastian seinen Hut auf einer Stange in die Erde zu bohren und danach die Pfandurkunde an die alte Linde zu nageln. Philippa hatte von ihrem Fenster aus beobachtet, daß der Bote nicht einmal abgestiegen war. Sein höhnisches Grinsen und die laute Stimme hatten deutlich gemacht, daß die schlechten Zeiten für Philippas Familie noch längst nicht überstanden waren. Philippa wurde unbehaglich zumute, als sie sich in Erinnerung rief, wie klein und bleich ihr Vater am Pfandtag in seinem schwarzen Lederrock und mit der schweren Silberkette ausgesehen hatte. Die Medewitzer hatten indessen keine Zeit vergeudet und ihre neuen Hörigen gleich für den nächsten Tag zum Hand- und Spanndienst auf die Burg befohlen. Das einzige Privileg, das sie den von Boras beließen, bestand in der Eintreibung der Zehnten und Gülten und in der bevorstehenden Verbindung zwischen Sebastian und Abekke von Medewitz.

»Hebräische Grammatik!« Roswitha nahm ein kleines Kissen vom Boden auf und klopfte es energisch aus. »Ihr solltet Euch wirklich schämen, Herrin! Überlaßt doch diesen Unsinn den ungläubigen Juden. Hat nicht Euer Oheim zu Wittenberg die Heilige Schrift übersetzt, daß jeder Christenmensch sie in einer christlichen Sprache lesen kann?«

Nicht jeder Christenmensch, teure Amme, dachte Philippa, während ein feines Lächeln ihre Mundwinkel umspielte. Du nicht und vermutlich nicht einmal meine zukünftige Schwägerin, die edle und wunderschöne Abekke von Medewitz.

2. Kapitel

Da sich Roswitha mit Händen und Füßen dagegen wehrte, den Auftrag ihrer jungen Herrin auszuführen, beschloß Philippa, das Gut nach der Morgenmahlzeit selbst zu verlassen, um den Buchhändler mit seinem Karren auf der Dorfstraße abzufangen. Sie mußte sich lediglich vergewissern, daß Sebastian mit seinen Tieren oder im Weinkeller beschäftigt war. Nach einem erbitterten, aber kurzen Wortgefecht ließ sich die Amme schließlich dazu überreden, Sebastian in ein Gespräch über die Speisenfolge des Festmahls zu verwickeln.

Als Philippa die breite Treppe zu den unteren Kammern und dem großen Saal hinuntereilte, mußte sie an ihren Bruder denken. Als Kinder waren die beiden Geschwister ein Herz und eine Seele gewesen, doch obwohl Sebastian ein kluger Bursche war, hatte er den gemeinsamen Stunden in der Studierstube nur wenig abgewonnen und sich davongestohlen, wann immer sich ihm eine Gelegenheit bot, die Wachstafel gegen eine Armbrust einzutauschen.

Philippa hatte Sebastians Ablehnung für alles, woran ihr Herz hing, mit Fassung getragen, denn immerhin hatte der Bruder ihr das Reiten beigebracht und sie hin und wieder an seinen tollkühnen Jagdausflügen quer durch die Sümpfe teilhaben lassen. Wenn man es recht bedachte, war ihr geschwisterliches Verhältnis erst mit dem Auftreten Abekkes und ihres unvermeidbaren Anhangs gestört worden, ein Umstand, den Philippa der Medewitzer Nachbarin niemals verziehen hatte.

Bemerkt er nicht, wie sie hinter seinem Rücken über ihn und den Vater lacht, wie sie ihn und unsere Knechte mit ihren albernen Launen traktiert? dachte Philippa, während sie den rutschigen Steg aus Holzbohlen überquerte, der das Sumpfland zwischen der verfallenen Schmiede und dem westlichen Dorfeingang miteinander verband. Wenn Abekke direkt von der Burg kommt, bleibt ihr keine andere Wahl, als sich mit ihrer Sänfte über den Steg tragen zu lassen, fiel Philippa voller Genugtuung ein. Sie konnte das spitze Gesicht ihrer zukünftigen Schwägerin, ihre gerümpfte Nase und die vorwurfsvollen Blicke aus deren wasserblauen Augen deutlich vor sich sehen und kicherte leise. Gutgelaunt lief sie um die Zehntscheune herum. Sie wußte, wo sie Bartholomäus suchen mußte. Der Buchhändler zog seinen Karren seit Jahren immer an dieselbe Stelle: unter das vorspringende Ziegeldach des Waaghäuschens, gleich hinter der alten Katharinenkapelle. Hier schlugen auch die Krämer mit Vorliebe ihre Buden auf, weil die vielen Winkel des ausladenden Gebäudes, eines der wenigen im Dorf, das nicht aus Holz oder Lehm gebaut war, vor Wind und Regen schützte.

Als Philippa in die Dorfstraße einbog, fiel ihr die ungewohnte Stille des sonst so belebten Ortes auf. Das vertraute Geräusch der Webstühle, das sonst aus den Werkstätten der Leinweber auf die Gasse hinausdrang, blieb heute ebenso aus wie das Dudeln der Sackpfeife oder das fröhliche Gelächter der Dorfkinder. Sogar der Schemel des stummen Hafners war leer geblieben, obschon er selbst im Winter bei offenen Türen in seiner Stube saß. Die Männer waren in aller Frühe zum Handdienst nach Burg Medewitz aufgebrochen und würden gewiß nicht vor Einbruch der Dunkelheit ins Dorf zurückkehren.

Ein jäher Windstoß fuhr durch Philippas Haar. Fröstelnd zog sie ihren wollenen Umhang fester über die schmalen Schultern und verfluchte ihren hastigen Aufbruch. Nicht einmal an ein paar Spangen oder eine Schnürhaube hatte sie gedacht. Schräg gegenüber leerten zwei Bäuerinnen ihre Eimer voll Unrat in den Dorfgraben aus. Als sie die Tochter ihres Grundherrn erkannten, steckten sie die Köpfe zusammen und streiften sie mit eisigen Blicken. Eine der Frauen balancierte auf einem Küchenschemel und befestigte ein Bündel getrockneter Kräuter über ihrem Türsturz. Die unerwartete Feindseligkeit traf Philippa unvorbereitet und härter als der Wind, der hartnäckig an den morschen Läden der Hütten rüttelte. Etwas Sonderbares lag in der Luft, soviel stand fest. Aber es war doch nicht Philippas Schuld, daß die Medewitzer ihr Fronrecht geltend machten! Eigentlich konnten die Lippendorfer zufrieden sein: Im Unterschied zu den von Boras blieb ihrem Ort wenigstens Abekke erspart, sie mußten auch keine höheren Sühneabgaben leisten, wie sie nach den Bauernkriegen von anno 1525 so vielen Dörfern und Weilern auferlegt worden waren. Die Frauen verschwanden grußlos in ihren Hütten und schlugen geräuschvoll die Türen hinter sich zu.

Philippa sah den Bücherkarren erst, als sie die Gasse fast hinter sich gelassen hatte. Er stand ein wenig abseits der hohen Mauer, welche die Katharinenkapelle zum Dorf hin umgab. Bartholomäus erwartete sie ungeduldig. Er war ein großer, gedrungen wirkender Mann. Sein rundliches Gesicht mit den stechenden Augen wurde von einem gewaltigen braunen Bart eingerahmt, der ihm bis auf den Brustkorb reichte. Seine Kleidung, die aus einem angegrauten Leinenkittel, einem blaukarierten Wams mit Lederstreifen und weiten Beinlingen bestand, wirkte schäbig und zu dünn für eine Reise übers Land zu dieser Jahreszeit. Nur seine mit braunem Ziegenfell gepolsterten Schaftstiefel schienen der harten Witterung zu trotzen.

Voller Unbehagen bemerkte Philippa, wie der fahrende Händler sie von Kopf bis Fuß musterte. Ein paarmal hustete er geräuschvoll und spuckte hinter sich auf den gefrorenen Dorfboden.

»Lippendorf war auch schon einmal gastlicher, Jungfer von Bora!« Der Händler begrüßte sie mit einem eiligen Kopfnicken.

»Nun, wenn Euch mein Auftrag ungelegen kam …«

»Bewahre, nein!« Bartholomäus riß die Augen auf. »Ihr wißt, wie gerne ich Euch beliefere, Jungfer. Aber damals, als Euer Vater noch der heiligen Bruderschaft vorstand, wurden Reisende nicht wie Aussätzige in einen dunklen Winkel verbannt. Das Rittergut darf unsereiner ja schon seit langem nicht mehr betreten! Euer Bruder Sebastian mag nichts vom Druckerhandwerk halten, aber er pflegt eine … nun, sagen wir eindrucksvolle Handschrift.« Vorwurfsvoll schüttelte der Buchhändler seine Hand, als wolle er einen Brotlaib in dünne Scheiben schneiden. Am Himmel zogen sich dunkle Wolken zusammen. Der Wind fuhr durch das dürre Strauchwerk, das der Dorfschlachter statt eines festen Holzzaunes um sein Grundstück gezogen hatte.

Philippa ahnte, worauf Bartholomäus hinauswollte. Verlegen blickte sie auf ihre Schuhspitzen. Die Bruderschaft der heiligen Katharina hatte in früheren Zeiten Reisende unter ihren Schutz gestellt und sie in der Schenke mit Brot, einem gehörigen Schluck Schwarzbier und einem Schlafplatz versorgt. Sie war zudem für den Schmuck des Altars in der kleinen Kapelle und die kostbare Skulptur der verehrten Heiligen verantwortlich gewesen. Nikolaus von Bora und seine Gemahlin hatten die Bruderschaft Jahr für Jahr mit großzügigen Schenkungen bedacht. Doch die Zeiten hatten sich geändert. Die mit Blumen und gewundenen Kränzen geschmückten Altäre, die Prozessionen und Heiligenfiguren waren aus Lippendorf verschwunden, als hätte ein heftiger Wirbelwind sie davongetragen. In der Kapelle wurde trotz des Verbots Herzog Georgs des Bärtigen heimlich lutherisch gepredigt, und die Aufgaben der Bruderschaft nahmen im Dorf nunmehr ein fremder Prädikant, dessen neuer Gehilfe und ein Schulmeister aus Grimma wahr.

»War es Euch möglich, in Leipzig die Grammatik zu besorgen, Meister Bartholomäus?« Philippa wies auffordernd zum Karren des Händlers hinüber. Die meisten seiner Bücher, die unter einer von Wasserflecken verunzierten Lederplane hervorschauten, sahen alt, abgegriffen und zerfleddert aus. Vielen fehlte der Einband. Aber dennoch waren es Bücher und somit für Philippa Schätze, die einst von gelehrten Männern geschrieben und von kundigen Meistern gedruckt worden waren.

Leise fluchend stakste Bartholomäus durch den Morast zu seinem Karren und schob die Plane zurück. Vom Turm der Kapelle drangen die hohen Töne einer Glocke herüber. Philippa wandte sich verwundert zu dem steinernen Portal mit dem eingelassenen Relief einer hohen, schmalen Frauengestalt um, die ihre Augen demütig geschlossen hatte. Es war zu früh für das Mittagsläuten. Und sonst erklang das Glöckchen nur, wenn im Dorf oder auf dem Rittergut jemand gestorben war.

»Hier ist Euer Buch, Herrin!« Bartholomäus hielt ihr einige in abgewetztes Leder gepreßte Seiten entgegen. »Sieht unscheinbar aus, doch was Ihr hier in Händen haltet, ist eine seltene Erstausgabe der De rudimentis hebraicis. Der gelehrte Magister Johannes Reuchlin aus Pforzheim hat die Grammatik verfaßt, nachdem er die Sprache Abrahams beim Juden Loans, dem Leibarzt seiner Majestät, Kaiser Friedrich III., gelernt hat. Gewiß ist Euch bekannt …«

Das Schlagen der Totenglocke wurde immer lauter und durchdrang auf unangenehme Weise den monotonen Redeschwall, mit dem der fahrende Händler das stark beschädigte Buch anpries. Philippa rümpfte irritiert die Nase. Der modrige Geruch, der von den vergilbten Seiten aufstieg, drehte ihr beinahe den Magen um. Trotzdem: Sie mußte diese Grammatik besitzen; schon so lange wartete sie auf diese seltene Kostbarkeit.

Fünf harte Silbergroschen. Ein stolzer Preis für ein abgegriffenes altes Buch. Philippa verzog in einem kurzen Anflug von schlechtem Gewissen das Gesicht, knüpfte dann aber ihr grünes Ledertäschchen vom Gürtel. Ihr Vater durfte niemals erfahren, daß sie für ein Buch die Hälfte ihres monatlichen Wirtschaftsgeldes ausgab. Eigentlich hätte sie den Garnhändler bezahlen müssen. Der breite Wandteppich in der Halle mußte dringend ausgebessert werden, denn er trug das Wappen der Familie von Bora, auf das ihr Vater so stolz war. Zwar besaßen die wenigsten Männer ein Auge für Stickereien, aber Roswitha hatte die Löcher und Risse bereits vor Wochen bemerkt, und Abekke von Medewitz würde ohne Zweifel keine drei Minuten dafür brauchen.

Eilig zählte Philippa fünf kleine Münzen in die offene Hand des Buchhändlers. Ein zufriedenes Lächeln legte sich auf sein bärtiges Gesicht.

»Habt Ihr vor, Euch noch länger in Lippendorf aufzuhalten, Meister?« fragte Philippa, nachdem sie das Buch des berühmten Humanisten Johannes Reuchlin sorgfältig unter den Falten ihres Umhanges verborgen hatte. Das aufdringliche Schlagen der Glocke hatte aufgehört.

Bartholomäus zog die Stricke über der Plane wieder fester. »Ihr beliebt zu scherzen, junge Herrin. Könnt Ihr Euch nicht denken, was das hohe Läuten der Glocke zu bedeuten hat? Seit ich Leipzig kurz nach der Messe verließ, hörte ich sie in bald jedem dritten sächsischen Dorf, durch das ich zog.«

Verwirrt blickte Philippa zum Turm der Kapelle hinüber. Er stand ein wenig abseits, gleich neben der von verdorrten Weinreben überwucherten Grubenmauer. Einige Raben hatten sich auf seiner Spitze niedergelassen, hackten mit ihren scharfen Schnäbeln ins Gebälk oder plusterten behäbig ihr glänzendes, schwarzes Gefieder.

»Jawohl, Jungfer von Bora. Seht sie Euch nur an, die Geschöpfe der Nacht!« Die Stimme des bärtigen Händlers war nur noch ein beschwörendes Flüstern, seine Lippen berührten beinahe Philippas Ohr. »Sie sind Boten des Schattens, Jungfer. Todesboten.«

»Wollt Ihr … damit sagen …« Ihre Stimme versagte.

Bartholomäus nickte düster. »Ganz recht. Eine feine Morgengabe, die Euch die Medewitzer entrichten. Aber es gibt keinen Zweifel: Ihr habt die Pest im Dorf!«

Sebastian von Bora bestand darauf, seine Familie mitsamt dem Gesinde im Hof zu versammeln, um der Ankunft seiner Braut und deren Begleiter beizuwohnen. In freudiger Erwartung wies er die Diener an, den Stemmbalken vom breiten Tor zu nehmen, um den Gästen nicht die Seitenpforte zuzumuten, die sonst jeder benutzte, um auf den Hof und zu dem moosgrünen Fachwerkhaus mit seinen verspielten Giebeln und Erkern zu gelangen. Mit energischen Gesten scheuchte der junge von Bora die Männer und Frauen über das mit frischem Stroh bedeckte Pflaster.

Philippa hatte sich zu ihrem Vater und dessen Leibdiener Golfried gesellt und beobachtete das aufgeregte Treiben ihres Bruders mit unverhohlenem Zorn.

»Sebastian hat kein Recht, die Mägde derartig anzuschreien, Vater«, bemerkte sie und legte sanft eine Hand auf die Schulter des schmächtigen Mannes neben ihr. Nikolaus von Bora schrak zusammen. Seit dem Pfandtag schien er häufig müde und zerfahren. Unter seinen Augen lagen dunkle Ringe, und sein ehedem gepflegter Schnurrbart wies beängstigend viele graue Stellen auf. »Warum will er, daß die Butterfässer vom Hof verschwinden. Lippendorf ist nicht die kurfürstliche Residenz, und Abekke wird in ihrem Leben schon einmal eine Magd beim Butterstampfen gesehen haben!«

»Euer Vater fühlt sich seit dem Mittagsmahl nicht wohl«, antwortete Golfried in näselndem Tonfall und musterte Philippa mit einem gequälten Blick. Er schien selbst Schmerzen zu haben. Die kreuzförmige Narbe an seiner rechten Hand, die er seit einem Unfall mit einem siedenden Ölkessel trug, leuchtete blutrot. »Und Herr Sebastian«, preßte er zwischen den Zähnen hervor, »wird schon wissen, was er tut. Schließlich ist es für Lippendorf nicht ganz unerheblich, ob die Medewitzer zufrieden sind.«

Philippa wollte protestieren, doch ihr Vater hob nur warnend den Zeigefinger und machte sie auf den Torbogen aufmerksam. Im nächsten Augenblick heulte eine blecherne Fanfare auf. Der schrille Ton jagte Philippa einen Schauer über den Rücken. Mühsam reckte sie den Hals und erkannte zwischen den Köpfen der Diener eine zierliche Sänfte an zwei langen, blitzenden Messingstangen, die von vier schwitzenden Burschen auf den Hof geschleppt wurde. Die Sänfte war aus einfachem Holz gezimmert, besaß aber etliche Schnitzereien und Verzierungen. Unterhalb des gewölbten Daches prangte das Medewitzer Wappen, ein waagerechter goldener Schild mit zwei sich berührenden Morgensternen. Das Innere der Sänfte war mit kostbaren Pelzen sowie einer Decke aus grünem Samt und Goldrändern ausgeschlagen. Eine bunt gewürfelte Schar von Landsknechten folgte den Trägern zu Pferde. Die Männer trugen Helme, Harnische und Beinschienen über den bunten Hosen und schienen bestens gerüstet, ihre Herrin im Haus der ehemaligen Erzfeinde auf Tod und Leben zu verteidigen.

Eilig lief Sebastian von Bora die wenigen Treppenstufen vom Portal des Hauses hinunter, um seine Braut willkommen zu heißen. Auf der untersten Stufe besann er sich und blieb einige Momente abwartend stehen. Als Angehöriger des Ritterstandes erschien es ihm angebracht, seine Aufregung vor der Dienerschaft nicht zu offen zur Schau zu tragen. Ein wenig störend empfand er die düsteren Blicke der drei Bewaffneten. Warum hatten sie ihre Spieße nicht am Tor abgelegt? Unsicher geworden versuchte er, seinen Vater in der Menge auszumachen. Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, sämtliche Diener aufmarschieren zu lassen. Aber nun war es zu spät. Vor Verlegenheit schoß dem jungen Mann das Blut in den Kopf, und er hörte sein Herz wild durch die Rippen schlagen.

»Willst du deiner Braut nicht wenigstens aus der Sänfte helfen, Sebastian?« hörte er plötzlich die Stimme seiner Schwester. Er drehte sich um und nickte ihr dankbar zu. Dann sprang er die letzten Stufen hinunter und lief zur Sänfte hinüber, welche die Träger mittlerweile neben dem prächtigen runden Hofbrunnen niedergesetzt hatten.