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Paula Geyer

Die Insel

(Erzählung)

   

   

   

Copyright © 2016 Der Drehbuchverlag, Wien 

Alle Rechte vorbehalten 

eBook: Die Insel (Erzählung) 

ISBN: 978-3-99042-827-6 

Was schert mich Frau, was schert mich Kind, soll`n betteln, wenn sie hungrig sind.

Heinrich Heine

Die Insel

  

Stavros Kiritakis wurde 1922 auf einer griechischen Insel geboren. Es war keine der schönen, vielbesungenen Inseln; genauer betrachtet war sie seit Jahrtausenden nichts anderes als ein spärlich bewaldetes Hindernis für die Schiffe auf ihren Wegen durch das ägäische Meer. Dem Griechischen König war die Insel gerade gut genug, um darauf ein Gefängnis zu errichten. Die Bewohner von Anti-Ofridoussa waren alle beim König in Ungnade gefallen, sie wurden auf der kargen Insel zwangsweise angesiedelt um die Wärter und die Insassen des Gefängnisses  zu versorgen.

   Im Alter von zwölf Jahren waren Stavros` Eltern nicht mehr in der Lage ihn und ihre sechs anderen Kinder zu ernähren, sie gaben Stavros und zwei seiner Geschwister einem Onkel mit auf die Reise nach Amerika. Dort, so hofften sie, hätten ihre Kinder eine bessere Zukunft.

 

Die Insel war ein Gefängnis, deshalb ankerte die Fähre nach Pyräus eine halbe Meile vor der Küste, wo sie auf die Auswanderer wartete.  Als Abschiedsgeschenk erhielt Stavros, er war das älteste der Kinder, ein kleines Bild der Insel mit auf seinen Weg in die Fremde. Es war ein einfach gemaltes, naturalistisches Ölbild von Anti-Ofridoussa vom Meer aus  gesehen. Die Insel schien darauf grüner als sie in Wirklichkeit war, auch die Felsen waren nicht so schroff wie in Natura und vom Wind, der die Insel das gesamte Jahr umwehte, war auf dem Bild gar nichts zu spüren. Ein Bootssteg aus Holz bildete das Zentrum des Bildes, das ein Häftling vor einiger Zeit malte und dann gegen einen Laib Brot eingetauscht hatte.