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Hans Weitmayr

Mr. Mom

Die Wahrheit über ein Jahr Väterkarenz

 

 

 

Copyright © 2016 Der Drehbuchverlag / edition a, Wien 

Alle Rechte vorbehalten 

eBook: Mr. Mom - Die Wahrheit über ein Jahr Väterkarenz 

ISBN: 978-3-99042-830-6 

Warnung

 

Es gibt Sätze im Leben, die man in den meisten Fällen eher ungern hört. 

   „Sie sind gefeuert“, wenn man gerade die dritte Hypothek auf das neue Einfamilienhaus aufgenommen hat.

   „Klopapier kostet 50 Cent“, wenn man die Geldbörse im Auto gelassen hat, die Taschentücher aus sind und die Klofrau der Autobahnraststätte gerade nicht zum Spaßen aufgelegt ist.

   Oder auch: „Wir bereiten eine Notlandung vor“, wenn man gerade im Flugzeug die Anden überquert.

   Werden solche Sätze ausgesprochen, gibt es in der Regel keinen Ausweg mehr. Das kann zwar eine gewisse Gelassenheit auslösen, aber die ist in so einem Moment höchstens ein schwacher Trost.

   Es gibt natürlich auch Sätze, die in ihrer Wucht eine Stufe weniger dramatisch sind.

   „Das ist meine letzte Warnung; noch eine Verfehlung und Sie sind gefeuert.“

   „Tut mir leid, das Klopapier ist alle, aber ich schenke Ihnen meine Kronen Zeitung.“

   „Ich glaube, ich bin schwanger.“

   Der Satz „Ich bin schwanger“ hingegen gehört nicht unbedingt zu dieser zweiten Gruppe.

   Zumindest nicht für mich.

   Für mich hat er seinen Platz definitiv in der Kategorie Anden-Notlandung, und ich denke dabei etwa an jene der Fairchild Hiller 227, damals im Jahr 1972, mit anschließender Schlachtung und Verzehr von Passagieren durch Mitreisende.

   Noch schlimmer macht diesen Satz, dass auf seine Äußerung in der Regel eine Reaktion erwartet wird. Und zwar eine positive. Verbal wie nonverbal.

   Am besten so: „Oh, das ist ja fantastisch, wie wunderbar!“ kreischen, vor Freude ein wenig aus dem Mundwinkel sabbern, nicht zu viel, denn das wäre ein wenig, nun ja, widerlich, auf die Geliebte zustürzen, sie umarmen, in die Luft heben, dann bestürzt einen Schritt zurücktreten, aus Angst, dem Fötus – pardon, dem Kind - wehgetan zu haben, was von der Kindsträgerin als süß empfunden wird und Bonuspunkte bringt, die man in den kommenden Tagen, Wochen, und ja: Jahren noch gut brauchen können wird.

   Diese Handlungskette kennt man aus Film und Fernsehen von Mister Perfect. Jedes Verhalten, das von diesem Rollenmuster abweicht, wird von weiblicher Seite mit Heulkrämpfen oder Schimpftiraden quittiert. Gerne auch mit beidem.

   Das gilt auch und vor allem, wenn der zukünftige Vater zwar noch das „Oh“ herausbringt, ansonsten aber nur mit einer gefährlichen Weitung der Pupillen reagiert, die von kalten Schweißausbrüchen und leichtem Sabbern begleitet wird, wobei Letzteres nicht auf romantische Gründe zurückzuführen ist, sondern auf einen drohenden Schlaganfall.

   Zu diesem Typ gehöre ich.

   Ich sage Ihnen das schon jetzt, um Ihnen die Gelegenheit zu geben, dieses Buch rechtzeitig ins Regal zurückzustellen, falls Sie noch im Buchladen sind und bewegt vom süßen Titel auf eine süße Geschichte hoffen. Auf eine Geschichte von einem Mann vielleicht, der in den ersten eineinhalb Lebensjahren seines Sohnes viel geweint hat. 

   Obwohl, zugegeben, geweint habe ich. Aber eben nicht aus den Gründen, die Sie meinen: Glück, Freude, Rührung, Erfüllung. Nein. Ersetzen Sie diese Begriffe durch: Angst, Erschöpfung, Verzweiflung und Wut. 

   Wenn Sie sich also nach heiteren, nachdenklichen, rührenden Zeilen zum Thema Vaterschaft sehnen, in denen die Protagonisten aus den richtigen Gründen an den richtigen Stellen still winseln, dann sind Sie hier falsch. 

   Und falls Sie noch im Geschäft stehen, bis hierher gelesen und das Buch immer noch nicht zurückgestellt haben, falls Sie sich gar schon auf dem Weg zur Kassa befinden, in das Buch vertieft nicht mehr links und rechts schauen und vielleicht dabei auch noch ein paar Leute anrempeln ohne sich zu entschuldigen, falls sie also dieses Buch jetzt trotzdem kaufen ... dann sagen Sie nicht, man hätte Sie nicht gewarnt.

Kapitel 1

 

Ich werde Mister Mom sein. 

Johnny Depp 

 

„Ich bin schwanger.“ 

   Dass unser Treffen nicht das belangloseste unserer noch recht kurzen gemeinsamen Geschichte sein würde, hatte ich bereits geahnt. „Ich muss mir dir reden“, hatte sie mir am Vormittag telefonisch mitgeteilt. 

   Mich nach dem Grund zu erkundigen, wäre sinnlos gewesen. Ich kannte Katharina gut genug, um zu wissen: Wenn sie nicht sofort mit der Sprache herausrückte, dann wollte sie das eben nicht, und was sie nicht wollte, geschah auch nicht. 

   Also hatte ich ihr zugesagt, sie am Abend in „unserem Café“ zu treffen. Und da sagte sie es dann, als sie sich noch kaum gesetzt hatte, noch bevor ich die Zeitung weglegen und sie begrüßen konnte, und lange bevor der Kellner kam. 

   „Ich bin schwanger.“ 

   „Oh“, erwiderte ich, legte dabei die Zeitung sorgfältig auf den freien Stuhl neben mir, rückte den eigenen zurecht und dachte dabei nur: Denk nach, denk nach. Das war meine Form des Blackouts: Denk nach! Denk nach! Was dabei heraus kam, war nur ein weiteres „Oh“. 

   Katharina zog ihre rechte Augenbraue hoch und meinte: „Danke, ich freue mich auch wahnsinnig.“ 

   In diesem Moment wurde mein Blackout von einer Art Panikattacke abgelöst. Und so platzte ich mit einer der Top-Five-Bemerkungen heraus, die man in dieser Situation auf keinen Fall von sich geben sollte: „Bist du sicher ...?“ 

   „... dass ich schwanger bin oder dass es von dir ist?“ Katharinas Augenbraue ging jetzt nahtlos in ihren Haaransatz über. „Nach welcher der beiden Arschloch-Bemerkungen stand dir der Sinn?“ 

   Ich schluckte trocken. „Das verstehst du falsch. Ich weiß natürlich, dass du einen Schwangerschaftstest korrekt anwenden kannst ...“ 

   „Danke.“ 

   „... es ist nur: Das kommt jetzt ein wenig überraschend.“ 

   „Was du nicht sagst.“ 

   Sie wollte mir einfach nicht helfen. Nicht jetzt und offensichtlich auch nicht für die weitere Dauer des Gesprächs. 

   „Ja dann, also ...“, stammelte ich.

   „Was darf’s denn sein?“ Der Kellner erlöste mich für einen Moment aus meiner Verlegenheit. Ich hätte ihn küssen können. Dankbar nahm ich die Karte zur Hand. 

   „Mal sehen, was haben Sie denn für einen Weißen?“ 

   „Veltliner, Riesling, Welschriesling, Gelber Muskateller, weißer Bordeaux“, zählte der Kellner sofort beflissen auf. Die Chance auf ein langwieriges Studieren der Karte zwecks Gewinnung von Zeit war somit vergeben. 

   Immerhin verbrachten wir die Wartezeit auf unsere Getränke in einem stillschweigend vereinbarten Zustand der Waffenruhe. Wir unterhielten uns über das Wetter, das zuletzt wieder enorm unbeständig gewesen war, den dichten Verkehr beim Herfahren und das immer schlechter werdende Fernsehprogramm. Erst nach dem ersten Schluck kehrten wir zum Thema zurück. 

   „Also, wie weit bist du?“ 

   „Dritter Monat.“ 

   Ich verschluckte mich so fürchterlich, dass ich mir die Nase putzen musste. Als ich mich wieder halbwegs gefasst hatte, setzte ich mit wahrscheinlich geröteten Augen nach: „Und seit wann weißt du es?“ 

   „Seit heute Morgen. Was glaubst du denn? Dass ich dir so etwas wochenlang verschweige?“ 

   „Nein, aber bleibt bei einer Schwangerschaft nicht die Regel aus?“ 

   „Und?“ 

   Der Tonfall hätte mich eigentlich warnen sollen. Aber ich hatte im Hinblick auf Einfühlungsvermögen nicht meinen besten Tag. Sich auf ein Gespräch über die weibliche Periode einzulassen – dümmer ging es wohl kaum! 

   Ich sagte: „Also ich dachte, wenn man schwanger ist, bleibt die Regel aus ...“

   „Das sagtest du schon. Und?“

   Diesmal erkannte ich zwar den Ernst der Lage, zum Zurückrudern war es jedoch bereits zu spät. Tapfer fuhr ich deshalb fort: „Also demnach müsstest du doch viel länger ...“

   „Erklärst du mir gerade, wie mein Frauenkörper funktioniert, den ich seit 34 Jahren mit mir herumschleppe?“

   Sie hatte für die Frage dieses Lächeln aufgesetzt, das ich so fürchtete - ein ganz leises, stilles, lauerndes. Mit ruhiger Hand führte sie ihr Weinglas zum Mund. 

   „Nein, natürlich nicht.“ 

   „Aber?“

   „Es ist nur: Was willst du jetzt machen?“ 

   „Was ich machen will? Ich?“ 

   „Ja.“ 

   „Wenn die Frage lautet, ob ich das Kind behalten werde, ist die Antwort: Ja. Wenn die Frage lautet, was ich als nächstes vorhabe: Aufstehen, dir den Wein ins Gesicht schütten, dich vor allen Leuten Vollidiot nennen und dann das Lokal verlassen.“ ...

   Als ich so dasaß, mein Hemd mit einer Serviette trocken zu rubbeln versuchte und das Starren der anderen Gäste möglichst ignorierte, war in meinem Kopf nur eine riesengroße Frage: Warum? 

 

***

 

„Du Vollidiot.“

   Karin, Ex und inzwischen Vertraute in Frauenfragen, schüttelte wahrscheinlich fassungslos den Kopf. Da wir telefonierten, blieb es meiner Vorstellungskraft überlassen, ob sie sich dabei auch an die Stirn fasste. „Wie kann man nur so dumm sein?“ 

   Das Ausbleiben meiner Antwort ließ sie das Offensichtliche, das nur einem Vollidioten wie mir entgehen hatte können, ausbuchstabieren: „Du hättest WIR sagen müssen, du Vollidiot. Was machen WIR jetzt!“ 

   Und dann, um keinen Deut sanfter: „Egal, ob du es meinst oder nicht.“ 

 

***

 

„So eine Verrückte“, schimpfte Robert, Ex-Sitznachbar im Gymnasium und inzwischen Vertrauter in allen Lebensfragen, Frauenfragen eingeschlossen; Letzteres aber nur dann, wenn ich mich im Vergleich zu ihm als Frauenversteher fühlen wollte. „Typisch Weiber. Wir, ich, du ... ist doch scheißegal. Am besten du zahlst deine Alimente und siehst zu, dass du Land gewinnst.“ Kurze Pause, dann: „Wir sollten uns ansaufen.“ 

 

***

 

„Es tut mir leid, dass ich so ein Vollidiot war.“ 

   Katharinas Anrufbeantworter wartete geduldig darauf, dass ich fortfuhr: „Können wir uns bitte treffen?“ Ich hielt kurz inne, suchte nach den richtigen Worten. „Und kannst du wieder das alte Türschloss einsetzen? Bitte?“

Kapitel 2

 

Wer soll das bezahlen, wer hat das bestellt? 

Walter Stein 

 

„Wir sollten heiraten.“ 

   Katharina hatte bloß den Schlüssel stecken lassen, um mich im Glauben zu lassen, dass mir der Zutritt zu unserer gemeinsamen Wohnung von nun an für immer verwehrt bleiben würde. Doch schon nach nur einer Nacht erreichte mich ihr Rückruf im Hotel. 

   „Wir sollten heiraten.“ 

   Wieder so ein Satz. Aber diesmal war ich vorbereitet. 

   „Das ist eine fantastische Idee“, sagte ich also in mein Telefon. „Weißt du schon, was für eine Hochzeit du dir wünschst, Liebling?“ 

 

***

 

Zwei Monate und eine Rechnung über knapp 12.000 Euro später war diese Frage beantwortet: etwas Großes. Immerhin hatten wir uns clevererweise ein Konto für Geldgeschenke eingerichtet. Die Hälfte der Beute durfte ich behalten. Womit ich mit einem Minus von schlappen 10.000 ausstieg. 

   Und dabei lief meine Grundstrategie noch immer darauf hinaus, Zeit zu gewinnen, bis ich wissen würde, was ich tun sollte, konnte, wollte. Mein Blackout vom Beginn hatte sich nie ganz verzogen. Schwangere Frauen lassen einem auch wenig Zeit zum Durchatmen oder gar zum Nachdenken. Wer das bestreitet, ist entweder eine Frau oder ein männlicher Gutmensch, der noch nie Nachwuchs in diese Welt gesetzt hat. 

   Jedes Klischee zu diesem Thema stimmt. Unbeschreiblicher Hass in einer, absolute Anhänglichkeit in der nächsten Sekunde. Es bleibt einem nichts anderes übrig, als unter dem fliegenden Porzellan durchzutauchen, mit versöhnungsbereit ausgestreckten Armen auf die Angebetete zuzugehen (möglichst langsam und ohne Angst zu zeigen, mit einem „Schatz, bitte entspann dich“ auf den Lippen) und sehenden Auges in die rechte Gerade der werdenden Mutter zu laufen. 

   Meist darf man sich dazu noch ein zwischen gefletschten Zähnen herausgepresstes „Sag mir nicht, wann ich mich zu entspannen habe“ anhören, bevor man zu Boden geht und versucht, verletzliche Körperteile mit beiden Armen zu schützen. 

   Und nichts davon ist übertrieben.

   Immerhin verschonte mich Katharina mit Schwangerschaftskursen. Wir gehörten beide nicht zu den Menschen, die das Baby im unförmigen Bauch über sonderangefertigte Kopfhörer mit Bach, Brahms oder Beethoven beschallen lassen wollten. 

   Und als es um das Geschlecht ging, sagte Katharina ganz pragmatisch: „Ja“. „Ja, wir wollen es wissen.“

   „Gratulation, es ist ein Junge.“ 

   Die Aussicht, mich in vier bis fünf Monaten mit einem Wesen herumschlagen zu müssen, dass außer Schreien, Scheißen und Schlafen wenig bis nichts konnte, erfüllte mich schlicht mit Ratlosigkeit.

   Wirkliche Sorgen bereitete uns allerdings beiden die Gesundheit unseres ungeborenen Sohnes. Was konnten wir für sein körperliches Wohl tun, was sollten wir unterlassen? Durften wir in ein Flugzeug steigen, Zug fahren, Wein trinken? 

   Freundliche Ratschläge unserer Bekannten halfen uns nicht weiter. Auf tröstliche Worte über das Wunder des weiblichen Körpers und dessen richtige Signale folgten Beschreibungen von Blutungen, Bett-Schwangerschaften und Fehlgeburten - oft in unverbindlichem Plauderton vorgetragen und mit dem unvermeidlichen, säuselnd hinzugefügten Anhang: „Aber bitte, macht euch bloß keine Sorgen!“

 

***

 

Aus all dem erlöste uns Katharinas Gynäkologe: „Leben Sie am besten weiter wie bisher.“ 

   Also fuhren wir eines Sonntags raus zum Nigl, einem der wenigen guten Lokale der Wachau. Nach einem wunderbaren späten Mittagessen, abgeschlossen von einem geteilten Dessert, hatten wir noch je ein Glas strahlenden Muskatellers vor uns stehen. 

   Unsere Augen waren geschlossen, unsere Gesichter nach der sanften, langsam an Kraft verlierenden Nachmittagssonne ausgerichtet. Das leise Gemurmel von den Nachbartischen hörte sich wie das ewige Wispern der winzigen Wellen an, mit denen das Mittelmeer die Sandstrände Italiens streichelt. Und aus der Ferne näherte sich Kinderlachen, das an diesem Tag nicht wie die Kakophonie einer aufgeschreckten Gänseschar klang, sondern wie das pure, wahre Leben. 

   Ich drehte mich aus der Sonne, öffnete die Augen und sah einen kleinen Jungen in kurzen Jeans und einem Superman-T-Shirt. Sein zerrupftes Haar war voller heller Sonnensträhnchen. Mit kleinen, kurzen Laufschritten, den Blick konzentriert auf den schwierigen Kiesboden gerichtet, trippelte er den Weg herunter. „Moritz“, rief ihm ein Mann nach, worauf der Junge aufgeregt krähend davonrannte.

   Moritz? 

   Katharina hatte die Hand schützend über ihre Augen gelegt und sah lächelnd zu mir herüber. 

   „Moritz.“ 

   Ich lächelte zurück.

   Sie lauschte dem Klang des Namens einen Moment nach, dann nickte sie. 

   Wir lächelten den ganzen Nachmittag weiter, bis tief in den Abend hinein, und wahrscheinlich auch noch, als wir schon im Bett lagen und friedlich schlummerten. 

 

***

 

Und trotzdem. Sobald der Zauber dieses perfekten Frühlingstages verflogen war, konnte ich mir weiterhin nicht vorstellen, wie dieser Moritz, außer vielleicht nach Feierabend und am Wochenende, in mein Leben passen sollte. 

   Wann sollte ich neue Kraft für den täglichen Überlebenskampf tanken? Schließlich war ich halbwegs erfolgreicher Senior Agent einer Consulting-Agentur, mit Option auf Junior Partner, Gewinnbeteiligung und Recht auf „Stück-vom-Kuchen“, wenn die Agentur einmal verkauft werden sollte. 

   Dazu machte mir die Arbeit Spaß: Im schicken Firmen-Cabriolet herrlich wichtig und gestresst von einem Termin zum anderen hetzen, ein iPhone als Diensthandy und das Büro hoch über den Dächern der Wiener Innenstadt - Sie müssen zugeben: Das hat schon was.

   Mit Moritz’ baldiger Ankunft drängten sich also Fragen auf wie: Passen iPhone, Cabriolet und volle Windeln auch nur irgendwie zusammen? Meine Gedanken kreisten andauernd um diese neue, durchaus bedrohliche Lebenssituation.

 

***

 

Und dann die Vorbereitungen, die man treffen muss, ist einmal ein Kind unterwegs. Zum Beispiel die zahlreichen Besuche in Einrichtungshäusern ...

   Namhafte Forscher haben erhoben, dass 62,4 Prozent aller Trennungen mit Konflikten in Einrichtungshäusern jeglicher – vorzugsweise aber doch schwedischer – Nationalität beginnen. Der einzige noch tödlichere Beziehungskiller ist ein zweiwöchiger Strandurlaub auf einer beliebigen ionischen Insel.

   Steht man als glückliches Paar jedoch in freudiger Erwartung, bleibt einem die Pilgerfahrt ins Möbelhaus nicht erspart. 

   Wussten Sie, dass die Einnahmen aus Baby- und Kinderutensilien in Österreich trotz des Geburtenrückganges ständig steigen? 

   Und wussten Sie, was für unglaubliche Summen Kinderbett, Kinderwagen, Kinderschutzvorrichtungen an Türen, Laden und Steckdosen, Babybrei, Babymilch und Babykleidung verschlingen können? Ganz zu schweigen von den Raten für den plötzlich notwendig gewordenen Zweitwagen natürlich.

   Und waren Sie schon einmal an einem Samstagnachmittag in einem Möbelhaus? Und haben dort, nachdem Sie sich schon durch drei verschiedene Abteilungen gekämpft haben, auf dem Weg zu den Kinderwagen diesen Typ Mama, komplettiert durch deren Mama getroffen, die sich beim Aufgang vor einem auf die Rolltreppe drängen, diesen Vorsprung bis zur einzigen Verkäuferin in der gesuchten Abteilung retten und sich anschließend jeden einzelnen der ausgestellten 43 Kinderwagen zerlegen, wieder zusammenbauen sowie deren Fahrverhalten in schnellen Linkskurven auf schotterigem Gelände erklären lassen, um drei Stunden und 32 Minuten später mit einem „wir überlegen es uns noch“ abzuziehen? Nein? Schade! Sonst wüssten Sie wirklich zu schätzen, was ich Ihnen jetzt erzählen werde: 

   Katharina sortierte vor unserem Möbelhaus-Besuch im Internet jene Modelle vor, die von den Abmessungen her in den Kofferraum unseres Zweitwagens passten und reduzierte die Auswahl somit auf zwei Stück. Nach einem zweiminütigen Beratungsgespräch zeigte sie auf das blaue Modell und sagte: „Den nehmen wir.“ 

   Dieser Stil meiner Frau ist übrigens einer der Gründe dafür, warum ich mich in sie verliebt habe. Deshalb habe ich auch die 12.000 Euro für unsere Hochzeit mit einem nur kaum wahrnehmbaren Wimpernzucken hingeblättert. Schließlich ahnte ich zu dieser Zeit noch nicht, was die Anschaffungen für einen nur ungefähr fünfzig Zentimeter großen Menschen kosten können.

Kapitel 3

 

Die Frau gehört ins Haus wie der Nagel in die Wand.

Martin Luther 

 

„Wie geht’s?“ 

Ich zuckte zusammen und schüttete mir die Hälfte des frisch heruntergelassenen Automatenkaffees über den Handrücken. Mein Kollege Joseph Hintermeyer hatte die kleine Büroküche betreten und wollte zum Kaffeeautomaten vorgelassen werden. 

   Joseph hatte zwei anstrengende Kinder, eine noch anstrengendere Frau und ließ es deshalb in der Agentur ruhig angehen. Irgendwo musste man sich schließlich erholen. Trotzdem gab es nie ein böses Wort gegen ihn. Was daran lag, dass er auch nie ein böses Wort über andere verlor. Außerdem bohrte er gerne in der Nase, wenn er aufgeregt war, was zwar eher unfreiwillig komisch war, unter männlichen Kollegen aber in die Kategorie „irgendwie authentisch“ fiel. 

   „Danke, gut“, erwiderte ich. „Aber der Kaffee ist scheiße.“ 

   „Das ist nichts Neues.“ 

   „Du hast zwei Kinder.“ 

   „Das ist auch nichts Neues.“ 

   „Meine Frau ist schwanger.“ 

  „Das allerdings ...“ 

   „Kann man laut sagen.“ 

   „Und?“ 

   „Und was?“ 

   „Freust du dich?“ 

   „Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht so recht ...“ 

   „Solltest du aber.“ 

   „Es wissen ...?“ 

   Joseph steckte seine Chipkarte in den dafür vorgesehenen Schlitz des Kaffeeautomaten. „Dich freuen.“ 

   Ich wusste, dass Joseph manchmal um zwei Uhr Früh mit seiner Tochter in den Park gehen und „Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne“ singen musste. Und genau solche Erzählungen waren es schließlich, die mich immer wieder daran hinderten, rückhaltlos in meinem bevorstehenden Vaterglück aufzugehen.

   Doch Joseph hatte mehr zur Unterstützung seiner These bereit. Er bombardierte mich mit zwei Gigabyte auf seinem Handy gespeichertem Kinderfotomaterial – ja, Joseph hatte sich extra zu diesem Zweck eine Speicherkartenerweiterung zugelegt. 

   Irgendwann steckte er sich dabei den rechten Zeigefinger bis zum Ellbogen ins linke Nasenloch. Ich ignorierte es zwar geflissentlich, machte mir aber eine mentale Notiz, ihm heute nicht mehr die Hand zu geben. Authentisch hin oder her. 

 

***

 

Und dann kam Katharina eines Tages mit folgenden Worten von der Arbeit nach Hause: „Ich soll befördert werden.“ 

   „Das ist ja toll. Und vor allem überraschend, oder nicht?“ 

   Ich stellte diese Frage offenbar zu einem Zeitpunkt, als Katharinas Hormondurchtränkung vom seligen Wirkstoff Endorphin dominiert wurde. Ein „Überrascht es dich etwa, dass man mich beruflich schätzt?“ blieb mir also erspart. Stattdessen meinte sie nur: „Schon, vor allem so kurz vor Mutterschutz und Karenz.“ 

   „Fantastisch, oder?“ 

   „Ja, schon.“ 

   „Aber?“ 

   Katharina schüttelte den Kopf und zog einen Heftordner aus der Tasche. 

   Ich überflog eine Vereinbarung, die sie in ihrer Kanzlei zur Partnerin machen würde, inklusive Bonus, eigenem Team und Büro, das vor meinem inneren Auge mit einer italienischen Espressomaschine und einer eigens zu deren Bedienung ausgebildeten Privatsekretärin ausgestattet war. 

   „Und warum klebst du nicht am Plafond?“ 

   „Vor diesem Angebot hätte ich meine Karenz jederzeit verlängern können, aber das ginge nun nicht mehr.“ 

   Und dann begannen wir über all die Dinge zu reden, die wir bislang umschifft hatten. Wie sollten wir das alles auf die Reihe kriegen? Kind, Familie, Ehe, Job? War das nicht zu viel? Wie stand es mit den Großeltern? Würden sie wirklich, wie versprochen, auf den Kleinen aufpassen? 

   Stunden vergingen, der Abend brach herein. Wir köpften ein Flasche Wein, machten es uns bequem, redeten weiter. Gegen Mitternacht, als der Wein einen wohligen Schleier vor meine Augen gezogen hatte, hörte ich mich sagen: „Ach was, wenn alle Stricke reißen, geh ich in Karenz und du machst Karriere.“ 

   Wir lachten beide.

Kapitel 4

 

Der Sämann ging aus, um seinen Samen zu säen. Und indem er säte, fiel etliches an den Weg und wurde zertreten, und die Vögel des Himmels fraßen es auf. 

Evangelium nach Lukas; 8,5

 

Eine der perfidesten Lügen der Menschheitsgeschichte ist, dass eine Schwangerschaft neun Monate dauert. Es sind zehn! Zehn lange Monate wächst und gedeiht der Nachwuchs im Bauch der Mutter. Die im selben Zeitraum ebenfalls wächst und gedeiht. Und angeblich aufblüht. 

   Noch so eine Lüge. 

   Und eine gefährliche. 

   Sie unterstellt, dass es Frauen während ihrer Schwangerschaft wunderbar geht. Geschwollene Füße, schmerzender Rücken - alles ein Kinderspiel verglichen mit dem emotionalen Glück, welches das Privileg mit sich bringt, ein Kind in seinem Körper tragen zu dürfen. 

   Das ist Schwachsinn. 

   Es traut sich nur niemand, das auszusprechen. 

   Der vielleicht gefährlichste Irrglaube besteht beim Thema Sex. Dieser, so steht es in diversen Frauenratgebern, sei während der Schwangerschaft unübertroffen, die Orgasmen seien endlos, explosiv und natürlich multipel. 

   Mag schon stimmen. 

   Aber was ist mit dem Mann? 

   Da wäre die Urangst, den eigenen Nachwuchs - im wahrsten Sinne des Wortes - vor den Kopf zu stoßen. Zum anderen ist neben dem noch Ungeborenen auch die Frau gewachsen. Sie ist körperlich und emotional unter Umständen nicht mehr unbedingt der Mensch, den man noch ein paar Wochen zuvor physisch begehrt hat. 

   Oder lassen Sie es mich klarer ausdrücken: Der einzige Mann, von dem ich weiß, dass er sich von einem Wal angezogen fühlte, war Captain Ahab. Und die Geschichte ist nicht besonders gut ausgegangen. Zumindest nicht für Captain Ahab und alle, die ihm gefolgt sind. 

   Es mag schon stimmen: Manche Männer fühlen sich von einer Frau im achten Monat angetörnt. Aber es gibt auch Männer, die eine sexuelle Vorliebe für 80-jährige Frauen hegen. 

   Und in beiden Fällen handelt es sich um Minderheiten. 

 

***

 

„Ich halt’s nicht mehr aus“, stöhnte Katharina eine Woche vor dem angegebenen Geburtstermin aus ihrem Sitzsack heraus. Es war das einzige Möbelstück, auf dem sie halbwegs schmerzfrei sitzen konnte. „Ich platze gleich!“ 

   Es war Abend, über den Bildschirm flimmerte gerade eine Gerichtsmedizin-Serie. Wir befanden uns erst in der 27. Minute, der entscheidende Nagelsplitter war noch nicht gefunden. Trotzdem gab ich vor, gespannt zuzusehen, denn was immer ich sagen würde - soviel hatte ich in den vergangenen neundreiviertel Monaten gelernt - würde gegen mich verwendet werden. 

   Doch mein Schweigen half nichts. 

   „Ist dir wieder einmal scheißegal, oder?“, fuhr mich Katharina an.

   „Was? Entschuldige! Was ist los?“, spielte ich den Verblüfften, den mir Katharina natürlich keine Sekunde abnahm. 

   „Ist schon gut, mach nur so weiter“, zischte sie.

Schlechtes Gewissen überkam mich. Meine Frau war schließlich schwanger, hochschwanger genau genommen, und ich wollte mich billig aus der Affäre ziehen. 

   „Tut mir leid“, entschuldigte ich mich also. „Was kann ich für dich tun? Soll ich dir Wasser bringen, den Rücken massieren?“ 

   „Ich habe gesagt, dass ich platze, was soll ich mit einer Rückenmassage?“ 

   Das stimmte natürlich. Aber was konnte ich gegen ihr Platzen unternehmen? Ich versuchte zu beschwichtigen: „Es ist ja nur noch eine Woche.“ 

   „Das ist ja noch ewig! Ich kann mich kaum noch bewegen. Und meine Verdauung? Die hat sich schon die längste Zeit verabschiedet!“ 

   Dieses Thema begleitete uns schon seit längerem: Schwangerschaft und schleppende Verdauung - keine angenehme Kombination, das konnte sogar ich als Mann mir vorstellen. 

   „Und überhaupt, das mit dem Termin ist doch Augenauswischerei. Ich kenne keine Frau, bei der das Kind pünktlich gekommen ist“, ereiferte sich Katharina weiter. 

   „Möglicherweise kommt es sogar früher“, warf ich ein.

   „Früher sicher nicht. Wenn, dann später.“ Sie rollte seitwärts aus dem Sitzsack, was zu einer halb knienden Zwischenposition führte. Ich hechtete zu ihr hinüber. Gemeinsam wuchteten wir ihren Körper hoch. 

   Da keuchte sie plötzlich atemlos: „Schlaf mit mir.“

   Ich trat einen Schritt zurück. 

   Sie ging einen auf mich zu. „Du hast schon gehört: Schlaf mit mir.“ 

   „Aber warum?“