Demonstrationen und Proteste auf der einen, Resignation und Politikverdrossenheit auf der anderen Seite. Gemeinsam ist immer mehr Bürgern das Gefühl, dass Politiker und Parteien nicht mehr halten, was man in einer Demokratie von ihnen erwartet. Gefragt sind tragfähige Alternativen. Was aber hilft wirklich, wenn wir uns über Stillstand, Korruption und Unmenschlichkeit ärgern? Wenn wir unser Zusammenleben verbessern oder unsere Umwelt schützen wollen? Klaus Werner-Lobo, der die politische Arbeit aus verschiedenen Perspektiven kennt – als Aktivist, als Autor und als Politiker –, macht Mut auf Engagement. Anhand konkreter kleiner und großer Erfolgsstorys zeigt er, wie einzelne Menschen und Initiativen etwas zum Positiven bewegt, die Welt verbessert und sogar Geschichte geschrieben haben. Eine Anleitung zum Selberhandeln!

 

Deuticke E-Book

 

Klaus Werner-Lobo

 

Nach der Empörung

 

Was tun, wenn wählen nicht mehr reicht

 

 

Deuticke

 

ISBN 978-3-552-06324-2

Alle Rechte vorbehalten

© Deuticke im Paul Zsolnay Verlag Wien 2016

Umschlag: Lübbeke Naumann Thoben, Köln

Motive: © fotolia.com – nata777_7, © fotolia.com – pico

Satz: Eva Kaltenbrunner-Dorfinger, Wien

 

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Datenkonvertierung E-Book:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

Inhalt

Vorwort

 

Was kommt nach der Wut?

Korruption und Misswirtschaft, Ausbeutung und Umweltzerstörung, Kriege und Flüchtlingselend: Sind PolitkerInnen und Parteien unfähig, gesellschaftliche Probleme zu lösen? Und wer soll das sonst tun?

 

Was tun?

Was tun, wenn wählen nicht mehr reicht, wenn Politik und Parteien versagen und Privilegierte ihre Macht missbrauchen, um diese zu verteidigen und sich auf Kosten von Umwelt, Demokratie und Menschenrechten zu bereichern? Dagegen hilft nur Selbstermächtigung, Information, solidarisches Handeln und aktiver Widerstand. Manchmal auch der gegen bestehende Unrechtsgesetze.

 

Demokratie neu gestalten

Die demokratischen Institutionen, wie wir sie kennen, sind am Ende. Wir brauchen mehr und neue Möglichkeiten der Mitgestaltung und Teilhabe an Entscheidungsprozessen. Ein Plädoyer für die Entmachtung der Herrschenden und die Ermächtigung der Zivilgesellschaft.

 

Erfolgreiche Initiativen

Alarm-Phone

Big Brother Awards

Blockupy

Critical Mass

Ende Gelände

Hamburger Transparenzgesetz

Kotti & Co

Montgomery Bus Boycott

#NoPegida

One Billion Rising

Plant-for-the-Planet

Pride Parade

Recht auf Marmelade!

Refugee Convoy

Refugee-Proteste

SCOP-TI

Stop TTIP

The Yes Men

WELTbewusst Stadtrundgang

Wittstock contra Industriehuhn

 

Weitere Infos

Anmerkungen

Vorwort

Anna, 18, darf heuer zum ersten Mal wählen. Wen, weiß sie noch nicht. Sie weiß nicht mal, ob sie überhaupt wählen geht. Die Schülerin interessiert sich für Politik, die meisten Informationen holt sie sich aus dem Internet oder in Gesprächen mit FreundInnen. Was sie aufregt: dass Europa, der reiche Kontinent, Tausende Menschen auf der Flucht einfach im Mittelmeer ersaufen lässt. Die Hetze von Pegida & Co., aber noch mehr die Untätigkeit der Regierung. »Eigentlich ist es doch eh fast egal, wen man wählt, PolitikerInnen denken doch eh nur an sich selber«, meint Anna. Und: »Ich würde ja selber gern was unternehmen, aber ich weiß nicht, was.«

Annas Mutter Sandra, 45, hat darauf auch keine Antwort. Mit ihren drei Kindern und einem Halbtagsjob als Betreuerin von Menschen mit Behinderungen hat sie wenig Zeit, das politische Geschehen zu verfolgen. »Wenigstens mache ich im Beruf was Sinnvolles.« Einmal war sie in einem Vortrag über Konzerne, die auf Kosten von Umwelt und Menschenrechten Profite machen: »Das ist ja alles völlig krank, und unsere PolitikerInnen spielen da mit. Ich fühle mich völlig machtlos.«

Ähnlich geht es dem Soziologiestudenten Jan, 28. Er jedenfalls hat für sich beschlossen, bei »dem ganzen Konsumwahnsinn« nicht mehr mitzumachen. Er meidet bekannte Marken, ernährt sich vegetarisch (»für vegan bin ich leider zu wenig konsequent«) und spendet monatlich einen kleinen Betrag an eine Umweltorganisation (»obwohl ich selbst eigentlich nicht so viel Geld zur Verfügung habe«). Gewählt hat er bisher, mehr oder weniger widerwillig, die Grünen, »Die Linke« und einmal die SPD, »weil ein Kumpel von mir für den Gemeinderat kandidiert hat. Aber es geht sowieso nur um das geringste Übel.«

Zeynep, 24, darf gar nicht wählen. Obwohl sie in Wien aufgewachsen ist. Sie hat die »falsche« Staatsbürgerschaft. »Ich fühle mich als Mensch zweiter Klasse.« Deshalb engagiert sich das Arbeiterkind, das es mit Hartnäckigkeit an die Uni geschafft hat, neben dem Studium bei der Gewerkschaft. »Wir sind eine kleine Gruppe, die sich für MigrantInnenrechte einsetzt und ein Bewusstsein dafür schaffen will, dass es hier ein neues Proletariat gibt, für das die von der ArbeiterInnenbewegung erkämpften Rechte nicht gelten.«

Unsere Demokratie befindet sich in einer schweren Krise: Immer weniger Menschen trauen Parteien und Regierungen zu, gesellschaftliche und wirtschaftliche Herausforderungen wie Arbeits- und Perspektivlosigkeit, Armut, Unsicherheit, Umweltzerstörung und so weiter zu lösen. Im Gegenteil: Weniger als die Hälfte der Deutschen glaubt noch an die Demokratie als beste Regierungsform, über achtzig Prozent der Wahlberechtigten glauben, dass sie keinen nennenswerten Einfluss auf die Politik haben – und mit weniger als zehn Prozent bilden PolitikerInnen das Schlusslicht auf der Vertrauensskala aller Berufsgruppen.

Die Ursache dafür liegt nicht nur in Korruptionsskandalen und gebrochenen Wahlversprechen, sondern in einem Demokratiemodell, das den Herausforderungen einer globalisierten und heterogenen Gesellschaft längst nicht mehr gewachsen ist. Demokratische Entscheidungsprozesse und Institutionen werden sukzessive von ökonomischen Profitinteressen delegitimiert und ausgehebelt, der entfesselte Markt hat längst das Primat über die Politik errungen. Auch ehemals linke Parteien stoßen an ihre Grenzen oder lassen sich von der Macht und dem neoliberalen Mainstream korrumpieren.

Die Folge: Es regiert Politikverdrossenheit. Dieser Satz stimmt allerdings nur, wenn man ihn wörtlich nimmt: Wir werden zunehmend von Menschen regiert, die politikverdrossen sind, also selbst nicht mehr daran glauben, etwas ändern zu können – oder es gar nicht wollen. In der Gesellschaft hingegen steigt nicht die Politikverdrossenheit, sondern die PolitikerInnen-Verdrossenheit, also die Wut auf bestehende Systeme und die Sehnsucht nach fundamentaler Veränderung.

Was aber hilft wirklich, wenn wir uns über Ungerechtigkeit, Korruption und Stillstand ärgern? Wenn wir unsere Gesellschaft oder unsere Umwelt verbessern wollen? Reicht ein bewussteres Konsumverhalten aus? Bringen Spenden an gemeinnützige Organisationen etwas? Sollen wir überhaupt noch wählen gehen? Oder haben wir gar keine Wahl mehr, weil die Reichen und Mächtigen eh tun, was sie wollen? Und wie begegnen wir jenen, die die allgemeine Unzufriedenheit für ihre eigenen Zwecke nutzen, für rechte Hetze, Spaltung und Populismus?

Dieses Buch belässt es nicht bei der Wut aufs herrschende System. Es will Mut machen, Mut auf politisches Engagement abseits der institutionellen Parteipolitik. Es zeigt anhand konkreter kleiner und großer Erfolgsstorys, wie einzelne Menschen und Initiativen etwas zum Positiven bewegt und die Welt ein kleines bisschen verbessert – oder sogar Geschichte geschrieben haben. Wie so gut wie jeder gesellschaftliche Fortschritt in der Menschheitsgeschichte von sozialen Bewegungen erzielt wurde, die an sich und ihre Anliegen geglaubt, sich und andere informiert, sich organisiert, die Komfortzone verlassen und gemeinsam gehandelt und Zivilcourage bewiesen haben.

Die Welt und die gesellschaftlichen Verhältnisse, so desaströs ihr Zustand und ihre Entwicklung manchmal scheinen mögen, haben immer wieder in der Geschichte auch entscheidende Verbesserungen erfahren. Das ist nicht von selbst passiert. Und auch nicht, weil irgendwann »die Guten« die Wahlen gewonnen haben. Es ist passiert, weil sich mutige Menschen dazu entschieden haben, solidarisch zu handeln und mit jenen, die den Planeten und den sozialen Zusammenhalt gefährden, in Konflikt zu treten. Vielleicht werden wir diesen Konflikt niemals ganz gewinnen, aber eines ist sicher: Sobald wir aufhören, ihn auszutragen, haben wir ihn verloren. Dieses Buch zeigt, dass wir auch abseits von Wahlen die Wahl haben: Jeder und jede von uns kann sich für Solidarität – und gegen Ausbeutung und Zerstörung – entscheiden. Das soll jetzt nicht unbedingt ein Wahlversprechen sein, aber: Sich dafür zu entscheiden kann Ihr Leben verbessern.

Wien 2016

Klaus Werner-Lobo