Christian Lunzer - Peter Hiess

Der Fall Grete Beier

Wie im Groschenroman

 

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Kreittmayrstr. 26, 80335 München

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Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-95616-561-0

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Inhalt

Wie im Groschenroman

Quellen

Lust auf mehr?

Mütter, Töchter, Ehefrauen

Gift & Galle

Auf Messers Schneide

Weibliche Tugenden

Mörderische Arbeitsmarktverwaltung

Mord am Arbeitsplatz

Arbeitsplatz und Ausbildung

Die Autoren

Der Verlag

Impressum

 

Wie im Groschenroman

Der nachstehend beschriebene Mordfall wäre allein durch seine Hauptperson auch als Kriminalroman hochinteressant. Die Tötung des ungeliebten, aber von den Eltern favorisierten Bräutigams macht ihn zu einem Lehrstück über die sozialen Verhältnisse und die Sexualmoral in einer deutschen Kleinstadt zu Anfang des 20. Jahrhunderts, mindestens ebenso eindrucksvoll wie Ludwig Thomas Theaterstück »Moral« oder der Heinrich-Mann-Roman »Professor Unrat«.

Grete Beier wurde am 15. September 1885 in Brand bei Freiburg in Sachsen geboren. Ihr Vater gehörte als Bürgermeister der kleinen Stadt zu den Spitzen der Gesellschaft. Dementsprechend bekam das Mädchen die zeittypische Ausbildung: etwas Unterricht in Fremdsprachen, ein bisschen Handarbeiten, dazu noch Musik, Literatur und Theater. Für die beiden letzteren Fächer war sie begabt, was sich im Laufe ihres Lebens noch deutlicher herausstellen würde. In der Tanzstunde lernte sie im Alter von 16 Jahren ihre erste Liebe kennen, ganz nach den Gepflogenheiten der Jahrhundertwende. Weniger typisch und mit Sicherheit ganz und gar ungehörig war jedoch die Tatsache, dass sie sich dem jungen Mann auch bald hingab, wie es damals hieß.

Es sei ein ideales Verhältnis gewesen, sagte sie später, doch ihre Mutter habe eine Fortführung zu verhindern gewusst. Mit ihr hatte sie, ganz im Gegensatz zum Vater, eine Menge Probleme. Grete beklagte sich über die emotionale Kälte und den Mangel an Zuwendung und Sicherheit von mütterlicher Seite. Sie machte sie dann auch für ihre negative Entwicklung verantwortlich: »Hätte sie mir mehr Liebe und Zärtlichkeit gegeben, wäre ich sicher nicht so geworden, wie ich bin.«

Im Februar 1905 lernte Grete auf einem Faschingsball des Brander Kaufmännischen Vereins – einer der Veranstaltungen, bei denen sich damals Menschen verschiedenen Geschlechts begegnen durften – den um vier Jahre älteren Vertreter Hans Merker kennen. Er war ihre zweite große Liebe, doch wie sich später zeigen sollte, auch ihr Verhängnis. Der in jeder Beziehung flotte junge Mann imponierte ihr von Anfang an. Er sah in ihr ein hübsches Mädchen aus besserer und wohlhabender Gesellschaft und soll sie Freunden gegenüber als »Kronleuchterpartie« bezeichnet haben. Erstaunt war er über ihre fordernde und »ausgeprägte« Sinnlichkeit.