Cover

Über dieses Buch:

Sie ist schön, nackt und tot. Aufs Straßenpflaster geworfen wie Müll. Ein Fall für Kommissar Ratt, Berlins abgezocktesten Bullen. Aber dieser Mord bringt ihn an seine Grenzen: Aus beruflichem Ehrgeiz wird Besessenheit. Nachts verliert sich Ratt in der Erinnerung an das Gesicht der Toten, tags bricht er alle Regeln, um ihren Mörder zu stellen. Im Morast von Prostitution und Gewalt macht Ratt unerbittlich Jagd auf den Mörder – um sich an dem Mann zu rächen, der ihm die Frau seiner Träume genommen hat.

Ein echter Hardboiled-Krimi – spannend, dreckig, nichts für schwache Nerven.

Über den Autor:

Patrick Pankow ist das Pseudonym eines international erfolgreichen Spannungsautors, der unter diesem Namen sein Faible für »Hardboiled«-Stoffe auslebt.

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eBook-Neuausgabe Oktober 2018

Copyright © der Originalausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/tichr, Carlos Cantano

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-95824-612-6

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Patrick Pankow

Der Nuttenmörder

Thriller

dotbooks.

Kapitel 1

Sie kam pünktlich. Er ließ sie ein und fand sie überwältigend. Schlank, groß, lange Beine, ein Dekolleté, das alles versprach. Asiatischer Einschlag im schmalen Gesicht. Schwarze Haare ohne Nuttenglitzern.

»Hallo, Swetlana«, sagte er. Er hatte eine sanfte Stimme.

Sie lächelte ihn an.

»Du hast dich an der Ecke raussetzen lassen?«

»Klar.«

Er gab ihr sechshundert Euro. Sie steckte die Scheine in ihre Handtasche, ohne nachzuzählen. Sie wusste, dass sie sich auf ihn verlassen konnte.

Er führte sie gleich ins Schlafzimmer. Vor dem Bett blieb er stehen und stellte sich hinter sie. Er zog ihr die Jacke aus.

»Du bist aber schnell«, sagte sie. »Nichts zu trinken?«

»Nachher.«

Er legte seine Hände auf ihre Brüste.

»Gut so?«, fragte sie.

»Gut.«

Er knöpfte ihre Bluse auf. Dann öffnete er den BH. Er massierte ihre Brüste, dann die Nippel und spürte, wie er hart wurde. Sie stöhnte. Er grinste. Sie war eine gute Schauspielerin. Er drückte sie nach vorn, bis sich ihre Hände auf die Bettkante stützten.

Dann hob er ihren Rock und zog ihr den Slip aus. Öffnete seine Hose, zog ein Kondom über den harten Schwanz, suchte mit den Fingern die Möse und rammte in zwei Stößen sein Glied hinein. Sie war noch trocken. Schrie auf. Er nahm ihre Hüfte in die Hände und zog sein Glied heraus, um wieder hineinzustoßen.

»Du tust mir weh.«

»Halt’s Maul!«

Er hielt sie fest und stieß in sie hinein. Immer schneller. Sie ächzte, wehrte sich aber nicht. Er spürte es kribbeln. Und den Druck. Mächtig. Als würde er platzen. Versuchte es zu halten. Holte den Draht aus der Hosentasche. Und stieß schnell und hart in sie hinein.

Gleich würde er kommen. Er legte ihr den Draht um den Hals und zog die Enden über Kreuz zusammen. Sie erstarrte. Stürzte mit dem Oberkörper aufs Bett. Er lag auf ihr und führte sein Glied wieder in die Scheide. Er lockerte den Draht, sie röchelte. Es pulsierte in ihm. Er versuchte es hinauszögern, doch dann explodierte es. Gewaltig. Während sein Sperma in das Gummi schoss, zog er die Garotte zu. Ihre Hände drängten zwischen Draht und Hals, aber sie hatte keine Chance. Ihr Körper zuckte ein paar Mal. Bald lag sie schlaff.

Kapitel 2

Es pisste seit dem Morgen. Wolken schwärzten den Himmel. Eine Straßenlaterne flackerte in der Dämmerung der Stadt. Ihr Licht ließ die Nässe glänzen auf dem Pflaster, den Autos, den Bäumen. Aus dem Osten fegte ein eisiger Wind durch die Straßen. Es war drei Uhr morgens. Ich stand in der Ringbahnstraße. Sie sah aus, wie diese Dutzendstraßen aussehen. Mietshäuser, ein paar Läden. Hinter mir färbte ein blinkendes Neonherz die Fassade schmutzig rot. Auf dem Boden zu Matsch zertretene Herbstblätter. Ein Typ torkelte durch den Regen, stutzte, blieb stehen. Ein Taxi bog um die Ecke. Der Mann hinterm Steuer glotzte zu den Haustüren, dann zu mir, fuhr vorbei und hielt hundert Meter weiter. Der Taxifahrer stieg aus und starrte in meine Richtung. Eine Frau mit zerrissener Strumpfhose und einem Fetzen von Rock zog einen brabbelnden Jüngling mit rosa Schal, bis sie vor dem Absperrungsband stand. Ihr Gesicht war weiß.

So sammelte sich das Gelump der Nacht.

Vom Kurfürstendamm her erschallte Gehupe. Es klang wie eine türkische Hochzeit. Dann das Geheul einer Polizeisirene. Mit Blaulicht schoss ein Passat heran und stellte sich neben den Notarztwagen.

Ich hatte eigentlich was anderes vor. Ich war zum Vögeln verabredet. Bei wichtigen Terminen war ich pünktlich. Heute würde ich gar nicht kommen. So nicht und so nicht. Es war zum Kotzen. Doch dafür hatte ich zu wenig gegessen.

Aus dem Passat stiegen drei Leute vom Erkennungsdienst. Sie würden Scheinwerfer aufstellen, die Spuren sichern, fotografieren. Dann würden sie mir ihren Bericht und die Fotos auf den Schreibtisch legen. Und ich würde feststellen, dass wir nichts hatten außer der Leiche. Die meisten Spuren hatte der Regen weggewaschen.

Ich dachte an Isabel und an das, was ich heute mit ihr angestellt hätte. Und sie mit mir. Es war zum Heulen.

Die Frau auf dem Pflaster war nass und schön. Lange schwarze Haare, ein feines Gesicht und Titten, die der Schwerkraft gehorchten. Sie lag auf dem Rücken und spreizte ihre Beine weg von der rasierten Scham. Sie war nackt. Um ihren Hals zog sich ein Abdruck. Dunkelrot. Tief und schmal. Ihre Augen waren hervorgequollen, die Zunge hing im Mundwinkel. Ihr Gebiss hatte einen Zahnarzt reich gemacht. Der Bauchnabel war blutig. Ihr Slip lag neben dem Knie.

Die Rechtsmedizinerin hatte bis eben neben der Leiche gekniet und stellte sich zu mir. Schweigend betrachteten wir die Frau auf dem Pflaster.

»Miss Leiche, erster Platz, ganz klar«, sagte die Pönisch dann.

Ich nickte.

Sie zündete sich eine Zigarette an.

»Erwürgt«, sagte ich. »Mit einem Stahlband oder Nylon. Sieht professionell aus.«

»Richtig«, sagte sie.

»Wann?«

Sie wiegte ihren Kopf. Unter der weißen Kapuze guckten blonde Haare hervor und ein kantiges Gesicht. Ein Regentropfen wanderte ihre Wange hinunter wie eine Träne. »Zwei, drei Stunden. Genauer geht’s noch nicht.«

»Sie hat so lange hier gelegen, und keiner hat’s gemerkt.«

Sie nickte. »Das ist Berlin. Hier verreckst du vor den Augen der Leute.«

»Im Bauchnabel steckte ein Piercing«, riet ich.

»Der Mörder wollte keine Spur hinterlassen.«

»Und sie wurde nicht hier ermordet«, sagte ich.

»Weiß ich noch nicht.«

»Erstens: Ein Mörder legt sein Opfer nicht vor dem Puff ab, in dem er gefickt hat.« Mein Daumen zeigte nach hinten. Das blinkende Herz. »Zweitens: Aus dem Laden kommt die nicht. Die ist drei Klassen besser.«

»Aha«, sagte sie.

»Ich hab’s ausprobiert«, sagte ich.

Sie warf mir einen Seitenblick zu, grinste und ging zurück zur Leiche.

Die Spusis schalteten die Lampen ein. Weißes Licht. Grell. Die Tote sah jetzt aus wie eine Comic-Figur. Schwarz-weiß. Fast. Blitzlicht.

Der Leichenwagen rollte an. Der Spusichef tippte sich an die Stirn, die Ärztin nickte. Zwei Leichenträger mit Transportsarg. Sie legten die Frau hinein. Mir erschien es so, als hätte ich sie in diesem Augenblick verloren. So eine Frau trifft man selten. Wann überhaupt? Nah kommt ein Bulle ihr nur, wenn sie tot ist. Immerhin. Ich war neidisch auf die Männer, die sie gefickt hatten.

»Alles klar?«, fragte Dettmer.

»Scheißwetter.«

Ich steckte mir einen Zigarillo an und überlegte, ob ich mich besaufen sollte.

Dettmer schleppte seinen Körper zum Benz. Seine roten Haare trieften.

Mir war das Wasser in den Kragen gelaufen. Ich fror.

Eine Stimme zeterte. An der Absperrung beschimpfte eine Frau mit Regenschirm einen Uniformierten. Sie trug einen Anorak, ihre Brillengläser waren milchig. Bazillen-Meyer trabte an. Der Spusichef.

»Scheißregen«, sagte er. Müde Stimme. »Unsere Karre war kaputt. Hat gedauert …«

Ich winkte ab. »Keine Spuren?«

»Die große Waschmaschine.« Er zeigte nach oben. »Wenn’s welche gab.«

Meyer trabte zurück zu seinen Leuten. Einer fotografierte den Tatort und die Gaffer. Aber das Glück hatten wir nicht, dass der Täter zuguckte. Das wusste ich schon jetzt. So was gibt’s nur im Kino.

Es blitzte an der Absperrung. Ich erkannte den Typen mit dem Handy sofort und gab einem Uniformierten einen Wink. Der schnappte sich den Mann und zwang ihn, das Foto zu löschen. Ich hörte ihn stammeln: »Bild-Leserreporter …« Ich spuckte aus in seiner Richtung und ging zur Leiche.

»Braucht ihr …«

Meyer winkte ab. Die Pönisch nickte, ohne mich anzublicken.

Ein Sportwagen dröhnte heran, die Musik aufgedreht. Der Wagen bremste neben der Absperrung. Zwei Typen drin. Der Fahrer telefonierte, der andere schoss Fotos mit seinem Smartphone. Beide lachten. Dann röhrten sie davon.

Ich ging zum Benz. Dettmer saß auf dem Fahrersitz und stopfte sich einen Hamburger in den Mund. Keine Ahnung, wo er den herhatte. Er fraß die Dinger schon zum Frühstück. Manchmal stellte ich mir vor, wie sein Maul sich mit den Jahren immer weiter gedehnt hatte, bis es auf Hamburger-Breite gewachsen war. Er wischte sich den Mund ab, als ich eingestiegen war, und startete den Motor. Die Scheibenwischer zogen Schlieren. Ein paar Leute waren schon unterwegs, Mäntel, Regenschirme und Schals. Frühschicht. Der Rest von Berlin schlief seinen Rausch aus.

Wir waren bald in der Keithstraße. Unser Büro lag im zweiten Stock am Ende eines langen Gangs mit vielen Türen. 4. Mordkommission, LKA 1. Neben der Tür hing ein Schild. HK Ratt Leiter LKA 1-4. Besucher wurden auf die Tür daneben verwiesen. Dort saß Frau Süß. Sie war alles Mögliche, nur nicht das. Sie würde erst gegen acht Uhr auftauchen, zusammen mit Zork und Winden, den beiden Kommissaren, die aus unerfindlichen Gründen in einer Mordkommission arbeiten wollten. Und die ein übel gelauntes Schicksal in meine Abteilung verfrachtet hatte. Sie wären hinter einem Postschalter besser aufgehoben gewesen. Oder in der Trutzburg des Kreuzberger Finanzamts.

Dettmer warf die Kaffeemaschine an. Dann quetschte er seinen Leib zwischen die Lehnen seines Schreibtischstuhls. Ich setzte mich an meinen Tisch und richtete die beiden Akten-und-Post-Stapel an der linken Tischkante aus. Ich holte aus der Schreibtischschublade ein Staubtuch und wischte einmal über die Platte.

Jetzt konnte es losgehen.

Die Berliner-Pilsener-Uhr an der Wand kroch der Vier entgegen. Eine Fliege veranstaltete Flugmanöver über meinem Schreibtisch. Die Neonröhre tauchte das Büro in fahles Licht. Draußen brummte der Verkehr von der Kurfürstenstraße.

»Das war ‘ne Professionelle«, sagte ich.

Dettmer kaute an irgendetwas herum.

»Erstens: die Schminke. Zweitens: die Zeit. Drittens: der Ort. Viertens: pingelig rasierte Scham.«

»Beweist gar nichts«, sagte Dettmer mit vollem Mund.

»Mit irgendwas müssen wir anfangen. Du machst die Nuttentour im Internet. Haben wir schon ein Bild?«

Dettmer tippte auf sein Handy, das auf dem Tisch lag. Er warf einen Blick zur Kaffeemaschine. Die zischelte unverdrossen vor sich hin. Seit ein paar Wochen brauchte sie ewig. Dettmer beäugte seine Fingernägel, reinigte einen Nagel mit einer aufgebogenen Büroklammer und seufzte.

Das Telefon klingelte.

»Ja?«

Die Pönisch. »Die Todesursache ist eindeutig. Erdrosselt. Keine weiteren Verletzungen. Alles Weitere später.«

»Keine Spielchen?«

»So fest, wie der gezogen hat …«

»Hat wohl nur ihm Spaß gemacht.«

Sie legte auf.

Dettmer quälte sich in die Senkrechte und tapste zur Kaffeemaschine. Er kippte das braune Zeug in unsere Becher. Auf meinem stand Chef. Eines von diesen originellen Geschenken zum hundertsten Dienstjubiläum.

»Guck mal in der Perversendatei«, sagte ich. »Erstens: Perverse, zweitens: Puffs.«

Dettmer trank einen Schluck und begann auf seine Tastatur einzuhacken. »Spezialität Strangulation«, sagte er. Nach ein paar Minuten: »Nichts.«

»Ein Perverser hätte sie kaum fortgeschafft. Der würgt und haut ab.«

Dettmer nickte.

»Das war ein Killer. Wer läuft sonst mit einer Garotte rum?« Ich kratzte mich am Ohr.

Dettmer quälte wieder die Tasten. Ich stand auf und stellte mich hinter ihn. Haut, Haut, Haut. Stoff nur, um Nackte noch nackter zu machen. Silikontitten. Monsterweiber mit Monsterbusen und dürre Thaifrauen in Massagesalons. Studentinnen als Gelegenheitsnutten. Unverbraucht. Jung. Geil. Gang-Bang-Partys. S/M. Asia-Sex. Versprochen wurde alles. Und mehr.

Die Sucherei dauerte ewig.

»Da!«, sagte Dettmer endlich und rollte mit seinem Stuhl über meinen Fuß.

Ich schnappte nach Luft, während Dettmer mich fragend anstarrte. Ich krümmte die Zehen. Immerhin funktionierten noch die Nerven, die den Schmerz ans Hirn leiteten. Ich atmete schwer aus. Dettmer schüttelte den Kopf. Manchmal begriff er mich nicht.

Ein Blick auf den Bildschirm, einer aufs Handyfoto. »Das ist sie.«

»Swetlana«, sagte Dettmer.

»Das Übliche, nehme ich an. Aus Osteuropa hierher verschleppt oder mit Lügen gelockt. Ein Luxusleben im Westen.«

»Wirklich geile Frau«, sagte Dettmer. Sein Mund stand offen.

»Club 66, Prinzenstraße 86c.« Ich blickte auf die Uhr. Gleich würde der Rest der Belegschaft kommen.

Telefon. »Spermizidspuren«, sagte die Pönisch und legte auf. Ich wiederholte es für Dettmer.

»Der hat sie erst gefickt, dann erwürgt. Mit Gummi. Safer Sex.«

»Kann sein.« Ich stand auf und humpelte zum Kleiderhaken hinter der Tür. »Bin um zwölf wieder da.« Ich hatte Lust auf einen Wodka.

»Guten Morgen!«, flötete es. Es flötete jeden Morgen, wenn nicht die Gnade des Polizeipräsidenten leuchtete und die Sekretärin auf Malle verschwinden durfte. Krank wurde sie nie. Ich überlegte, ob ich sie zusammen mit Bazillen-Meyer in eine Zelle sperren sollte. Frau Süß streckte ihren Kopf hinein. Auf den ondulierten Haaren saß ein eckiges Etwas, das sie vermutlich als Hut bezeichnete. Bestimmt hatte der Gatte ihr das Schmuckstück zum Geburtstag geschenkt. Er war Handelsvertreter, Textilien oder so. Ich hatte ihn einmal gesehen, als er sie abholte. Ein dürres Nichts, mausgrau, geduckt. Man konnte in seinem Gesicht lesen, dass sie mit ihm den Boden wischte. Und nicht nur, weil sie doppelt so groß und drei Mal so fett war. Leider hatte das Paar ein Mädchen in die Welt gesetzt. Monika. Moni rief gern im Büro an. Wenn ich sie dran hatte, überkam mich das Bedürfnis, sie zu trösten. Ich wusste nur nicht so genau, wo ich damit hätte anfangen sollen. Aber mir reichte, was ich mitkriegte, wenn Frau Süß mit Kolleginnen tratschte, während alle anderen in Hektik verfielen, weil sich irgendwo die Leichen stapelten. Ich mühte mich, nicht an das Heim der Familie Süß zu denken. Sonst drohte ein Erstickungsanfall. Die Tochter zu Tode geliebt, dauergetätschelt, gedrückt, verwöhnt.

Kaum hatte Frau Süß ihren Kopf in ihr Büro zurückgezogen wie eine Schildkröte ihren Schädel in den Panzer, erschienen Zork und Winden. Zork war einfältig und lang. Winden war hinterlistig und lang. Ich mochte beide nicht, wenn ich auch anerkannte, dass Winden hin und wieder etwas einfiel. Merkwürdigerweise wohnten die beiden in einer WG in Neukölln, nahe der Sonnenallee. Angeblich hatte Winden mal eine Freundin gehabt, vermutlich war sie weniger geruchsempfindlich gewesen als andere.

Ich verabredete mich mit Dettmer für den Abend vor dem Club 66, ernannte Winden zum Protokollführer und zog ab.

Auf der Kurfürstenstraße atmete ich erst einmal durch und zündete mir einen Zigarillo an. Ich winkte einem Taxi und ließ mich nach Hause bringen. Teupitzer Straße, Alt-Treptow, dritter Stock in einem Mietshaus, das einer Genossenschaft gehörte. Hier wohnten Ossis. Gegenüber lagen Schrebergärten. Rübezahl hieß die Anlage. Riesen hatte ich hier noch nie gesehen. In keiner Hinsicht. Die Umwandlung der DDR-Spießer in BRD-Spießer war reibungslos geglückt, weil in dieser Sache nicht der winzigste Unterschied Kapitalismus und Sozialismus trennte.

In meiner Zweizimmerwohnung stank es nach Rauch und den Essensresten, die im Mülleimer verrotteten. Ich öffnete die Fenster in Küche und Schlafzimmer. Dann verknotete ich den Müllbeutel und stellte ihn ins Treppenhaus neben die Wohnungstür.

Kühle Luft strömte durch die Bude. Ich schloss das Fenster in der Küche und freute mich, als ich eine halb volle Flasche Russian Standard im Eisfach fand. Ein Glas erstickte den fauligen Geschmack im Mund. Ich setzte mich hinters elektronische Schlagzeug im Wohnzimmer, klemmte die Kopfhörer über die Ohren und schlug ein paar Triolen über Snare und Tomtoms. Der letzte Wirbel endete mit synchronen Schlägen auf Becken und Base Drum. Keith Moon in Won’t get fooled again. Göttliche Wirbel. Ich schnaufte einmal durch, ging ins Schlafzimmer, zog Hose und Hemd aus. Dann warf ich mich aufs Bett und schlief schlagartig ein.

Ich bohrte gerade meinen betonharten Schwanz in Swetlanas Möse, als das Scheißhandy klingelte. Sie stöhnte noch einmal und verschwand. Der Beton blieb.

»Was ist?«, schnauzte ich.

»Du wolltest um zwölf Uhr geweckt werden.« Dettmer hustete. »Außerdem will die Spusi was spendieren.«

Ich legte auf, duschte, schob die Zahnbürste durch den Mund und rief ein Taxi. Doch erst ins LKA.

Das Geschenk der Spusi war mau. Sieht man von den Bazillen ab, die Meyer hustend und niesend ihrer Bestimmung zuführte.

»Sie wurde nicht am Fundort erdrosselt«, röchelte Meyer.

»Aha.«

»Sie hatte kurz vor ihrem Tod oder danach, frag die Pönisch, Geschlechtsverkehr.

Spermizid …«

Ich winkte ab.

»Keine Fingerabdrücke, keine DNA-Spuren …«

»Gar nichts«, ergänzte ich.

»Gar nichts ist auch eine Spur«, nieste Meyer. »So eine These des berühmten Kriminalisten Ratt.«

Ich deutete einen Hieb an. Aber die Bazillenschleuder hatte recht. »Ein Profi.« Das war eine Spur. Auch wenn ihre Abdrücke kaum erkennbar waren.

Meyer nickte und rettete sich vor dem Erstickungstod mit einem Hustenanfall, der sämtliche Lärmschutzverordnungen in Bombentestanlagen verletzt hätte. Röchelnd trat er ab.

»Wem gehört der Club mit dem originellen Namen?«, fragte ich. Die Fliege landete auf meinem Telefon und kratzte sich den hässlichen Kopf. Ich war zu müde für den finalen Rettungsschlag. Stattdessen schloss ich die Augen, genoss einen Flash von Swetlanas Hinterteil und streckte meinen Rücken. Kein Wirbel saß an der richtigen Stelle.

Das Handy vibrierte. Isabel. Ich drückte sie weg. Auf ihr Gemecker hatte ich keine Lust. Am schlimmsten war, dass sie recht hatte. Sie war Zeugin eines Raubmords in Neukölln gewesen. Flughafenstraße. Ich war scharf auf sie, seit ich sie zum ersten Mal gesehen hatte. Der Täter war aus dem Haus geflohen, Beute keine fünfzig Euro. Und Isabel war gerade zur Arbeit gegangen. Fingernägel polieren in einem Kosmetiksalon. Der Typ hätte sie fast umgerannt. Sie gehörte zu den Frauen, die auf Uniformen standen, sichtbare und unsichtbare. Sie hatte eine piepsige Stimme und hätte beim Quiz nur den zweiten Platz gemacht gegen Einstein. Aber der Rest war klasse.

»Guido Hartmann«, sagte Dettmer.

»Liegt was vor gegen den?«

Dettmer bearbeitete die Tastatur. »Da war mal was wegen Menschenhandel. Weiber aus Osteuropa. Das Übliche. Wurde niedergeschlagen.«

Ich griff zum Telefonhörer und fand im internen Telefonverzeichnis die Nummer von Nutten-Schmidt.

»Hartmann, Guido«, sagte ich. »Habt ihr was über den? Club 66

»Der schöne Guido«, lachte Schmidt.

»Ja, und?«

»Nun mal ruhig mit den Ackergäulen.« Schmidts Bass sprengte die Schmalspurfrequenz der Telefonleitung. Fast hätte der Schreibtisch vibriert. »Guido ist unser Darling«, brummte er.

»Was heißt das?« Mir war Schmidts Umstandskrämerei schon immer auf den Geist gegangen. Er genoss es, andere zappeln zu sehen.

»Gesetzestreuer als der Bürgermeister.«

»Aha.«

»Der ist der … Pazifist unter den Herren im Reich der Nutten. Wenn du verstehst.«

Ich legte auf. »Arschloch.«

Dettmer kramte auf seinem Schreibtisch herum. Winden und Zork hatte ich losgeschickt, Nachbarn am Tatort zu befragen. Hoffentlich blieben sie lang weg. Durch die Tür hörte man das Geklapper von Frau Süß. Sie hätte auf jeder Tippsen-Weltmeisterschaft die Konkurrenz in Verzweiflung gestürzt.

Winden erschien. Ein leerer Blick aus eng beieinander liegenden Augen, dann setzte er sich vor meinen Schreibtisch. Beine überschlagen, auf dem Knie einen Block. Schmutzige Fingernägel, ein Ring.

»Keiner hat was gehört, keiner hat was gesehen«, sagte ich.

Er nickte. »Fast.«

Ich blickte ihn fragend an.

»Eine Nachbarin hat ein Auto wegfahren sehen. Sehr schnell. Die Reifen quietschten. So um Mitternacht.«

»Typ?«

»Weiß sie nicht. Schwarz, vielleicht ein Kombi. Groß, sagt sie.«

»Sie hat aber nicht gesehen, dass aus dem Auto was auf die Straße gepackt wurde. Eine Leiche zum Beispiel.«

»Nein.«

»Fahrer?«

Er schüttelte den Kopf.

»Na toll.«

Kapitel 3

Er genoss es, wenn Tom Jones den Abend eröffnete. Sex Bomb. Immer dieser Titel, jeden Abend. Wenn so ein alter Knacker es noch konnte. Das ermutigte seine Gäste. Die Musik spielte in der Bar. Lautsprecher verteilten sie in den Gängen und Toiletten. Überall dieselbe Musik, dieselben Farben: Rot, mit rosa Rosen. Hier drinnen wir, da draußen die schmutzige Welt. Alle waren ihm eins – die Gäste, die Mädchen, die Kellner, die Stubenmädchen, die Tänzerinnen. Er liebte seine Gäste. Noch mehr aber liebte er seine Mädchen. Frauen hielt er für wunderbare Geschöpfe. Ihre Rätselhaftigkeit machte ihn demütig. Manchmal begriff er sein Glück nicht, dass sie ihm dienstbar waren. Dass sie für ihn arbeiteten. Ihn fraglos als Chef ansahen. Als Kummerkasten. Als beste Freundin. Als Mutter. Als Beichtvater und Seelentröster. So, wie er sie liebte, liebten sie auch ihn. Er kannte alle ihre Geschichten. Wie sie irgendwo im Osten angeworben wurden mit Versprechungen und unterwegs ins Paradies schon mit Gewalt gebrochen. Wie ihnen die Pässe abgenommen wurden. Wie sie geschlagen und vergewaltigt wurden, um sie fügsam zu halten. Wie ihre Familien bedroht wurden für den Fall, dass die Verschleppten nicht spurten. Wenn sie endlich bereit waren, wurden sie durchs Berliner Nachtleben geschickt. Damit schwitzende, stinkende, betrunkene, wabblige Männer sie betatschten, sich ihre Schwänze lutschen ließen oder in sie hineinsteckten.

Das war der Preis. Der Lohn waren Geld, Schutz, gute Behandlung.

Es klopfte, und die Tür öffnete sich.

Olga erschien. Der schöne Guido bewunderte ihre Beine. Und schätzte ihre Sanftheit.

»Ist Swetlana zurück?«

Olga schüttelte den Kopf.

»Hoffentlich ist ihr nichts passiert«, sagte Hartmann. »Hat Kasimir beim Freier angerufen?«

Olga nickte. »Es hebt niemand ab.« Sie setzte sich aufs Sofa an der Wand und zündete sich eine Zigarette an.

»Dann soll Kasimir sie suchen.«

»Ist schon unterwegs.«

»Gut.«

»Dieser Lebedew hat sich gemeldet. Stand vor der Tür.«

»Hier?«

»Bei mir zu Hause.«

»Hat er was gesagt?«

Sie strich sich eine blonde Strähne nach hinten. Ihre Haut war fast weiß. Sie schüttelte den Kopf.

»Ich werde Kasimir bitten, diesen Herrn zu besuchen.«

»Danke, Guido«, sagte Olga.

»Gut, dass du Bescheid gesagt hast. Ich hab dir versprochen, dass die Luden bei mir nichts zu sagen haben. Ich halte das. Sag das auch den anderen Mädchen. Sobald so ein Arschloch auch nur schief guckt, möchte ich es wissen. Klar?«

»Cecilia hat mir erzählt, dass dieser Freier wieder aufgetaucht ist. Er sitzt unten«, sagte Olga.

Guido winkte sie zum Schreibtisch, einem antiken Monster, beladen mit Akten, Zeitungen, Papieren. Er deutete auf den LCD auf dem Schreibtisch. »Welcher?«

»Der da.« Sie zeigte auf einen kleinen Dicken, blaues Jackett, helle Hose.

»Gut«, sagte Guido. »Wenn er Cecilia wieder anquatscht, schmeiß ich ihn raus.«

»Klar«, sagte Olga. Sie blickte ihn traurig an aus grünen Augen.

»Ist sonst was?«

»Heimweh«, sagte Olga.

»Willst du dir heute Abend frei nehmen?«

Kopfschütteln.

»Am Jahresende gebe ich dir deinen Pass. Dann kannst du heim. Oder bleibst hier. Wie du willst.«

Olga lächelte bitter. »Ich weiß.«

»Ich hab dich rausgekauft, Olga. Ein Haufen Geld.«

Sie nickte und wandte sich um. Zögernd verließ sie das Büro. Als sie an der Tür stand, sagte Hartmann: »Lumpi soll mir das Abendbrot bringen. Sagst du ihm das bitte?«

»Klar, Guido. Tschüss!«

Eine halbe Stunde später humpelte Lumpi ins Büro und brachte Spaghetti mit Zucchinisoße, hundertprozentig vegan. Auf dem Tablett lagen eine Papierserviette und das Silberbesteck. Außerdem ein Glas Mineralwasser. Hartmann staunte immer wieder, dass der kleinwüchsige Lumpi es unfallfrei bis zum Schreibtisch schaffte. Aber der humpelte durchs Leben, seit ihm ein wahnsinnig gewordener Grieche ein Messer in den Oberschenkel gerammt hatte.

»Seit wann bist du bei mir?«, fragte Hartmann. Es war ein Ritual.

»Seit zweiundzwanzig Jahren, drei Monaten, sieben Wochen und sechzehn Tagen.«

»Alles in Ordnung, Lumpi?«

»Alles in Ordnung, Guido.«

Lumpi hinkte aus dem Büro und schloss leise die Tür.

Die wurde gleich wieder aufgestoßen. John wankte herein und kotzte auf den Boden.

Kapitel 4

Der Wind peitschte mir den Nieselregen ins Gesicht. Dettmer saß im Auto und kaute eine Bulette. Es roch nach Zwiebel. Ich setzte mich wieder auf den Beifahrersitz. Auf der Straßenseite gegenüber zuckte Club 66 in rotem Neon. Eine Tür, vier Fenster, die Rollläden geschlossen. Wir warteten eine Weile. Dettmer wischte sich die Pranken an einem Papiertaschentuch ab. Ich blickte auf die Uhr. »Dann wollen wir mal.«

Ich schlug den Kragen hoch. Am Nachthimmel dröhnte ein Hubschrauber. Die Tür bestand aus Eichenholz, verstärkt mit einer Stahlplatte auf der Rückseite. Wenn das Stangenschloss sie von Innen verriegelte, würde ein Brecheisen so viel ausrichten wie ein Zündholz. Ein Schrank von einem Mann stellte sich in den Weg. Schwarzer Anzug, schwarzes Hemd, schwarze Haare. Am Hals ein Tattoo: eine Schlange. Sein Gesicht lächelte angestrengt.

»Wir würden gern den Geschäftsführer sprechen«, sagte ich.

»Der hat keine Zeit«, sagte der Türsteher.

Ich schlug ihm meine Faust in den Magen und trat ihm in die Eier. »Vielleicht fragen Sie mal nach.«

Der Türsteher stöhnte, krümmte sich, ging auf die Knie. Während er sich erhob, hielt ich ihm meinen Dienstausweis vor die Nase. Er stand ein paar Sekunden starr und blickte mich an. Wut und Schmerz verzerrten sein Holzfällergesicht. Ich hatte einen neuen Freund gefunden. Keine Frage.

Hinter dem Schreibtisch aß eine Gestalt. Wabbelig, Vollmondgesicht mit Glatze, auf der sich das Licht des Lüsters spiegelte. Das Büro bestand aus Plüsch, an der Wand Porträts in Goldrahmen. Eines zeigte Freddy Mercury. Die anderen Gestalten kannte ich nicht. Sie sahen genauso schwul aus. Auf der Tischecke stand ein Computerbildschirm, davor lag eine Tastatur. Die Spaghettisoße roch gar nicht schlecht. Hartmann schob den Teller zur Seite, der Türsteher setzte sich auf eines der beiden Wandsofas, hielt sich die Eier und schnaufte.

»Sie sind Herr Hartmann?«, fragte ich.

»Wer will das wissen?«

»Ihr Freund und Helfer.« Ich warf den Dienstausweis auf seinen Schreibtisch.

Er schob ihn mit dem Fingernagel zur Vorderkante der Tischplatte, ohne ihn anzublicken.

»Und?«

Der Türsteher ächzte, als er aufstand.

»Lass dich verarzten, John«, sagte Hartmann.

»Sicher?«

Hartmann nickte.