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Über dieses Buch:

Im Jahre 1498 wird in Florenz ein Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Bevor er stirbt, spricht er einen Fluch aus – aber hat dieser wirklich die Macht, 500 Jahre später das Leben eines Mannes in den Abgrund zu stürzen? Diese Frage muss sich Alan Bates stellen, Dozent an der Universität von New York. Seit er bei einem Kollegen eingezogen ist, quälen ihn rätselhafte Alpträume. Haben Sie etwas mit dem alten Spiegel zu tun, den sein Gastgeber von seiner letzten Italienreise mitgebracht hat? Alan bittet einen bekannten Parapsychologen um Hilfe. Wenig später wird dieser ermordet. Und er bleibt nicht der einzige Tote …

Düster, spannend und rasant: ein Horror-Thriller zwischen Alptraum und Wirklichkeit.

Über den Autor:

Peter Dubina (1940 – 1991) begann bereits in seiner Jugend, Geschichten zu schreiben. Später veröffentlichte er sowohl unter seinem eigenen Namen als auch unter zahlreichen Pseudonymen wie R.F. Garner und John Kirby über 100 Romane aus den Genres Horror, Western, Krimi und Science Fiction. Bei dotbooks erscheinen alle fünf von Peter Dubina verfassten Horror-Thriller: Der Dämonenjäger von Rom, Die Satansklaue, Der schwarze Spiegel, Der Fluch der Borgias und Aus dem Reich der Toten.

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Neuausgabe Januar 2014

Copyright © der Originalausgabe 1981 BASTEI-VERLAG, Gustav H. Lübbe GmbH.

Copyright © der Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Motivs von Slava Gerj (Rahmen) und Dewayne Flowers (Maske)/shutterstück.com.

ISBN 978-3-95520-482-2

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Peter Dubina

Der schwarze Spiegel

Horror-Thriller

dotbooks.

Kapitel 1

Es begann mit einer Reihe unheimlicher nächtlicher Klopfgeräusche, die so laut durch das Haus tönten, daß Allan Bates davon erwachte. Es klang, als ob ein Toter Zeichen im Morsealphabet hämmerte – zornig, hart, drängend, drohend. Hätte Allan Bates die teuflische Bedeutung dieser Klopfzeichen erkannt, dann hätte er dem Spuk vielleicht Einhalt gebieten können, bevor sich dessen satanische Gewalt jedem menschlichen Zugriff zu entziehen begann. Er hatte die nötigen Voraussetzungen dafür, denn er war Dozent für Psychologie an der Adam-Kadmon-Universität in New York, und das Auftreten des Phänomens von »Klopfgeistern« war ihm bekannt. Aber in jener Nacht maß Bates den verhängnisvollen Geräuschen noch keine Bedeutung bei.

Drei Nächte später träumte er zum erstenmal den schrecklichen Traum.

»Fra Girolamo, genannt ›Savonarola‹«, sagte eine Stimme, »du bist vom obersten päpstlichen Gericht der ›Una Sancta Sanctorum‹, der heiligen, römisch-katholischen Kirche, in einem ordentlichen Gerichtsverfahren der Ketzerei und Hexerei überführt worden. Du bist des Versuches für schuldig erkannt, die Herrschaft Satans auf Erden zu errichten. Deshalb hat das heilige Offizium entschieden, dich aus dem Orden der Dominikaner auszustoßen und dem Arm der weltlichen Gerechtigkeit auszuliefern, damit du den Tod auf dem Scheiterhaufen erleidest und die Flammen deine unsterbliche Seele von den Sünden des Fleisches – durch das du mit dem Teufel im Bunde gestanden hast – reinigen. Gegeben zu Florenz, den 23. Mai 1498. Möge sich Gott in seiner unendlichen Güte deiner armen Seele erbarmen, Fra Girolamo. Henker, walte deines Amtes!«

Als diese Worte gefallen waren, erkannte Allan Bates mit einemmal, daß er selbst es gewesen war, der sie sprach. Und er sah, daß er ein Gerichtsurteil in den Händen hielt. Die Pergamentrolle war mit den Siegeln des heiligen Offiziums – das war das oberste Gericht der Inquisition –, des päpstlichen Legaten und der ›Signoria‹, dem Rat der Stadt Florenz, versehen.

Der Mann, der gesprochen hatte – es war Allan Bates, und doch war er es auf eine traumhaft unklare Weise auch wieder nicht –, stand unweit der hölzernen Brücke, die von den Stufen des Rathauses von Florenz zum Schafott führte, das von einem Galgengerüst überragt wurde. Unter dem Galgen, zu dem eine Leiter hinaufführte, war der Scheiterhaufen errichtet. Anstelle des Querarms hatte der Galgen ein Rad, von dem schon zwei regungslose Gestalten in leinenen Büßerhemden herabbaumelten –jede eine Henkersschlinge um den Hals.

Der dritte zum Tode Verurteilte – ein Mann von unglaublicher Häßlichkeit, mit einer Nase wie der Schnabel eines Raubvogels, einem brutalen breitlippigen Mund und tückischen Augen – wurde gerade von zwei Henkersknechten, deren Gesichter unter schwarzen Kapuzen verborgen waren, die Leiter hinaufgestoßen. Er kam nur langsam voran und bewegte sich schwerfällig, denn seine Arme waren auf den Rücken gefesselt.

Als Savonarola zwei Drittel der Leiter erstiegen hatte, hielt ihn der Henker fest, der oben auf ihn gewartet hatte, legte ihm die Schlinge um den Hals und zog sie so weit zu, bis sie festsaß.

»Battino, du Richter von des Papstes Gnaden«, schleuderte Savonarola mit schriller, sich überschlagender Stimme dem Mann entgegen, der Allan Bates war – und der es gleichzeitig auch wieder nicht war, »du kannst meinen Leib den Flammen überantworten und meine Seele zur Hölle schicken. Aber Satan kannst du nicht bezwingen, denn der Böse ist stärker als du. Mit meinem letzten Atem verfluche ich dich im Namen der höllischen Dämonen, Battino. Bis ins zehnte Glied soll mein Fluch deine Familie verfolgen und deine Nachkommen eines elenden Todes sterben lassen. Ich aber werde über dich und deinen Richterspruch triumphieren. Eines Tages werde ich zurückkehren und das Reich des Bösen auf der Welt errichten. Du aber, Giuliano Battino, wirst die Sonne am heutigen Tag ebensowenig untergehen sehen wie ich. Denn bevor sie noch hinter dem Löwenturm versinkt, wirst du tot sein. Tot – tot – tot.«

Savonarolas Stimme brach ab. Der Henker war auf das Schafott hinuntergestiegen und hatte die Leiter unter dem Verurteilten weggezogen. Krachend schlug sie auf dem Blutgerüst auf – und Fra Girolamo, genannt »Savonarola«, der Mönch des Teufels, hing am Ende des Stricks. Sein Körper verfiel in gräßliche Zuckungen. Der Henker ergriff ihn an den Beinen, hängte sich mit seinem ganzen Gewicht daran und brach Fra Girolamo das Genick. Dann sprang er vom Schafott hinab, ergriff eine Fackel, die in einem eisernen Feuerbecken schwelte, ging um den Scheiterhaufen herum, der am Fuß des Galgens aufgetürmt war, und stieß die Fackel da und dort zwischen die Holzbündel. Flammenzungen stiegen funkensprühend auf, vereinten sich zu einer brausenden roten Lohe und hüllten die drei leblosen Gestalten am Galgen ein. Grauer Rauch wirbelte mit dem Wind über den Platz vor dem Rathaus, wo sich nur kleine Gruppen florentinischer Bürger eingefunden hatten, um der Hinrichtung beizuwohnen.

Denn in ganz Florenz gab es keinen Menschen, der Fra Girolamo nicht gefürchtet hatte – ihn, der angeblich gekommen war, um das »Reich Gottes« auf Erden zu errichten, und der doch in Wahrheit nur die Macht Satans über die Menschen hatte festigen wollen. Die meisten Einwohner von Florenz hatten gefürchtet, daß Savonarola sie alle im Angesicht des Todes verfluchen würde. Aber am Ende hatte er nur seinen Richter verdammt.

Allan Bates – oder besser, der Mann, der er in seinem Traum war – legte die Pergamentrolle mit dem Urteilsspruch auf den Richtertisch zurück. Er sah zu, wie die Stricke, an denen die drei Gehenkten baumelten, von den Flammen ergriffen wurden und rissen und wie die Verurteilten in die Flammen des Scheiterhaufens stürzten, die brausend, pustend und funkensprühend über ihnen zusammenschlugen.

Über seinem reich mit Gold und Silber bestickten und mit Spitzen verzierten, schwarzen, florentinischen Wams, dem Wehrgehänge mit dem Degen und den schenkelhohen Stiefeln aus weichem Leder trug Allan Bates einen weiten scharlachroten Mantel – das Zeichen des Richters.

Ein Mann in florentinischer Tracht kam um den Richtertisch herum auf ihn zu und flüsterte ihm ins Ohr: »Vielleicht wäre es besser, Ihr würdet nach Hause gehen, Battino. Nicht mehr lange, und die Sonne wird hinter dem Löwenturm untergehen. Bringt Euch in Sicherheit vor dem Fluch des Satansdieners!«

Er sprach so leise, daß niemand außer Allan Bates ihn verstehen konnte. Es war nicht ratsam, diese Warnung laut auszusprechen, denn hinter dem Richtertisch saßen in Hörweite der Erzbischof von Florenz und die Oberen des Dominikanerordens aus dem Kloster San Marco, aus dem die drei Hingerichteten gekommen waren.

»Ich werde vor keinem Teufelsspuk zurückweichen. Ich habe gerecht gehandelt, als ich Fra Girolamo verurteilte und auf den Scheiterhaufen schickte«, entgegnete Allan Bates. »Er war schuldig der Satansverehrung und der Ausübung Schwarzer Magie, er hat versucht, das Volk von Florenz in den Bann des Bösen zu schlagen.«

Doch unwillkürlich sah er nach dem Stand der Sonne. Sie sank immer tiefer und näherte sich den Zinnen des Kirchturms von San Michele, dessen Wetterfahne von einem eisernen Löwen geschmückt wurde. Deshalb hieß der Turm im Volksmund »Löwenturm«.

Von Norden her zog eine dunkle Gewitterfront herauf. Der Himmel leuchtete in fahlem Schein wie flüssiges Metall, gegossen zwischen den düsteren Wolkenbänken. Fernes Wetterleuchten zuckte in gebrochenem Rot. Wind kam auf und trieb die Rauchschwaden des von den Henkersknechten unablässig geschürten Scheiterhaufens über den ganzen Platz. Trotz all der Geräusche ringsum schien es Allan Bates, als herrschte eine geisterhafte Stille in der Stadt. Aber er war nicht bereit, vor dem unheimlichen, bedrückenden Gefühl zu fliehen, das ihn beschlich. Er stand da, eine Hand auf das Wehrgehänge mit dem Degen gestützt, die andere am Griff des Stiletts an seiner rechten Seite. Der Wind zerrte an seinem roten Richtermantel.

Warum war es auf einmal so still um ihn – so still wie in einem Grab?

Ein junger Dominikaner in der schwarzweißen Kutte seines Ordens kam quer über den Platz auf die Treppe des Rathauses zu, auf deren oberster Stufe der Richtertisch aufgestellt war. Er stieg die Treppe hinauf, vor Allan Bates blieb er stehen.

»Ein wahrhaft gerechter Urteilsspruch wurde gefällt. Ihr habt uns alle vor dem Zugriff Satans bewahrt, Richter Battino«, sagte er. »Erlaubt mir deshalb, Euch zu umarmen – im Namen meiner Mitbrüder aus dem Kloster San Marco und des ganzen Ordens.«

Irgendetwas an dem Mönch gefiel Allan Bates nicht – es war, als warnte ihn eine Stimme aus einem Bereich jenseits allen menschlichen Begreifens. Aber er konnte die Bitte nicht gut abschlagen, denn hinter ihm saßen die Ordensoberen der Dominikaner am Richtertisch.

Der junge Mönch umarmte ihn mit festem Griff und drückte Allan Bates eng an sich. Dann ließ er ihn los und trat einen Schritt zurück. Er lächelte noch immer, aber es war ein teuflisches Lächeln, als seine rechte Hand in den weiten linken Ärmel seiner Kutte fuhr. Als sie wieder zum Vorschein kam, blinkte Stahl in ihr.

Unwillkürlich fuhr der Richter zurück und versuchte, zugleich Degen und Stilett zu ziehen. Doch er schaffte es nicht mehr. Die Klinge in der Hand des Mönchs drang ihm in die linke Brustseite.

Er nahm zwar die Kälte des Eisens wahr, das sich in seinen Körper bohrte, aber er fühlte keinen Schmerz, nur eine seltsame grenzenlose Schwäche. Er knickte in die Knie, und seine Stirn schlug gegen die steinerne Rathausstufe. Auf einmal – doch zu spät – wußte er, warum der Mönch ihn umarmt hatte: um sich zu vergewissern, daß sein Opfer nicht etwa einen eisernen Brustpanzer oder ein geschmiedetes Kettenhemd unter dem roten Richtermantel trug, was den tödlichen Stich hätte aufhalten können.

»Giuliano Battino, du wirst sterben, noch bevor die Sonne hinter dem Löwenturm untergeht«, schien ihm Fra Girolamos Stimme zuzuraunen.

Lauter aber ertönte eine andere Stimme, die schrie: »Ewig möge Satan die Welt beherrschen!«

Der Schrei verklang in einem Röcheln. Ein menschlicher Körper fiel schwer zu Boden. Mühsam hob der Richter den Kopf und sah den jungen Dominikanermönch mit der blutigen Klinge in der im Todeskampf verkrampften Hand auf den Steintreppen liegen, von drei, vier Piemont-Hellebarden durchbohrt, die ihm die Wachen in den Rücken gestoßen hatten. Er hatte seinen Herrn und Meister Fra Girolamo gerächt, ihn, aber nur um ein weniges überlebt.

Mit schwindender geistiger Klarheit begriff Allan Bates, daß der Fluch Savonarolas zu wirken begonnen hatte. Dann war ihm, als schwebte er hoch über dem Körper des Richters, der er eben noch gewesen war. Deutlich konnte er auch seinen Mörder, den Mönch, in seinem Blut liegen sehen. Der Schatten des Palazzo Vecchio, des Rathauses von Florenz – eines aus düsteren grauen Steinquadern errichteten zinnengekrönten, von einem Turm überragten Gebäudes – fiel drohend und finster auf die beiden Toten.

Doch plötzlich erkannte Allan Bates, daß es nicht der Schatten des Palazzo Vecchio war, den er sah. Vielmehr war es jener der Rauchwolke, die vom Scheiterhaufen unter dem Galgen aufstieg und sich über dem Schafott zu einer gespenstischen Gestalt zu formen schien: einem Mönch in Kutte und Kapuze – Fra Girolamo. Die schemenhafte Gestalt hob die zu Fäusten geballten Hände wie in wilder Wut über den Kopf. Ein schreckliches Lachen, in dem höhnischer, böser, teuflischer Triumph mitschwang, gellte über die Piazza della Signoria, aber niemand außer Allan Bates schien es zu hören.

Dann streifte der geisterhafte Mönch die Kapuze ab, die bisher sein Gesicht verborgen hatte. Doch was darunter zum Vorschein kam, war nicht das Antlitz Savonarolas. Es waren überhaupt keine menschlichen Züge. Es war das nackte, unverhüllte Gesicht Satans.

Und so schrecklich war dieser Anblick, daß Allan Bates, von namenlosem Entsetzen gepackt, wie in Todesqual schrie – schrie – schrie.

***

»Allan, wach auf ! So wach doch endlich auf! Komm zu dir! Es ist nur ein Traum, hörst du?«

Eine Hand rüttelte ihn an der Schulter. Er schlug um sich, aber jemand hielt seine Arme fest und machte ihn dadurch wehrlos. Er öffnete die Augen und blickte in Borden Ansteens Gesicht, das sich über ihn neigte.

Sekundenlang wußte er nicht, wo er war. Dann setzte sein Erinnerungsvermögen wieder ein, und er erkannte, daß er sich im Haus der Ansteens befand, in dem er seit über einem Monat wohnte. Aber er war nicht in seinem Zimmer, sondern lag auf dem Boden am Fuß der Treppe, die aus dem Wohnzimmer im Erdgeschoß ins Obergeschoß des Hauses hinaufführte. Er war völlig nackt und zitterte vor Kälte und Grauen, das der finstere Traum in ihm geweckt hatte.

»Bring schnell eine Decke her, Elizabeth!« sagte Borden Ansteen zu seiner Frau. »Hol auch einen doppelten Whisky. Ich glaube, Allan hat ihn nötig.«

»Wie komme ich hierher?« fragte Bates verwirrt.

Borden Ansteen – ordentlicher Professor für vergleichende Religionswissenschaft an der Adam-Kadmon-Universität – zuckte mit den Schultern. Er war ein hochgewachsener Mann mit intelligentem, blassem Gesicht, etwas kurzsichtigen dunklen Augen und einem sichelförmigen Schnurrbart.

»Wir hörten dich schreien«, antwortete er, »und fanden dich am Fuß der Treppe. Du mußt einen schweren Traum gehabt haben.«

Er warf Allan Bates die Decke, die seine Frau brachte, um die Schultern und reichte ihm ein Glas voll Whisky. Bates hüllte sich fröstelnd enger in die Wolldecke und stürzte den Bourbon hinunter, der eine leichte Wärme in seinem Körper erzeugte, aber nicht ausreichte, um die Kälte und die Nachwirkung des erlebten Traumes aus seinen Gliedern zu vertreiben.

»Ja, es war ein schlimmer Traum, besonders, weil er so lebensecht schien, so daß ich glaubte, alles das, was ich sah, wirklich zu erleben«, murmelte er. »Entschuldige, Elizabeth! Ich weiß wirklich nicht, was mit mir geschehen ist. Ich hatte noch nie zuvor solche Träume. Ich habe früher auch noch nie geschlafwandelt.«

Elizabeth Ansteen machte eine abwehrende Handbewegung. Sie war eine Schönheit – mit rotem Haar, grünen Augen und jener milchweißen Hautfarbe, die im amerikanischen Süden so sehr geschätzt wird und um die Borden Ansteen von vielen Männern beneidet wurde.

Allan Bates und Ansteen waren alte Freunde. Und nachdem Bates eine Berufung als Dozent für Psychologie an die Adam-Kadmon-Universität von New York erhalten hatte, war es beinahe als selbstverständlich erschienen, daß Borden Ansteen ihm angeboten hatte, in seinem Haus zu wohnen.

»Deine Arbeit an der Universität bedeutet gewiß eine zusätzliche, nicht zu unterschätzende Belastung für dich«, entgegnete Ansteen.

»Vielleicht sollte ich einen Psychiater aufsuchen«, sagte Allan Bates. »Gib mir noch einen Whisky. Mir ist verdammt kalt. Wahrscheinlich hatte mein Traum seine Wurzeln in den Studien über die Geisteshaltung der Menschen des europäischen Mittelalters, die ich in letzter Zeit angestellt habe.«

»Mag sein, du hast recht. Wir haben einen recht harten Beruf«, stimmte ihm Borden Ansteen zu. »Wir sind dazu verurteilt, allen Dingen auf den Grund zu gehen, um sie anschließend in unseren Vorlesungen genau erklären zu können. Dieser Zwang läßt uns oft bis in die Traumwelt hinein nicht los. Ich bin Professor für vergleichende Religionswissenschaft und habe häufig Träume religiösen oder pseudoreligiösen Inhalts.«

Er nahm das Whiskyglas aus der Hand seiner Frau entgegen und reichte es Allan Bates, wobei er fortfuhr: »Alles, was mit Religion und Psychologie zu tun hat, setzt die Menschen noch viel mehr unter seelischen Druck als die tagtäglichen Ereignisse. Komm, ich bringe dich zurück in dein Zimmer.«

Er half Allan Bates auf die Füße, nachdem dieser den zweiten Whisky hinuntergestürzt hatte. Bates ließ sich von Borden Ansteen die Treppe hinaufhelfen. Als sie beide in dem großen Raum standen, der Allan Bates' Schlaf-, Arbeits- und Wohnzimmer in einem darstellte, ließ sich Bates auf das Bett sinken und barg sein Gesicht in den Händen.

»Ich habe nicht den Eindruck, daß es nur der normale berufliche Verschleiß ist, der mir so zusetzt, Borden«, murmelte er. »Ich wollte es nicht vor Elizabeth aussprechen, aber ich habe so eine Ahnung, daß mich allein schon der Aufenthalt in diesem Haus seelisch aus dem Gleichgewicht bringt. Und das, obwohl ich keinen vernünftigen Grund dafür nennen könnte. Seit ich hier wohne, komme ich mir selbst auf unerklärliche, geradezu unheimliche Weise verändert vor.«

»Dieses Haus unterscheidet sich in nichts von jedem anderen in New York«, sagte Ansteen. »Am besten wäre es, du würdest deinen Traum vergessen. Es sei denn, du willst mir davon erzählen.«

»Ich habe mich während meines Studiums jahrelang mit der Deutung von Traumsymbolen befaßt«, entgegnete Allan Bates. »Aber ich würde es nicht wagen, diesen Traum zu deuten. Wahrscheinlich war es nur ein Schemen, wie er flüchtig den Geist eines Schlafenden berührt. Mag sein, daß er nichts weiter zu bedeuten hat.«

Er stand noch ganz unter dem Einfluß des unheimlichen Traums, den er gern vergessen hätte. Da er sich ein halbes Leben lang mit den Ausdrucksformen der menschlichen Seele beschäftigt hatte, versuchte er, halb unbewußt, zu erkennen, was sich hinter den Gestalten seines Traumes verbarg.

»Soll ich dir noch einen Whisky bringen – einen dreifachen?« fragte Borden Ansteen.

»Nein, bring mir lieber ein geweihtes Kreuz.«

»Was hast du gesagt?« wollte Ansteen wissen. Allan Bates fuhr aus seinen Gedanken auf und sah sein Gegenüber verwirrt an. Ihm war zwar vollkommen klar, was er gesagt hatte, aber er begriff selbst nicht den Sinn der eigenen Worte.

»Ich glaube, ich lasse dich jetzt lieber allein«, meinte Ansteen. Allan Bates ließ sich rückwärts auf das Bett sinken. Seine Gedanken drehten sich wie ein Wirbelsturm. Er antwortete nicht auf Borden Ansteens Frage. Nach einer Weile hörte er die Tür ins Schloß fallen. Da wußte er, daß er allein war.

Allan Bates richtete sich auf einem Unterarm auf und wischte sich mit der anderen Hand den kalten Schweiß aus dem Gesicht. Er hatte schon mehrmals in seinem Leben schwere Träume durchlitten. Aber noch immer war es ihm gelungen, ihr Geheimnis zu enträtseln – nur diesmal nicht.

Abermals versuchte er, mit der wissenschaftlich klaren Denkweise, die er sich angewöhnt hatte, herauszufinden, welchen seelischen Grund – oder Abgrund – sein Traum gehabt haben mochte. Doch der Sinn der Symbole, die ihm in diesem Traumgesicht vor Augen geführt worden waren, war unmöglich zu erraten. Als Psychologe wußte er um die Wichtigkeit von Traumdeutungen; sie konnten die Auflösung psychologischer Rätsel bringen, die dem wachen Bewußtsein des Menschen – seinem zugreifenden Verstand – dauernd verschlossen blieben. Alle Träume, die ein Mensch erlebte, waren nichts weiter als eine Art Bilderschrift, die, vom Unterbewußtsein hervorgebracht, dem Träumer eine Mitteilung und in fast allen Fällen eine Warnung übermittelte. Doch die Traumsymbole waren immer dieselben, das heißt, sie hielten sich innerhalb der sehr engen Grenzen menschlicher Vorstellungskraft. Die Traumgestalten und -ereignisse aber, die Allan Bates mit angesehen und erlebt hatte, traten aus dem bekannten, überlieferten Rahmen hervor. Sie ergaben keinen eigentlichen Sinn. Und doch mußte sich hinter ihnen eine ganze bestimmte Wahrheit verbergen; denn das war die Art des Ausdrucks jeden menschlichen Unterbewußtseins. Der berühmte Psychoanalytiker Sigmund Freud hatte einmal gesagt: »Das menschliche Unterbewußtsein kann nicht lügen.«

Das war im Grunde die Antwort auf Allan Bates' unausgesprochene Frage. Aber in diesem Augenblick verstand er sie noch nicht. Und als er sie schließlich doch begriff, war es schon zu spät, etwas dagegen zu unternehmen. Da stand er bereits einer satanischen Macht gegenüber, deren höllischer Gewalt, Heimtücke und Grausamkeit er nicht mehr gewachsen war. Zu diesem Zeitpunkt konnte ihm niemand mehr helfen. Von da an war er auf sich allein gestellt.

Kapitel 2

Am nächsten Morgen hatte Allan Bates die Nachwirkungen seines Alptraums noch immer nicht überwunden. Deshalb verhielt er sich beim Frühstück, das er gemeinsam mit Borden und Elizabeth einnahm, schweigsamer als sonst. Die beiden Ansteens warfen ihm gelegentlich einen Blick zu, ließen ihn aber in Ruhe, solange er frühstückte. Erst als er sich anschickte, seinen Platz am Tisch zu verlassen, brach Borden Ansteen sein Schweigen.

»War es dir ernst mit dem, was du heute nacht gesagt hast: daß du einen Psychiater aufsuchen möchtest?« fragte er. Aus seinen Gedanken gerissen, blieb Allan Bates stehen.

»Warum willst du das wissen?«

»Weil ich dich davor bewahren möchte, eine unüberlegte Handlung zu begehen, die möglicherweise deiner Karriere an der Adam-Kadmon-Universität schaden könnte«, antwortete Ansteen. »Du weißt doch, daß eine psychiatrische Behandlung einen Menschen nur allzu rasch in den Verdacht geraten läßt, er sei geistig nicht normal. Wäre ich an deiner Stelle, dann würde ich lieber davon Abstand nehmen, einen Psychiater aufzusuchen. Käme es heraus, daß du dich psychisch behandeln läßt, könntest du möglicherweise deine Stellung an der Universität verlieren.«