cover

Michael Kirchschlager

Die Ritter vom
scwallenden Wasser

für Leser ab 10 Jahren

Für Anna Maria, Emil und Andrea

Die Ritter vom
scwallenden Wasser

oder

Wahrhaftige und einzigartige

HISTORIA

vom

Leben der edlen Herren von Schwallungen/

ihren Abenteuern/​Listigkeiten und Streichen /

ihrer Liebe zum Volk/​zum Met und zu gesottenen Karpfen /

und vom Bau des steinernen Turmes/​den man Kemenate heißt.

GETREULICH AUFGESCHRIEBEN VON

Heinrich von Schwallungen.

IN NEUES DEUTSCH ÜBERTR AGEN VON

Michael Kirchschlager.

IN DRUCK GEGEBEN VOM

Knabe Verlag Weimar.

FEIN UND ZIERLICH ILLUSTRIERT VON

Meister Christoph Hodgson.

Weimaria et Schwallungen A. D. MMXIII

HANDELNDE PERSONEN

Die Swallinger

Ritter Brun, der Erbauer des Steinturmes Elisabeth, seine Frau Heinrich, der älteste Sohn und der Erzähler unserer Geschichte Betz und Wölfelin, Heinrichs jüngere Brüder Kunigunda, das Töchterlein Egil und Odo, Bruns Halbbrüder Großvater Heinrich, Vater von Brun, Egil und Odo Herzeleide von Hallenberg, Odos schöne Braut

Unsere Burgleute

Bruder Notker, der Burgkaplan Knecht Hertnit, der Großknecht Ursula, die Burgköchin Glöckli, ein Findelkind

Die anderen

Poppo, der Graf von Henneberg Heinrich von Berge, ein Bruder des Deutschen Ordens Eberhard von Würzburg, Burgvogt der Henneburg, ein übler Schurke Meister Steinhauf, der Baumeister des steinernen Turmes, und weitere Personen

Vorwort

Es gab einmal einen Ritter, der so gebildet war, dass er alles, was er in den Büchern geschrieben fand, lesen konnte. Und wenn er mit seiner Zeit nichts Besseres anzufangen wusste, dichtete er sogar. Er gab sich die größte Mühe, seine Worte und Sätze so zu verwenden, dass sie vergnüglich zu hören und zu lesen waren. Der Ritter hieß Heinrich und stammte aus Schwallungen. Er hat auch folgendes Gedicht verfasst:

Unsre Ahnen, die Swallinger, waren Franken und Thoringer.
Namen erklingen voller Ruhm: Cunihilt, Sigifridus, Brun.
Es schwillt und schwallt das schnelle Wasser,
Werraf luss, wir senden dir einen Gruß!

Stolz und frei und kühn wie Falken, stets ihr Wort die Ritter halten,
spähen sie mit scharfen Sinnen, zu allem entschlossen
über Mauern und Zinnen.
Es schwillt und schwallt das schnelle Wasser,
Werraf luss, wir senden dir einen Gruß!

Doch lange her sind ihre Taten, Sagen umranken Kemenaten.
Sie sollen nicht vergessen sein, drum schaut in dieses Buch hier rein.
Es schwillt und schwallt das schnelle Wasser,
Werraf luss, wir senden dir einen Gruß!

Die Sippe vom scwallenden Wasser

nsere Sippe reicht bis in jene Zeiten zurück, als die Thüringer und Franken miteinander in heftigen Kämpfen lagen, Kämpfe, die schließlich zum Untergang des Thüringer Königreiches führten.1

Im Jahre 531 traf in einer gewaltigen Schlacht an einem Orte namens Runibergun das Heer der Franken mit König Theudebert an der Spitze auf die Thüringer unter König Herminafried. Auf beiden Seiten wurde tapfer gefochten, allein nach drei Tagen sank der Stern der Thüringer. Viele von ihnen wurden erschlagen, ihr Land unter den Franken aufgeteilt. Zu den mutigsten Streitern auf Seiten der Franken soll einer unserer Ahnen gezählt haben. Er ließ sich am schwallenden Wasser nieder, den später Werra genannten Fluss, und heiratete die Tochter eines Thüringer Adligen.

Ein weiterer Ahne, von dem mir unser Großvater erzählte, war ein Mann namens Huntolf. Dieser hatte einen Egilolf geheißenen Sohn, und der wiederum einen Sohn mit Namen Helpfolf. Egilolf schenkte im Jahre 795 einen Teil seiner Güter dem Kloster Fulda. Comitissa2 Cunihilt vermachte im Jahre des Herrn 874 einen Teil ihrer Güter zu Schwallungen ebenfalls dem Kloster Fulda unter Abt Sigihart.

Aufgrund seiner Treue zum Grafenhaus der Henneberger und deren Treue wiederum zum Königshaus der Franken wurde unserem Ahnen Sigifrid das Recht gewährt, eine Burg auf einer Anhöhe am schwallenden Wasser zu erbauen. Diese Burg aus Buchen- und Eichenholz wurde in den folgenden Jahrhunderten nach und nach durch Steinbauten ersetzt. Im Jahre 1057 schenkte der Edle Sigifrid dem Kloster Fulda unter Abt Eggebert zahlreiche Hofstätten, Hufen, Äcker und dreiundzwanzig Leibeigene.

Sigifrids Treue hielt ihn fortan neben Graf Poppo von Henneberg im Sattel und als wieder einmal die Sachsen während der großen Sachsenkriege3 Schmalkalden und alle umliegenden Höfe und Weiler heimsuchten und verheerten, stellten sich die Anhänger des Königs zur Schlacht.

Darunter befand sich auch Sigifrid in glänzender Rüstung. Er sank als Held neben Graf Poppo am 7. August 1078 ins Gras. Dessen eingedenk war unsere Sippe, die sich die „Swallinger“ nannte, fest mit dem Grafenhaus verbunden und nichts und niemand konnte unsere Treue zu den Hennebergern erschüttern. Und als ich, Heinrich von Schwallungen, noch gar nicht geboren war, rettete mein Vater Brun dem Grafen Berthold von Henneberg vor der landgräflichen Runneburg das Leben! Das war im Jahre 1212.4

Ich erzähle all dies, um die Geschichte meiner Ahnen und die Taten unserer Sippe nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Zeit meines Lebens war ich kein Mann der Feder, eher ein Mann des Wortes, selten ein Mann des Schwertes. Aber ich komme dem Wunsche meiner Familie nach, die mich nach langen Erzählungen am Kamin bat, all die Mären und Geschichten der Ritter vom schwallenden Wasser aufzuschreiben. Ich bin kein begnadeter oder gar tugendhafter Schreiber. Ich vermag nicht, meine Worte in kunstvolle Reime, Verse oder sonst etwas zu setzen. Vielmehr werde ich meine Geschichte, die Geschichte unserer Sippe so aufschreiben, wie es mir in den Sinn kommt und was mir aufzuschreiben vergönnt ist.

Unsere Familie

n den frühen Jahren meiner Kindheit wuchs ich in dem Holzturm auf, den unser Ahne Sigifrid erbaute. Er thronte auf einem Hügel, an dessen Westseite sich die Werra entlangschlängelte. Hinter der Werra begann sich nach Westen Buchonia5 zu erstrecken, nach Osten der Thüringer Wald. Im Nordosten lag die Stadt Schmalkalden, im Süden die Stadt Meiningen und die gräfliche Henneburg. Unsere unmittelbaren Nachbarn waren die Herren von Cralach im Norden.

Zu unseren Besitzungen zählten die Burg, das Dorf Schwallungen mit Wald, Holz, Feldern, Bächen und Quellen, Weiden, drei Fischweiden an der Werra, ein Karpfenteich bei Cralach, ein schöner See in Buchonia mit allen Fischrechten, Wiesen und Weiden am großen Cralacher See, eine Mühle in Schwallungen und vor Wasungen, dort auch zwei Gärten, ein Hof im Körnbachgrund, das halbe Dorf Zillbach, Äcker in Cralach und Ahles6 und weitere Besitzungen und Zugehörungen in umliegenden Dörfern und Wüstungen, sechsundzwanzig Leibeigene sowie ein Vorwerk in Schmalkalden, ein Hof in Breitungen sowie sieben Kühe, eine Schaf herde und einhundertzwanzig Hühner und Gänse.

Unsere Mutter Elisabeth war eine fromme Frau voller Anmut und Schönheit, von edler Herkunft und feiner höfischer Erziehung und eigentlich passte sie überhaupt nicht zu den sie umgebenden Männern aus der Sippe der Swallinger, von meinem Oheim7 Odo vielleicht einmal abgesehen.

Aber sie trug ihr Schicksal, wie sie ihre Lebensumstände immer nannte, mit großer Würde und heute, denke ich an unser Leben am schwallenden Wasser zurück, erfüllt mich diese Würde mit Bewunderung.

Und trotz des Schutzes, fußend auf der Lehenstreue, die die Swallinger durch die Grafen von Henneberg erfuhren, war es unsere Mutter, die so manches Mal durch wärmste Fürsprache bei Graf Poppo8 selbst für unsere Familie eintrat und Schaden abwendete. Unser Vater Brun, der Erbauer des großen steinernen Turmes, war ein stolzer, strenger und umtriebiger Mann mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Dieser brachte ihm nichts als Ärger ein. Er liebte uns über alle Maßen, war fromm und verglich uns stets mit den edlen Falken, die den Turm bewohnten und ihn unentwegt gegen Dohlen, Krähen und andere Räuber verteidigen mussten.

„Seht, ihr Kinder“, sagte er immer und zeigte zur Spitze des Turmes, „wir gleichen diesen Falken. In einem immerwährenden Kampf müssen wir unseren Turm gegen alle möglichen Feinde verteidigen.“

Vater war selbst viele Jahre Falkner, aber als er seinen Lieblingsfalken Pfeil an einen Walduhu verlor, der den schönen Falken bis in eine Scheune verfolgte und dort schlug, brach es Vater fast das Herz und er hängte die Falknerei an den Nagel.

Oheim Egilbert, den wir kurz Ohm Egil nannten, war ein Mann von großer, starker Statur und wurde von allen Rittern der Umgebung gefürchtet, denn er siegte in allen Turnieren und sah darüber hinaus noch furchtbar aus. Während einer Bärenhatz verlor ein Bär sein Leben, Ohm Egil aber eines seiner Augen und so kam unser Onkel als einäugiger Mann daher, mit dem nicht gut Kirschen essen war. Deshalb nannten ihn die Leute auch Egil den Einäugigen. Mit unserer Mutter stand er sich nicht gut, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Zu den Frauen hegte er keine sonderliche Neigung, aber er liebte den Trunk, die Geselligkeit und uns Kinder.

Ganz anders war da Ohm Odo, ein feiner, junger und hübscher Herr mit gutem Benehmen, der Liebling unserer Mutter (wahrscheinlich hätte sie lieber ihn als unseren Vater geheiratet, aber Odo war nur der Drittgeborene). Odo galt uns als strahlender Held, der gemeinsam mit Ohm Egil so manchen trefflichen Schabernack veranstaltete.

Und dann darf ich nicht unseren Großvater Heinrich vergessen, der eine Mischung aus allen seinen Söhnen war. Hier sollte ich vielleicht anmerken, dass jeder Sohn einer anderen Frau entspross, was bedeutet, dass alle Brüder Halbbrüder waren. Unser Großvater überlebte alle seine Frauen, die, die er aber am meisten liebte, war unsere Kunigunda. Zu der komme ich gleich.

Ich hatte zwei Brüder, Wölfelin und Betz, sowie eine Schwester Kunigunda, eine ganz neckische Kleine, die den Gerechtigkeitssinn unseres Vaters geerbt zu haben schien, denn von unseren Streichen hielt sie nichts. Ganz im Gegenteil! Mit ihren fünf Jahren drohte sie uns mit drakonischsten Strafen, hatten wir wieder mal etwas ausgefressen.

„Sie werden euch noch einmal die Ohren abschleiden!“, prophezeite sie unentwegt in ihrer kindlichen Sprache. Und wenn es einmal nicht nach ihrem Willen ging, was bei Frauen oft vorkommt, lief sie zu unserem Großvater und wickelte ihn um ihre kleinen Fingerchen. Über alles liebte sie ihre Stoffdocke9, ein abgefranstes, zerkautes, zerflicktes und hässliches Ding, wie wir fanden, aber war das Püppchen „Nunu“ einmal nicht auffindbar, liefen die Tränen und brachten die Werra zum Anschwillen.

Meine Brüder waren wie ich, kräftig, rotznasig, flink, etwas jünger zwar, aber allesamt echte Swallinger, und was einen Swallinger ausmacht, das möchte ich nun erzählen.