Jaume Cabré

Senyoria

Roman

Aus dem Katalanischen
von Kirsten Brandt

Suhrkamp

Die Originalausgabe erschien 1991 unter

dem Titel Senyoria bei Edicions Proa, S.A., Barcelona.

Abweichungen der vorliegenden Übersetzung

von der Originalausgabe wurden mit dem Autor abgestimmt.

© Jaume Cabré, 1991

License given by Raval Edicions, S.L.U.

Peu de la Creu, 4, 08001 Barcelona

www.grup62.com

Die Übersetzung wurde gefördert

aus Mitteln des Institut Ramon Llull.

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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2010

© der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag

Frankfurt am Main 2009

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eISBN 978-3-518-73330-1

www.suhrkamp.de

Für Margarida

Hinter der Gesellschaft schlummert das Gesetz.

E.M. Forster

Das Recht ist eine Sammlung willkürlicher, in einem Gesetzbuch zusammengefaßter und durch die Gewohnheit der jeweiligen Epoche sanktionierter Entscheidungen. Etwas für Fachleute.

Rafel Massó

Sobald Gesetz gesprochen, wird es auch gebrochen.

Erstes Buch
UNTER DEM ZEICHEN ORIONS

Das Sternbild des Orion gilt gemeinhin als das schönste am Firmament. Es besteht aus einem gewaltigen Viereck, das von Norden nach Süden breiter ist als von Osten nach Westen. Sechs Sterne leuchten darin besonders hell, darunter der Alpha Orionis oder Beteigeuze, dessen Name vom arabischen Bait al-Jauza kommt, was soviel heißt wie »Schulter des Riesen«. Er strahlt rötlich und sehr hell. Beta Orionis trägt auch den Namen Rigel und ist bläulich-weiß, ebenso wie Gamma Orionis; dieser wird auch »Bellatrix« oder die »Kriegerin« genannt. Aber die wahren Kleinodien dieses Himmelsdoms finden sich im Gürtel des Riesen – Doppelsterne – und an seinem Schwert: der geheimnisvolle, von Huygens entdeckte Sternhaufen, den man nicht genug bestaunen kann. Die Alten mit ihrer sprichwörtlichen Phantasie glaubten in dieser Konstellation die mythologische Figur des legendären Jägers zu erkennen, der den Plejaden nachstellt. Die Betrachtung des nächtlichen Herbsthimmels über Barcelona verleitet uns zum Träumen; fast meinen wir zu sehen, wie Orion auf seiner Flucht vor dem Skorpion sich an die Fersen der Plejaden heftet, aber von Taurus, dem Stier, angegriffen wird. Eine wundersamere Geschichte ist kaum vorstellbar. Und doch entspringt sie der Phantasie des Dichters: Die Konstellation besteht aus gewaltigen Sternen, die vermutlich in keinerlei Beziehung zueinander stehen, und so ist diese hübsche Geschichte wohl nicht mehr als eine optische Täuschung. Aber manchmal hilft uns die Phantasie, die Wirklichkeit erträglicher zu machen.

Traktat über die Grundlagen der Himmelsbetrachtung
von Jacint Dalmases. Barcelona, 1778

I

Er lächelte. Zum ersten Mal seit zwei langen Jahren lächelte Sa Senyoria, Präsident des Königlichen Gerichts von Barcelona, während er sich das linke Auge zuhielt und mit dem rechten durch das Teleskop blickte. Ihm war, als begegnete er einem alten Freund wieder, denn es war der erste Abend in diesem verregneten Herbst, an dem er seine Sternenbeobachtung an einem wunderbar wolkenlosen Himmel betreiben konnte. Seit einem Jahr hatte er den Orionnebel nicht mehr betrachtet, und er hatte Sehnsucht nach diesem magischen Gebilde, das laut Monsieur Halley aus vier Sternen bestand, die rasend schnell, wie von Haß getrieben, auseinanderdrifteten. Als ob es am Firmament Haß geben könnte! Wie immer, wenn er den Himmel betrachtete, wurde Don Rafel Massó i Pujades von einem Gefühl der Ohnmacht und Kleinheit ergriffen, einer Scheu vor dem Unbekannten, weil die Sterne und Nebelgespinste, die das Fernrohr so dicht vor seine Augen rückte, in Wirklichkeit unvorstellbar weit entfernt waren, einsam, schweigend, unerreichbar und unbeachtet. Plötzlich überkam ihn die Erinnerung an die arme Elvira, und Don Rafels Lächeln war wie weggewischt. Er schüttelte den Kopf, um die Erinnerung zu verscheuchen, und seufzte in die Dunkelheit des Gartens. Dann richtete er sich auf, zog ein Spitzentüchlein aus dem Ärmel und schneuzte sich sacht. Immer wenn er in den Garten ging, um die Sterne zu beobachten, lief ihm die Nase, und das, obwohl er Perücke, Dreispitz und Umhang trug. Er sah mit bloßem Auge zu Orion hinauf, und dieser erschien ihm vertrauter denn je. Nachdem er das Tüchlein wieder im Ärmel verstaut hatte, bückte er sich, um den geliebten Nebel erneut durch das Teleskop zu betrachten, und stieß einen unterdrückten Fluch aus, weil das Bild schon aus dem Blickfeld gewandert war. Eine geschlagene Minute lang mühte er sich ab, den flüchtigen Nebel wieder einzufangen. Donya Marianna hatte ihn gewarnt, er werde sich erkälten, und wie immer hatte sie recht; aber nach dem wolkenverhangenen Himmel der letzten Tage, dem erklärten Feind aller Astronomen, hatte er sich die erste sternenklare Nacht, die schamlos ihre Herbstgestirne entblößte, nicht entgehen lassen wollen. Nicht, daß Don Rafel Astronom gewesen wäre. In jungen Jahren, als er noch ein Neuling in der absonderlichen, geheimnisvollen Welt der Justiz war, hegte er großes Interesse für alles Unbekannte und suchte den Kontakt zu berühmten Physikern wie Don Jacint Dalmases, der ihn in die Astronomie einführte. Unzählige schlaflose Nächte hatte er mit dem vergeblichen Versuch verbracht, das Parallelogramm des Sternbilds Leier einzufangen – wie mühsam war doch die Beobachtung der Leier, die fast immer im Zenit stand! – oder das neckische, wechselhafte Treiben von Ganymed, Io, Europa und Kallisto, die einander rund um den riesigen, behäbigen Jupiter zu haschen schienen, ihr ewiges Kindermädchen mit einem einzigen, geheimnisvollen Auge im Bauch wie ein himmlischer Polyphem. Der junge Don Rafel hatte eifrigst die Schriften Monsieur Halleys gelesen und eine Zeitlang vor seinen Freunden behauptet, er wolle Astronom werden. Doch dann hatte ihn die Wirklichkeit eingeholt: Sein Studium war so gut wie abgeschlossen, und er konnte wohl kaum all die Jahre, in denen er sich mit Vorschriften, Paragraphen, Gesetzen und Urteilen herumgeschlagen hatte, mir nichts, dir nichts über Bord werfen. So wurde Don Rafel Rechtsanwalt, heiratete und verbrachte seine Nächte nicht länger mit dem Bemühen, den schweigenden Sternen ihr Geheimnis zu entlocken. Nur von Zeit zu Zeit nahm er noch das Fernrohr mit hinaus in den Garten, um zu träumen, denn er war ein von Natur aus unzufriedener Mensch. Es gab so viele, denen er ihre Stellung, ihren Reichtum und die Schönheit ihrer Frauen, einige, denen er ihre Weisheit, wenige, denen er ihre Bedachtsamkeit, und kaum jemanden, dem er sein Glück neidete. Sein Leben war von ständigem Verlangen und sein Herz von nagender Mißgunst erfüllt, und darum träumte er, ohne Poet zu sein, verliebte sich, ohne ein Don Juan zu sein, strebte danach, sich über die anderen zu erheben, und redete sich ein, dies sei das Glück. Er war intelligent genug, eine einmal errungene Position auch zu halten, und scherte sich nicht um den Haß und Neid seiner Mitmenschen. Und doch waren all diese Bemühungen nichts weiter als die blindwütige, verzweifelte Suche nach dem Glück – und ebendieses blieb ihm zu seinem Leidwesen versagt. In Augenblicken der Aufrichtigkeit sich selbst gegenüber mußte er sich eingestehen, daß sein Leben nichts Halbes und nichts Ganzes war, wie Jupiter. Ja, Don Rafel war wie Jupiter: zu groß, zu ehrgeizig, zu massig für einen festen Planeten; zu klein und zu schwach für einen feurigen, kraftvollen Stern, der sein eigenes Licht verstrahlt. Doch genau wie Jupiter hatte er Trabanten, die ihn umkreisten.

»Verflixt, er verschwindet schon wieder!« beschwerte sich Don Rafel bei der Unendlichkeit. In diesem Augenblick hörte er Schritte und sah das schwankende Licht einer Laterne näher kommen: »Mach die Lampe aus, Hipòlit«, tadelte er das sich nahende Flackern.

»Die Herrin sagt, ich soll Euch sagen, daß es Zeit ist«, ließ sich der unsichtbare Diener vernehmen.

»Ja, ja, ich komme schon.« Er bückte sich und stellte verärgert fest, daß der Nebel in der Tat schon wieder aus dem Blickfeld gerückt war.

»Die Herrin sagt«, beharrte Hipòlit im Dunkeln, »ich soll Euch sagen, daß es schon acht geschlagen hat. Und daß Ihr vor dem Konzert noch Eure Perücke wechseln müßt.«

»Laß mich in Ruhe«, knurrte Don Rafel. Er harrte beim Teleskop aus, bis sein Zorn über die Störung durch den Diener verraucht war. Aber die für die Himmelsbeobachtung so notwendige innere Ruhe war dahin. Noch immer ein wenig verärgert, tastete er sich durch die Dunkelheit zurück in Richtung Haus, stolperte über Steinbänke und seine eigenen Gedanken, denn für einen flüchtigen Augenblick hatte er wieder das Bild Elviras vor sich gesehen.

Im Palast des Marquis von Dosrius im Carrer Ample traf sich für gewöhnlich alles, was unter den Anhängern der Bourbonen in Barcelona Rang und Namen hatte: Militärs, Juristen, Ingenieure, Beamte, angesehene Kaufleute, einheimische und importierte Politiker, dazu der eine oder andere Franzose, der in den traurigen Zeiten der Revolution sein Hab und Gut eingebüßt und im verängstigten, mißtrauischen Nachbarland Zuflucht gefunden hatte. Sie alle, die sich durch ihre profunde Unbildung auszeichneten, kamen hier zusammen, um Musik zu hören (ihr zu lauschen hätte ihnen zu viel abverlangt) oder im Takt der Alexandriner zu gähnen (»Ach, wie so sehr mein Herz verlangt nach Rache …«), mit denen sie der jeweils geladene Dichter traktierte.

Don Rafel war gerne beim Marquis zu Gast, weil dieser der guten alten Sitte treu geblieben war, seinen Haushofmeister die Namen der Eintreffenden ausrufen zu lassen. Zufrieden vernahm er die Ankündigung »Seine Gnaden Don Rafel Massó i Pujades, Präsident des Königlichen Gerichts von Barcelona, nebst Gemahlin«. Pflichtschuldig sah er seine Gemahlin an, Donya Marianna erwiderte seinen Blick, und beide betraten den großen Saal des Palasts des Marquis von Dosrius, den prächtigsten Salon der ganzen Straße, der unter der Hautevolee von Barcelona allenthalben Neid weckte. Die Gäste, die in Grüppchen beisammenstanden und sich die Zeit damit vertrieben, halblaut übereinander herzuziehen, fanden mit dem Eintritt des Ehepaars Massó neue Nahrung. (Seht nur, Don Rafel wird von Tag zu Tag dürrer und buckliger, er sieht schon aus wie ein Fragezeichen. Das macht wohl die Bürde seines Amtes. Daß ich nicht lache. Was wollt Ihr damit sagen? Herrje, ich könnte Euch Geschichten erzählen …) Nach allen Seiten lächelnd, schritten die Massós an den Geladenen vorbei direkt auf den Kamin zu, an dem Don Ramon Renau, der greise Marquis von Dosrius, mit einer nagelneuen silbernen Perücke nach Wiener Art geschmückt, eine Decke über die gelähmten Beine gebreitet, in seinem Räderstuhl saß, einem Meisterwerk der Ingenieurskunst, dank dessen er sich ungehindert fortbewegen konnte, und seine Gäste begrüßte. Hinter dem alten Marquis wartete der undurchdringliche Mateu stoisch auf Anweisungen. Der Marquis, der sich etwas darauf zugute hielt, der ungehobeltste Adelige ganz Barcelonas zu sein, grunzte beim Anblick der beiden und stieß mit dem Gehstock, den er stets bei sich hatte, in den Bauch des Gerichtspräsidenten.

»Wie geht’s, Don Rafel?«

»Sehr gut, Senyor Marquis.« Das Ehepaar verbeugte sich tief.

»Geht nur, und zerreißt Euch das Maul über mich«, sagte der Marquis nach kurzem Plausch und nickte zu den anderen Gästen hinüber, »ich muß mich um die Neuankömmlinge kümmern.«

Gehorsam gesellte sich das Ehepaar Massó zu einer Gruppe, in der, dem plötzlichen Themenwechsel nach zu schließen, gerade über sie gesprochen worden war. Guten Abend, Baron, Baronin, Herr Gerichtspräsident, Don Rafel, Lächeln, Begrüßungen, Handküsse, Seufzer. Wie geht’s? Weiß man, ob der Militärgouverneur kommt? Ich habe gehört, er wolle kommen, Baron, und Don Rafel warf einen verstohlenen Blick auf Donya Gaietanas großzügigen Busen, ach, es gibt Dinge auf dieser Welt … Don Rafel wußte, daß man sich jetzt, da die ausladenden Reifröcke vergangener Zeiten aus der Mode gekommen waren, den Damen wieder einfacher nähern und in ihr Dekolleté spähen konnte, ein aufregendes Erlebnis, und seine Hände wurden schweißfeucht wie immer in letzter Zeit, wenn er bei Donya Gaietana stand, die ihn das Gesicht der armen Elvira vergessen ließ.

»Ich habe gehört«, verkündete der Baron von Xerta, ohne etwas von Don Rafels ehebrecherischen Gedanken zu ahnen, »diese Frau habe eine eindrucksvolle Stimme.« Zustimmung heischend blickte er von einem zum anderen.

»Nun, das wollen wir doch erst einmal sehen«, sagte Donya Gaietana nüchtern aus den Tiefen ihrer musikalischen Ignoranz heraus.

»Oder besser gesagt: hören«, warf Don Rafel ein und verbeugte sich tief, damit man das Zittern seiner Stimme nicht bemerkte. Die Gruppe brach in vornehmes Gelächter aus und entspannte sich ein wenig. Neue Vorstellungen, neues Getuschel, eine leichte Verbeugung des berühmten Gelehrten Don Jacint Dalmases, der sich immer in Kreisen herumtrieb, in denen er nichts zu suchen hatte; ein Kuß, der einen Augenblick länger als gewöhnlich auf der Hand einer ansehnlichen Dame verweilte. Und wieder mußte Don Rafel seufzen, weil die Busen aller anwesenden Damen soviel verheißungsvoller waren als der Donya Mariannas. Ach, Elvira – warum nur, warum? Don Rafels Gedanken zersprangen in tausend Splitter, als der stets bestens informierte Doktor Pere Malla zu der Gruppe trat und beteuerte, die Desflors habe schon vor Monsieur Cherubini gesungen und dieser sei von ihrer Kunst völlig bezaubert gewesen.

»Ich sagte es ja«, bekräftigte der Baron von Xerta, »eine große Sängerin.«

»Ich brenne darauf, sie zu hören«, log Don Rafel; ihm war, nachdem man ihn gewaltsam von der Betrachtung seiner Sterne weggeholt hatte, an diesem Abend alles gleichgültig, was nicht Busen war, vorzugsweise der der jungen Baronin.

»Und wann geht das Ganze los?« fragte einer der Herren und stampfte ungeduldig auf.

»Wenn’s dem alten Renau in den Kram paßt«, sagte Xerta unter dem beifälligen Lächeln der Damen. Und Don Rafel dachte, du bist ein Schwachkopf, Xerta, du verdienst sie gar nicht. Er hörte zwar mit halbem Ohr zu, was geredet wurde, in Gedanken aber war er ganz bei Donya Gaietanas blitzenden Zähnen und feuchten, lächelnden Lippen; von Tag zu Tag war er verrückter nach ihr, und wenn er ehrlich zu sich selbst war, ärgerte ihn die Leichtigkeit, mit der diese Frau andere Männer betörte, noch dazu unter den leicht schielenden Augen ihres Ehemanns, dieses alten Esels. Gaietana, Geliebte, für dich würde ich alles tun.

»Ich bin mir sicher«, Don Rafel sah sich verstohlen um, die Nase ins Spitzentaschentuch gesteckt, »der alte Dosrius will uns nervös machen, bevor er uns … den Leckerbissen vorwirft.«

»Nun, den Gefallen werden wir ihm nicht tun«, erwiderte der Baron. Die Gruppe begab sich zu einer Wand, deren Fenster auf die Straße hinausgingen. Unter einem Bild, das den zweiten Marquis von Dosrius Arm in Arm mit einer gut gebauten Dame zeigte – üppig genug, um ganz für sich allein die bourbonische Monarchie zu repräsentieren –, nahmen die Damen auf Stühlen Platz und begannen, angeregt über Stoffe und Frisuren zu plaudern, während die Herren in die Mitte des Salons zurückkehrten, angelockt von einer Bemerkung des Doktor Dalmases, des am weitläufigsten Gebildeten und am wenigsten gern Gesehenen unter den Anwesenden: Obschon er keinerlei Titel vorweisen konnte, verkehrte er dreist in Adelskreisen, ja, es hieß sogar, er sympathisiere mit den Franzosen oder irgendwelchen Aufklärern, und noch dazu ist er Freimaurer, das weiß ich aus sicherer Quelle. Doktor Dalmases also dachte gerade laut darüber nach, daß die menschliche Stimme doch das vollkommenste Instrument sei.

»Das uns von Gott gegeben wurde«, betonte Don Rafel.

»Selbstverständlich, Don Rafel«, stimmte Doktor Dalmases bei, der eigentlich nicht an Gott glaubte, aber keine Lust hatte zu streiten. »Wart Ihr zu Allerheiligen im Konzert?«

Nein, es erwies sich, daß keiner der Anwesenden dort gewesen war, denn ins Theater gehen, um Musik zu hören – das taten nur die, denen tatsächlich etwas daran lag; wer beim Marquis von Dosrius oder von Cartellà oder gar im Gouverneurspalast Musik hörte, war in Wirklichkeit gekommen, um etwas anderes zu hören. Und so mußte nun Doktor Dalmases einem höchst uninteressierten Publikum vom Allerheiligenkonzert berichten, zwei Stücke für Streichquartett von Monsieur Cherubini, Ihr wißt schon, und dann ein Stück eines gewissen van Beethoven, vermutlich ein Schüler Haydns, denn er hat mich sehr an ihn erinnert. Kennt Ihr ihn übrigens?

»Hm?« Don Rafel fühlte sich ertappt.

»Diesen Holländer, diesen van Beethoven.«

»Nein. Nie gehört.«

Der Chirurg Doktor Malla, der seine Gemahlin bei den anderen Damen zurückgelassen hatte, trat mit einem freundlichen Lächeln hinzu, das noch breiter wurde, als er den Gerichtspräsidenten begrüßte, den er verabscheute. Zweifellos war Don Rafel der am meisten beneidete, gehaßte und gefürchtete der anwesenden Gäste, denn er war einflußreich, unbeugsam und korrupt, drei Eigenschaften, die im übrigen fast alle auszeichneten, die in diesen Jahren in Barcelona das Sagen hatten. Mit einem Kopfnicken begrüßte Doktor Malla lächelnd den Rest der Gruppe, und auch er mußte zugeben, nein, offen gestanden kenne er diesen van Beethoven nicht. Niemand kannte ihn also, und Doktor Dalmases, der aus irgendeinem Grund am meisten von Musik verstand, kam zu dem abschließenden Urteil, dieser Holländer sei unstreitig begabt, aber es sei ihm doch anzumerken, daß er Meister wie Cherubini oder Salieri nachahme, und alle stimmten eifrig zu, bleib mir bloß vom Leibe mit diesem Fanbetolen oder wie immer er heißen mag.

Tatsächlich hatte niemand dem Doktor richtig zugehört, denn gerade war der Militärgouverneur eingetreten, und alle Blicke, auch die Don Rafels, stürzten sich wie ein Wespenschwarm aus Furcht und Neid auf ihn. Nun konnte es endlich losgehen. Der Saal hatte sich gefüllt, und vier oder fünf Lakaien stellten Stühle und Sofas auf, damit die etwa dreißig Anwesenden es sich bequem machen konnten. Der Marquis von Dosrius, der nun neben dem apfelgrünen Pianoforte saß, flankiert vom herausgeputzten Militärgouverneur, klopfte mit seinem Stock ruhegebietend auf den Boden. An einer Wand des Saales stand erwartungsvoll eine Gruppe jüngerer Gäste von geradezu skandalösem Erscheinungsbild. Nicht einer von ihnen trug eine Perücke, und ein junger Mann mit lebhaftem Blick und lockigem blondem Haar war sogar ärmlich gekleidet, fast wie ein Handwerksbursche. Sicher hatte ihm sein Begleiter Zutritt verschafft, ein eleganter, kleingewachsener Jüngling mit schwarzem Haar und Hakennase, der ein Päckchen in Händen hielt. Der Lockenkopf stieß seinen Freund in die Seite:

»Warum spielst du nicht, Nando? Soll ich dich ankündigen?«

»Untersteh dich!«

Aus einer Tür an der gegenüberliegenden Seite des Raumes trat eine üppige Dame, eine glanzvolle Erscheinung weniger aufgrund ihrer Leibesfülle als vielmehr wegen ihrer Ausstrahlung und ihres Auftretens. Marie de l’Aube Desflors, die Nachtigall von Orléans, grüßte den Marquis, aussi grincheux, mit einem tiefen Kratzfuß, den Militärgouverneur mit einem rein der Höflichkeit geschuldeten Knicks und das übrige Publikum mit einem kaum merklichen Nicken, wie um keinen Zweifel daran zu lassen, wer für ihren Auftritt bezahlte. Erst jetzt bemerkten die meisten Gäste den unscheinbaren, grau gekleideten, traurig dreinblickenden Mann mit Kinnbart (Monsieur Vidal, aber wer wußte das schon), der hinter der ausladenden Sängerin wie aus dem Nichts aufgetaucht und zum Pianoforte geschlichen war, dort Platz genommen hatte und nun offensichtlich auf Anweisungen wartete. Allmählich verklang der Applaus, und nachdem die Sängerin ihrem Pianisten einen kurzen Befehl zugezischt und das Publikum angelächelt hatte, räusperte sie sich diskret, holte tief Luft und schloß die Augen in Erwartung der ersten Takte des Klaviers.

Musik durchflutete den großen Saal des Palasts des Marquis von Dosrius. Ihr Zauber ließ die Gäste mitten in der Bewegung zu einer Szene erstarren, die einem Gemälde von Tremulles oder Bayeux glich: stehende Männer – die älteren mit Perücke, die jüngeren mit offenem Haar – und sitzende Damen, die alle in dieselbe Richtung starrten, die jungen Frauen mit vor Ergriffenheit wogendem Busen und feuchtem Blick. Der Marquis leicht vornübergebeugt in seinem Rollstuhl, auf den Stock mit dem silbernen Knauf gestützt. Der verstohlen gähnende Militärgouverneur, der Berechnungen über den Brustumfang der Sängerin anstellte. Am Ende des Saals, neben den an der Wand lehnenden jungen Männern, ein Diener in Barocklivree, so reglos, daß man ihn für eine Statue hätte halten können. Auf dem Buffet unter dem Spiegel, gleich neben der Tür, die Häppchen und Getränke, die geduldig darauf warteten, daß die Reihe an sie komme. Und neben dem größten Fenster stand Marie de l’Aube Desflors, eine Hand nonchalant auf dem Klavier, die andere an die Brust gelegt, als müßte sie ihr vor Liebe berstendes Herz festhalten, und schmetterte ihr eindrucksvolles je parlerai de mon tourment mit einer Stimme, wie man sie in Barcelona seit Jahren nicht vernommen hatte. Maître Vidals Finger glitten zärtlich über die Tasten, und er hatte Tränen in den Augen, vielleicht weil dies zu seinen Aufgaben gehörte, vielleicht aber auch, weil ihn diese warme, sinnliche Stimme ebensosehr ergriff wie Andreu, den blondlockigen jungen Mann, der schon immer von der erotischen Kraft einer schönen Stimme überzeugt gewesen war. Vom Gesang der Desflors bezaubert, hatte er sich sofort in sie verliebt. Er drückte die Hand seines Freundes, und dieser lächelte, weil er ihn gut genug kannte, um zu wissen, was in ihm vorging.

Als das letzte Lied der Desflors verklungen war, breitete sich so unerwartete wie unangenehme Stille aus. Die Gäste wollten den Beifall des Marquis nicht vorwegnehmen, doch dieser war auf seinen Stock gestützt mit leuchtenden Augen in die Erinnerung an die Stimme versunken und rührte sich nicht. Musik war das einzige, was den Marquis von Dosrius seine Rüpelhaftigkeit vergessen ließ. Der Militärgouverneur an seiner Seite, der zwischen dem vierten und dem fünften Lied eingenickt war, mußte sich heftig am Riemen reißen, um nicht einfach draufloszuklatschen; immerhin war er laut Protokoll die höchste Autorität im Saal, Marquis, Grafen und Barone hin oder her. Doch sah das Protokoll eben auch vor, daß der Marquis als erster applaudieren dürfe, und Gesetz war Gesetz. Die Desflors, ein wenig verwirrt ob dieser ungewohnten Stille, seufzte, um deutlich zu machen, daß sie fertig war. Der Seufzer weckte den Marquis aus seiner Verzückung, er schlug mit dem Stock auf den Boden, und endlich klatschten alle, erleichtert darüber, daß dieser unerquickliche Moment ein Ende hatte.

»Wie fandest du es, Nando?«

»Ich möchte mehr davon.«

»Geh hin und biete ihr an, sie auf der Gitarre zu begleiten.«

»Nein, das könnte den Meister an den Tasten kränken. Außerdem klingt sie mit Klavierbegleitung besser.«

Die Desflors verbeugte sich erneut, warf an die dreißig Handküsse ins Publikum, holte Luft und verkündete in einem schauderhaften Kauderwelsch aus Französisch, Italienisch, Monsieur Vidal abgelauschtem Katalanisch und halbverdautem Spanisch, sie würde sich geschmeichelt fühlen, quelque chose in Begleitung des hier anwesenden privilégié compositore dieser Stadt, Ferdinand Flors, zum besten geben zu dürfen. Die Anwesenden tauschten beunruhigte Blicke, da niemand den privilégié compositore dieser Stadt, Ferdinand Flors, kannte. Der Militärgouverneur fragte: »Was sagt die Französin? Ich verstehe dieses welsche Geplapper nicht.« Und der Marquis von Dosrius zuckte die Achseln und stieß ungeduldig mit dem Stock auf den Boden.

Doch noch bevor sich die Ratlosigkeit in allgemeinem Gemurmel Luft machen konnte, tat Andreu einen Satz, schrie, hier, hier, und stieß seinem Freund den Ellbogen in die Seite, Nando, die meinen dich. Ehe Sorts wußte, wie ihm geschah, hatte Andreu ihn schon am Arm gepackt und zu der Sängerin gezerrt. Ach so, aha, der junge Sorts also, murmelten die Leute. Privilégié compositore? Aber das ist doch ein Grünschnabel. Und ich dachte, er sei auf Reisen. Die Desflors sah die beiden jungen Männer näher kommen und fraß sogleich einen Narren an dem Blondgelockten, einem echten Schmuckstück. Aber Monsieur Ferdinand Flors war der andere, der Dunkle, Dürre, Häßliche mit den Koteletten. Und er hieß gar nicht Flors. Die Nachtigall von Orléans verbarg ihre Enttäuschung hinter einem höflichen Knicks und reichte dem ehrfürchtigen Ferran Sorts gnädig die Hand zum Kuß, während sie auf die männliche, klare Stimme ihres Schmuckstücks lauschte, der ihr erklärte, der Name des Komponisten sei nicht Flors, sondern Sorts. Die Desflors musterte Andreu ungeniert von Kopf bis Fuß, wandte sich dann ab und ignorierte ihn geflissentlich. Viele der Anwesenden rümpften die Nase, als sie diesen unbekannten jungen Mann, der nicht einmal anständig gekleidet war (sagt, was Ihr wollt, es ist mir unbegreiflich, wieso man ihn hereingelassen hat), hier so ungeniert herumspazieren sahen. Ein paar unachtsame junge Damen applaudierten dem privilégié compositore, ach so, den Nando Sorts hat sie gemeint, sie drückt sich aber auch zu seltsam aus, diese Französin. Das hätte sie doch gleich sagen können. Die Desflors sagte zu ihrem Pianisten:

»Wenn Ihr gestattet, Monsieur Vidal?«

»Mit dem größten Vergnügen.« Der Pianist erhob sich, seinen Ärger hinunterschluckend.

»Es ist mir eine Ehre«, stammelte Sorts, der schrecklich aufgeregt war. Er gab das Päckchen an Andreu weiter, verlier es nicht, es ist ein Auftrag, und Andreu drückte ihm den Ellbogen, auf, Nando, zeig, was du kannst. Dann zog er sich zum Bedauern der Desflors mit dem Päckchen seines Freundes nach hinten an die Wand zurück. Sorts nahm am Piano Platz, und Marie de l’Aube Desflors verkündete: »D’abord, l’amour«, als müßte, wer sie begleitete, selbstverständlich ihr Repertoire im Kopf haben. Mit heimlicher Schadenfreude zeigte Maître Vidal dem jungen Sorts eine Partitur, die auf dem Klavier lag, zwinkerte ihm zu und flüsterte noch hilfsbereit: »Adagio molto lento.«

Während er umständlich auf dem Hocker Platz nahm, hatte Ferran Sorts Zeit, die erste Seite des Lieds zu studieren und festzustellen, daß die Empfehlung des Pianisten vollkommen absurd war. »Trottel«, murmelte er vor sich hin und schlug ein entschiedenes, klares Vivace an. Beim fünften Takt war er sicher, daß er recht hatte. Alles lief wie am Schnürchen, vielleicht sogar besser als mit Monsieur Vidal. Als das Stück zu Ende war, stand Sorts auf, nahm überrascht zwei Küsse der Sängerin entgegen, die eigentlich seinem Freund galten, und zog sich unter Applaus in seine Ecke zurück. Neben ihm stand Monsieur Vidal, und Sorts nutzte die Gelegenheit, ihm lächelnd zuzuflüstern, er solle sich verziehen.

»Wie bitte? Was sagtet Ihr?«

»Schert Euch zum Teufel.«

Noch bevor der Pianist reagieren konnte, rief die Desflors den jungen compositore nach vorn, um den Beifall des Publikums entgegenzunehmen.

»Ihr seid ein guter Musiker, mon cher«, sagte sie. Schon seit einer geraumen Weile waren die Lakaien damit beschäftigt, nach und nach die zweihundert Wachskerzen an den fünfundzwanzig Kandelabern des Saals auszutauschen. Marie de l’Aube Desflors stand lachend zwischen dem jungen Sorts und Andreu, der seinen ehrfürchtigen Blick nicht von ihr wenden konnte. Die drei, der schweigende Pianist und ein weiteres Grüppchen, darunter Doktor Dalmases, probierten die Köstlichkeiten, die der Marquis seinen Gästen vorsetzte, um zu beweisen, daß er sehr wohl in der Lage war, ein ebenso üppiges Bankett auszurichten wie die Marquise von Polastron. Marie de l’Aube Desflors schob sich gerade eine warme Krokette in den Mund und verschlang dabei mit den Blicken den entflammten Andreu, während der junge Sorts die Hoffnung aufgegeben hatte, Rechtsanwalt Terradelles – der sich doch sonst kein Konzert entgehen ließ – unter den Gästen zu entdecken, und sich mit dem Gedanken abfand, das Päckchen den ganzen Abend mit sich herumzuschleppen.

Der Militärgouverneur, zutiefst angetan vom großzügigen Busen der Sängerin, hatte mehrere strategisch geplante Annäherungsversuche unternommen, indem er sich allmählich, das Glas in der Hand, von Gruppe zu Gruppe an sie heranpirschte. Aber es war nicht zu übersehen, daß die Desflors ihm auswich und die öde Gesellschaft dieses schlaffen Jüngelchens vorzog. Und da er kein Aufsehen erregen wollte, hatte er sich als höchster Stellvertreter des Hauses Bourbon in Katalonien der in diesem Saal herrschenden strengen Etikette zu fügen. So mußte er, ein erfahrener Liebhaber exotischer Frauen, zusehen, wie ihm die Französin durch die Lappen ging, und sich statt dessen mit interessierter Miene anhören, wie ihn dieser und jener, ebenfalls ein Glas in der Hand, um dieses und jenes anging. Während er so tat, als suchte er nach einer Antwort, schwor er sich, morgen, spätestens übermorgen werde ihm die Französin zu Füßen liegen. Oder noch besser, in seinem Bett. Und was ich sage, gilt, verdammt noch mal.

Sa Senyoria Don Rafel Massó plagten andere Sorgen. Mitten im Konzert hatte ihn plötzlich ein heftiger Harndrang überkommen, dem er noch nicht hatte nachgeben können. Der vagen Beschreibung eines Lakaien folgend, tappte er einen dunklen Gang entlang, an dessen Ende ihm ein unverkennbarer Geruch verriet, daß die Rettung nahe war, ein düsterer Raum, in dem etwa ein Dutzend Nachttöpfe stand. Nachdem er nervös die komplizierten Verschlüsse an seinen Beinkleidern aufgenestelt hatte, konnte Don Rafel sich endlich erleichtern. Danach stand er eine Weile gedankenverloren da, das Glied noch in der Hand, als ob ihn der beißende Uringeruch zum Nachdenken anregte. In letzter Zeit fragte sich Don Rafel oft – öfter, als gut für ihn war –, ob er wirklich glücklich sei, und immer mußte er die Frage verneinen. Ein Mann, in dessen Leben Erfolg und Mißerfolg einander die Waage hielten, mochte sich wohl glücklich schätzen; wer aber in ständiger Herzensangst lebte, stets auf der Hut sein mußte, um nicht von Feinden überrascht zu werden, die hinter der nächsten Ecke lauern konnten, dessen Glück hatte sich aufgelöst wie Rauch und war unwiederbringlich dahin. Sa Senyoria schüttelte die letzten Tropfen ab und riß sich mit einem betrübten Seufzer von seinen Gedanken los. Als er den Hosenlatz zuschnürte, kam der Baron von Xerta in sichtlichen Nöten hereingestürzt.

»Diese Singerei schlägt offenbar auf die Blase«, sagte er, als er Don Rafel sah. Dieser antwortete knapp »Wie wahr«, und der Baron fuhr fort: »Ich fürchte, wir dürfen erst gehen, wenn der Militärgouverneur die Französin erobert hat.«

Don Rafel verkniff sich zu sagen, du bist und bleibst ein Kretin, daran ändert auch dein Titel nichts, und eines Tages werde ich selber Baron sein. Und als der Baron von Xerta sich zum Pinkeln sittsam umdrehte, verachtete Don Rafel ihn noch mehr, weil er seine Frau nicht verdiente; in dieser Welt ist so vieles ungerecht verteilt, ach, meine Gaietana! Durch diesen ehebrecherischen Gedanken und das flüchtig auftauchende Bild von Elviras vorquellenden Augen abgelenkt, hörte der Gerichtspräsident von Barcelona nicht, wie der Baron von Xerta mit einem üppigen, munteren, vor allem aber völlig gedankenlosen Plätschern sein Wasser abschlug.

»Ihr kennt das Leben nicht«, sagte Marie de l’Aube Desflors, während sie ihre Röcke schürzte, ihr Strumpfband löste und einen weißen Strumpf mit einer Selbstverständlichkeit abstreifte, die Andreu schamlos erschien.

»Und Ihr?»

Statt einer Antwort lachte sie nur, hielt mitten in der Bewegung inne, ein Bein nackt, den Fuß auf dem Schemel, und deutete kokett auf den Jungen.

»Wie alt schätzt Ihr mich? Nun sagt schon.«

Andreu kratzte sich den Lockenkopf: »Was weiß ich, Madame, ich bin nicht gut im Schätzen«, lächelte verlegen und dachte bei sich, Vorsicht, Andreu, daß du ja nicht in irgendein Fettnäpfchen trittst. Aber die Desflors kannte kein Pardon. Der Knabe gefiel ihr, sie hatte ihn sich geschnappt und mit auf ihr Zimmer genommen. Nun schuldete er ihr eine Antwort: »Ziert Euch nicht so. Sagt schon, für wie alt haltet Ihr mich? Und keine Bange«, sie nahm den Fuß vom Schemel, schloß die Augen und neigte sich zu dem Jungen hin, »ich bin herbe Enttäuschungen gewöhnt.« Sie packte ihn am Arm: »Wie alt?«

»Was weiß ich, Liebste …«

»Ihr traut Euch nicht?«

»Dreißig.«

Beschämt über seine Lüge, schlug er die Augen nieder.

Marie de l’Aube Desflors seufzte und verpaßte ihm zwei schmatzende Küsse, die verrieten, daß die Dame mit der Engelsstimme die Vierzig weit überschritten haben mußte.

»Meint Ihr nicht, wir sollten uns duzen?« schlug er mutig vor.

Sie lachte girrend und wandte ihm den Rücken zu. Sich duzen war auch eine Art und Weise, sich zu entblößen.

»Schnürst du mich bitte auf?«

Er kam ihrer Bitte mit einigem Geschick nach, was ihm einen weiteren Kuß eintrug. Als das Kleid zu ihren Füßen lag, drehte sich die Nachtigall von Orléans herum und kam auf ihn zu. Ihr Busen drohte das Korsett zu sprengen.

»Laß mich dich ausziehen. Was ist denn das?«

»Ein Medaillon.«

»Leg es ab.«

»Das tue ich nie.«

»Heute schon. Ich will dich ganz und gar nackt.«

Und so legte Andreu Teresas Medaillon ab.

Die Sängerin schien bei der Liebe ihre ganze Phantasie einzusetzen, denn es war nicht zu übersehen, daß allein das Ausziehen Andreus ihr große Lust bereitete. Als er nur noch in Unterhosen dastand, fühlte Andreu sich schutzlos, und sie spürte es.

»Laß mich dir das hier auch noch ausziehen, mon cher.«

Zärtlich zog sie die Unterhose herunter, kniete nieder und nahm in Augenschein, was er vorzuweisen hatte.

»Und du … ziehst du dich nicht aus?« stammelte Andreu.

»Doch … aber ich liebe es, einen nackten Mann an meiner Seite zu haben.« Sie seufzte. »In den Salons hat man das nie.«

»Oh, aber in Frankreich …«, wandte Andreu ein.

»In Frankreich, in Frankreich«, äffte sie ihn nach. »Glaub nicht alles, was über Frankreich behauptet wird.«

Sie schlang ihren Arm um Andreus Hüfte und führte ihn zu dem großen Spiegel am Fußende des Bettes. Sie stellten sich davor, als posierten sie im Atelier des Malers Tremulles.

»Würde es dir nicht gefallen, wenn man uns so malte, mon chouchou?«

»Mon quoi?« fragte Andreu, beschämt, weil seine wachsende Erregung deutliche Form annahm, was die Sängerin zu entzücken schien.

»Mon quoiquoi«, sagte sie und begann geschickt, ihn zu liebkosen. Dann drängte sie: »Zieh mich aus, quoiquoi.«

Sie löschten die drei Lampen im Zimmer nicht, denn Madame genoß es, ihren Liebhaber in dieser Nacht mit ihren Blicken ebenso zu verschlingen wie mit ihrem Körper. Und Quoiquoi machte die Erfahrung, daß Marie de l’Aube Desflors nicht nur eine ausgezeichnete Sängerin mit einer zarten und doch kraftvollen Engelsstimme war, sondern auch außerordentlich gut im Bett.

»Wer war denn dieses Milchgesicht?«

»Wen meint Ihr, Monsieur Vidal?« Senyor Arcs, der Assistent des Impresarios, dafür abgestellt, den Künstlern ihren Aufenthalt in Barcelona so angenehm wie möglich zu machen, fühlte sich unbehaglich, denn man hatte ihm schon von der notorischen Übellaunigkeit dieses Pianisten berichtet, dessen Lebensaufgabe darin bestand, die Desflors durch Wind und Wetter zu begleiten, wohin auch immer ihre Wege sie führten.

»Na, diesen Flegel, der heute abend meinen Platz eingenommen hat.«

»Ah, Nando Sorts! Eigentlich heißt er Josep Ferran Sorts, ist Komponist und spielt ausgezeichnet Gitarre.«

»Und Klavier.« Monsieur Vidal leerte sein Glas, und Senyor Arcs schenkte nach, um dem Blick des Pianisten zu entgehen.

»Ihr kommt sicher viel herum im Laufe eines Jahres.«

»Und dabei ist er noch so jung. Wie alt mag er sein? Zwanzig?«

»Wer, Monsieur Vidal?«

»Dieser Bursche. Sorts.«

»Ach so. Das weiß ich nicht. Aber er ist jung, ja. Wohin geht’s denn von Barcelona aus weiter?«

»Man merkt, daß er etwas von Musik versteht. Komponist, sagt Ihr?«

»Hmmm? Ja, ja … Er hat viele Stücke für Gitarre geschrieben. Und vor ein paar Jahren wurde eine Oper von ihm aufgeführt. Ich weiß aber nicht mehr, wie sie hieß, das waren so fremdländische Namen, wißt Ihr?«

»Wie aufregend! Sicher hält er sich für einen neuen Mozart.«

Er hob das Glas und kippte es in einem Zug hinunter. Arcs nutzte die Pause, um das Thema zu wechseln: »Ach, was gäbe ich darum, einmal Paris zu kennenzulernen, Monsieur Vidal!«

»Wahrscheinlich ist der Umgang mit diesem Kerl ganz unerträglich! Wer weiß, was er sich alles einbildet!«

»Ach ja, Paris …« Wieder schenkte Arcs Monsieur Vidal nach, dessen Blick allmählich glasig wurde. Er sah sich um. Im Salon, der neben dem Vestibül des Hostal Quatre Nacions lag, war es still, alle Tische bis auf den ihren waren unbesetzt. Ein Kellner mit einem gewaltigen Schnauzbart löschte nach und nach die Lampen und ließ nur in ihrer unmittelbaren Nähe die Lichter brennen. Von Zeit zu Zeit kam ein Gast von der Straße herein, dann sah man durch die Glasscheiben des Salons seinen Atem in Schwaden aufsteigen, während er sich den kalten Straßendreck von den Schuhen streifte. Monsieur Vidal schwieg eine Weile, den Blick gedankenverloren auf den Grund seines Glases geheftet, als suchte er dort nach der Wahrheit.

»Ich habe es verdammt noch mal satt, diese Hure am Klavier zu begleiten.«

»Wie meinen?«

»Ihr und ich«, sagte der Pianist, »wir sitzen hier und ertränken unseren Kummer, nicht wahr? Nun, und wißt Ihr, was die … die …«, seine Stimme triefte vor Hohn, »die Madame derweil macht? Die große Sängerin?« Er hob das Glas hoch und sah Arcs an.

»Ich … keine Ahnung. Ich habe nicht darüber nachgedacht.«

»Sie treibt’s oben in ihrem Zimmer.«

»Äähh …«

»Und wißt Ihr auch, mit wem? Mit ihrem Sorts, diesem Jahrmarktsmusikanten.« Er knallte das Glas wieder auf den Tisch.

»Woher wollt Ihr das wissen? Meint Ihr nicht …«

»Woher ich das weiß?« Vidal lachte bitter. Er warf sich in seinem Stuhl zurück und deutete auf den armen Arcs, der keinerlei Lust auf eine Szene hatte. »Die Desflors ist eine Frau Nimmersatt, mein Freund. Und immer verlangt sie nach Frischfleisch, nach neuen, jungen, unverbrauchten Burschen.«

Er lehnte sich wieder nach vorn und packte das Glas, als wollte er es zerbrechen. »Alte Kerle wie Ihr und ich, die haben bei ihr nichts zu melden, die würdigt sie keines Blickes.«

Senyor Arcs hielt den Augenblick für gekommen, den strategischen Rückzug einzuläuten. Leider hatte er strikte Anweisung, die Musiker nicht allein zu lassen, bis sie sich auf ihre Zimmer zurückzogen, aber Monsieur Vidal hatte eigentlich genug geladen, um ihn ins Bett zu verfrachten.

»Das gibt ihr Kraft zum Singen«, sinnierte der Pianist.

Nach dieser Grundsatzerklärung stand er schwerfällig auf. Erleichtert tat Senyor Arcs es ihm nach, aber so einfach war die Sache nicht.

»Wollen wir nachsehen?« Vidal deutete an die Decke des Vestibüls. »Wollt Ihr sehen, wie sie da oben mit dem jungen Sorts zusammensitzt … Tschuldigung«, er rülpste ungeniert, »ich meine, zusammenliegt?« Er schüttelte den Kopf. »Sicher machen sie gerade die schönste Musik der Welt.« Er lachte über seinen eigenen Scherz.

Senyor Arcs versuchte dagegenzuhalten, aber Monsieur Vidal, ich glaube Euch ja, so setzt Euch doch, wo wärt Ihr besser aufgehoben als hier, bei einem guten Schluck unter Freunden? Er drückte ihn wieder auf seinen Stuhl und schenkte nach, bevor der andere reagieren konnte. Aber der Pianist sprang erneut auf und zeigte überrascht auf die Salontür, als stünde dort ein Geist. Der Geist war von der Straße hereingekommen und streifte sich gerade im Vestibül den Schmutz von den Schuhen. Es war der junge Sorts. Er hatte durchs Fenster hindurch die beiden einsamen Zecher erspäht und beschlossen, ihnen Gesellschaft zu leisten. Sich die Hände reibend, trat er in den Salon. Er trug eine Leutnantsuniform und hatte noch immer das schmale, gut verschnürte Päckchen bei sich. Doch noch bevor er den Tisch der beiden nächtlichen Trinker erreicht hatte, blieb er erstaunt stehen, denn Monsieur Vidal wies anklagend auf ihn und rief, seht Ihr? Seht Ihr? Wie ich Euch gesagt habe! Er wankte auf Sorts zu.

»Guten Abend, die Herren«, grüßte dieser. Er wollte gerade nach Andreu fragen, da schlug ihm Monsieur Vidals Weinfahne ins Gesicht.

»Wie war’s? Habt Ihr die Unersättliche befriedigt?« Theatralisch trat Vidal einen Schritt zurück, um die Wirkung seiner Worte zu beurteilen. »Ist es Euch gelungen, das Feuer dieses glühenden Leibes zu löschen, Monsieur?«

Wie von seinen Worten erschöpft, sank der Pianist schwer zurück auf seinen Stuhl. Ferran Sorts sah sich nach allen Seiten um und dann fragend zu Senyor Arcs. Was um Himmels willen ist denn in den Franzosen gefahren? Der scheint ja voll zu sein wie ein Faß. Wißt Ihr, wovon er spricht? Unterdessen schien der Franzose auf seinem Stuhl aus seiner Lethargie zu erwachen und sagte bedächtig, wie nach langem, sorgfältigem Nachdenken:

»Wißt Ihr, daß sie einen ganz wunderbaren Körper hat? Einmal habe ich sie zufällig nackt gesehen … In Cremona … Habt Ihr sie in Euren Armen gehalten? Wart Ihr gerade mit ihr im Bett?«

Sorts sah ihn pikiert an: »Wenn Ihr die Dame meint, die wir beide am Klavier begleitet haben, so laßt Euch gesagt sein, daß ich sie nicht gesehen habe, seit wir das Fest des Marquis verlassen haben. Ich bin nach Hause gegangen, um mich umzukleiden, weil ich auf Reisen gehe. Und von zu Hause bin ich auf geradem Weg hierhergekommen.«

»Verdammter Lügner. Was habt Ihr hier im Hotel zu suchen?«

»Ich warte auf einen Freund. Und ich dulde nicht …«

»Schon gut, schon gut«, unterbrach ihn Vidal mit ausgebreiteten Armen. »Keine weiteren Erklärungen. Ich habe genug gehört. Setzt Euch. Ich lade Euch ein …«

Sorts sah zu Senyor Arcs hinüber, zuckte die Schultern, legte das Päckchen auf den Tisch und nahm Platz.

»Wenn hier jemand einem anderen eine Erklärung schuldet, so seid Ihr es«, stellte er fest.

»Ich bin betrunken. Man sagte mir, Ihr hättet eine Oper geschrieben.«

»Tellemaco nell’isola di Calipso«, sagte Sorts, und ein wenig Stolz schwang in seiner Stimme mit. Alle Beleidigungen waren vergessen.

»Seht Ihr?« mischte sich Arcs ein, erleichtert über die Wendung des Gesprächs. »Fremdländische Namen.«

»Mozart hat das Italienische zugunsten des Deutschen aufgegeben.«

»Das würde ich nie tun«, erwiderte Sorts, noch immer stolzerfüllt. »Italienisch ist die Sprache der Oper.«

»Wollt Ihr etwa behaupten, Mozart habe sich geirrt?«

»Er ist nicht der einzige Komponist auf der Welt. Nehmt Le Sueur, zum Beispiel, oder Cherubini …«

»Cherubini! Der König von Paris! Daß ich nicht lache, Monsieur Sorts! Cherubini ist Freimaurer und hat, obwohl er Italiener ist, eine Oper auf französisch geschrieben!«

»Tatsächlich?«

»Medée. Schauderhaft.«

Sorts schwieg und bediente sich aus der Flasche, die auf dem Tisch stand. Das volle Glas in der Hand, sah er sein Gegenüber an.

»Was habt Ihr eigentlich gegen mich, Monsieur Vidal?«

Der Pianist sah ihn an und lächelte. Der Kellner, der zuvor im Salon Tische und Stühle zurechtgerückt hatte, war verschwunden. Nur die Lampe über ihrem Tisch brannte noch. Im Vestibül hatte das Kommen und Gehen ein Ende gefunden, denn um diese Zeit lagen die rechtschaffenen Bürger längst in ihren Betten. Am Empfangstisch schlummerte friedlich, die mottenzerfressene Perücke schief auf dem Kopf, der Nachtportier. Alles im Hostal Quatre Nacions schlief – bis auf die drei Nachtschwärmer im Salon.

»Ich will Euch erzählen, was ich vor fast vierzig Jahren erlebt habe«, murmelte Monsieur Vidal vertraulich, ohne auf Sorts’ Frage einzugehen. »Habt Ihr jemals von Monsieur Jean-Marie Leclair gehört?«

Einen Augenblick lang herrschte Stille. Arcs und Sorts waren verwirrt, der Pianist führte wieder das Glas zum Mund.

»Nein, der Name sagt mir gar nichts. Euch etwa?«

Auch Sorts schüttelte den Kopf.

»Natürlich nicht! Was hätte man auch anderes erwarten können!« Monsieur Vidal nahm einen tiefen Schluck und warf einen Blick an die Decke, als wollte er seine Herrin durchbohren. »Wißt Ihr, warum sie allein reist?«

Die anderen beiden waren verunsichert. Leclair? Die Desflors?

»Die Schlampe stellt nur steinalte Gesellschafterinnen ein und wirft sie bei der erstbesten Gelegenheit raus. Sie will nicht, daß jemand Zeuge wird, wie sie …« Er faßte sich in den Schritt und sah Arcs und Sorts an. »Ihr versteht schon.«

Monsieur Vidal stand auf, er schwankte noch stärker als zuvor. Mit dem Glas in der Hand tat er ein paar unsichere Schritte.

»Ich war damals noch jung und feucht hinter den Ohren. Und ich war noch nicht auf so jämmerliche Tätigkeiten angewiesen wie heute …«

»Nun, nun …«, begann Sorts beschwichtigend, aber Vidal wollte sich nicht bemitleiden lassen, er wollte seine Geschichte loswerden.

»Zu jener Zeit studierte ich Musik.« Er hob das Glas. »O ja, die Studienzeit; o ja, die goldenen Tage, in denen ich die Geheimnisse des Lebens entdeckte … denn danach …« Er leerte sein Glas auf jene goldenen Tage, dann knallte er es so laut auf den Tisch, daß der Nachtportier im Vestibül aus dem Sessel auffuhr, sein Schnarchen für einen Augenblick unterbrach, schluckte und wieder einschlief. »Ich scheiß auf die Revolution, sie hat unser Leben ruiniert«, fuhr Monsieur Vidal fort und zeigte auf Sorts. »Das einzige, was ich gelernt habe, ist, daß das Leben öde ist. Versteht Ihr? Öde!«

»Und was wolltet Ihr uns von Monsieur … Monsieur …«, meldete sich Arcs zu Wort.

»Leclair?«

»Ja.«

»Ich habe zugesehen, wie er umgebracht wurde.« Mit einem alkoholvernebelten Blick prüfte er die Reaktion seiner Zuhörer. »Der Neid hat ihn umgebracht: Ein mittelmäßiger Musiker tat es, der nicht ertragen konnte, daß Leclair so viel Schönes geschaffen hatte …«

Er warf sich in seinen Stuhl zurück, um im dunklen Hintergrund des Salons nach mehr Wein zu verlangen, aber sein Schwung war so groß, daß er zu Boden krachte. Arcs, der sich verdrossen auf seinen Auftrag besann, dem Künstler den Abend so angenehm wie möglich zu machen, half ihm eilig, sich wieder aufzurappeln. Monsieur Vidal klopfte sich den Staub von den Kleidern, um die Würdelosigkeit dieses lächerlichen Sturzes vergessen zu machen, und nahm wieder Platz, ohne Arcs für seine Hilfe zu danken.

»Mit einem Messerstich ins Herz hat er ihn niedergestreckt.« Er deutete theatralisch auf seine Leber. »Und als er dann am Boden lag, stach ihm der Mörder in die linke Hand …« Zur Verdeutlichung wies er nicht minder dramatisch auf seine Rechte.

»Und warum das alles?« fragte Sorts verwundert.

»Ein Ritualmord, mein Freund. Leclair war ein Violinvirtuose. Versteht Ihr? Ins Herz, weil er Musik schrieb, und in die Hand, weil er sie spielte.«

»Schön, schön«, sagte Arcs unbedacht, der sich nichts sehnlicher wünschte, als diesen Tag einigermaßen anständig hinter sich zu bringen.

»Schön?« schrie Monsieur Vidal. »Schön? Es ist phantastisch!«

»Was?« fragte Arcs verblüfft.

»Dieser unbedeutende Musiker, mein Freund, hat etwas Bedeutendes zuwege gebracht.«

»Ach ja?«

»Ja. Ein Kunstwerk. Einen künstlerischen Mord! Wahrscheinlich das einzige Kunstwerk, das er je im Leben geschaffen hat.«

Er blickte interessiert auf den Grund seines Glases, als suchte er darin nach den Antworten auf alle Fragen des Lebens.

»Ein Kunstwerk!« wiederholte er, wie um sich selbst zu überzeugen, und lachte.

»Aber … Aber du … dachtest du etwa …«

Marie de l’Aube Desflors brach in Gelächter aus. Das glockenhelle Perlen erinnerte Andreu an den Beginn der Arie Dorindas, und das kränkte ihn. Plötzlich wurde die Sängerin wieder ernst: »Nun komm, sei nicht albern.«

Andreu fühlte sich zutiefst gedemütigt. Noch immer halb nackt, betrachtete er die üppige Frau, die es offensichtlich