Autor: Eric Shanes

Redaktion der deutschen Ausgabe: Klaus H. Carl

 

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ISBN: 978-1-78310-292-1

Eric Shanes

 

 

 

 

Salvador Dalí

 

 

 

 

 

 

 

 

INHALT

 

 

Einleitung

Die Meisterwerke

Ausgewahlte Bibliographie

Chronologie

 

A

Afrikanische Impressionen, 1938

Angelus, um 1932.

Das Angelus-Läuten (Angelus), 1857-1859, Jean-François Millet.

Das anthropomorphische Kabinett, 1936

Der Apotheker von Ampurdàn, der absolut nichts sucht, 1936

Die Apotheose des Homer, 1944-1945

Apparat und Hand, 1927

Der architektonische Angelus von Millet, 1933

Atavistische Spuren nach dem Regen, 1934

Die Auflösung der Beständigkeit der Erinnerung, 1952-1954

Das Auge (Entwurf für den Film Spellbound), 1945.

 

B

Badende, 1928

Der Bahnhof von Perpignan, 1965

Die Beständigkeit der Erinnerung, 1931

Bildnis Galas mit zwei Lammkoteletts im Gleichgewicht auf der Schulter, 1933.

Bildnis von Paul Éluard, 1929

Die brennende Giraffe, 1936-1937

 

C

Christus des Heiligen Johannes vom Kreuz, 1951

 

D

Dali von hinten, Gala von hinten malend, die von sechs virtuellen, sich vorübergehend in sechs echten Spiegeln widerspiegelnden Hornhäuten verewigt wird (unvollendetes Werk), 1972-1973.

Drei junge surrealistische Frauen, die Haut eines Orchesters in ihren Armen haltend, 1936.

 

E

Der Engel von Port Lligat, 1952.

Die Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus, 1954

Entmaterialisierung der Nase Neros, 1947.

Die Entwöhnung von der Möbel-Ernährung, 1934

Entwurf für die Inneneinrichtung einer Stall-Bibliothek, 1942

Der erhabene Augenblick, 1938

Erscheinung von Gesicht und Obstschale am Strand, 1938

Die ersten Tage des Frühlings, 1929

 

F

Frau vor den Felsen Penya-Segats, 1926.

Fünfzig abstrakte Gemälde, die aus einer Entfernung von zwei Yards zu dreimal Lenin, als Chinese verkleidet, werden und aus einer Entfernung von sechs Yards wie der Kopf eines Königstigers aussehen, 1963

 

G

Gala und der Angelus von Millet vor der unmittelbaren Ankunft der konischen Anamorphosen, 1933

Galas Schloss in Púbol, 1973.

Die Geburt der flüssigen Begierden, 1931-1932

Geological Destiny (Das geologische Werden), 1933.

Gesicht der Mae West, das als Wohnung benutzt werden kann, 1934-1935

Das Gesicht des Krieges, 1940

Gradiva, 1933.

Der Große Masturbator, 1929

Der große Paranoide, 1936

 

H

Der Hafen von Cadaqués am Abend, um 1918

Der halluzinogene Torero, 1969-1970

Helena Rubinsteins Kopf an eine Felsklippe gekettet, 1942-1943

Herkules, der die Haut des Meeres lüftet, bittet Venus, einen Augenblick zu warten, bevor sie Amor aufweckt, 1963

Honig ist süßer als Blut, 1941.

Hummer-Telefon, 1938

Hüte, entworfen für Elsa Schiaparelli, 1936.

 

J/K

Junges Mädchen am Fenster, 1925

Der Koloss von Rhodos, 1954

Kubistisches Selbstporträt, 1923

 

L

Landschaft in der Nähe von Cadaqués, 1920-1921

Lebendes Stillleben, 1956

Leda Atomica, 1949

Das letzte Abendmahl, 1955

 

M

Mad Mad Mad Minerva (Verrückte, verrückte, verrückte Minerva), 1968.

Die Madonna von Port Lligat, 1950

Das Mädchen aus Figueres, 1926.

Das Mae-West-Lippensofa, 1938

Manchmal speie ich mit Vergnügen auf das Bild meiner Mutter (Das Heilige Herz), 1929

Maximale Geschwindigkeit der Madonna von Raffael, 1954.

Meine nackte Frau beim Betrachten ihres eigenen Körpers, der sich in Treppen, drei Wirbel einer Säule, Himmel und Architektur verwandelt, 1945.

Die Metamorphose des Narziss, 1937

Morphologisches Echo, 1936

 

N

Nacht- und Tagkleidung, 1936.

Napoleons Nase, verwandelt in eine Schwangere, die melancholisch seinen Schatten zwischen Originalruinen spazieren führt, 1945.

 

P

Ein Paar, die Köpfe voller Wolken, 1936

Partielle Sinnestäuschung: Sechs Erscheinungen Lenins auf einem Flügel, 1931

Die Poesie Amerikas – Die kosmischen Athleten, 1943.

Porträt der María Carbona, 1925.

Porträt der Vicomtesse Marie-Laure de Noailles, 1932

Porträt meines toten Bruders, 1963

Porträt von Gala, 1935

Porträt von Isabel Styler-Tas, 1945

Porträt von Luis Buñuel, 1924

Porträt von Picasso, 1947

Porträt von Sir Laurence Olivier in der Rolle Richards III., 1955

 

R

Das Rätsel der Begierde: Meine Mutter, meine Mutter, meine Mutter, 1929

Das Rätsel Hitlers, 1939

Das Rätsel Wilhelm Tells, 1933

Raphaelesque Head Exploding (Raffaelitischer Kopf, explodiert), 1951

Reiterbildnis von Carmen Bordiu-Franco, 1974.

 

S

Santiago El Grande, 1957

Satirische Komposition (Der Tanz von Henri Matisse), 1923

Die Schafe, 1942

Schlaf, 1937

Schlafende unsichtbare Frau, Pferd und Löwe, 1930

Schwäne, die Elefanten spiegeln, 1937

Der Schwalbenschwanz (aus der Serie der Katastrophen), 1983

Selbstbildnis mit Raffaels Hals, 1921.

Shades of Night Descending (Schatten der hereinbrechenden Nacht), 1931

Singularities (Singularitäten), 1937.

Sklavenmarkt mit der verschwindenden Büste Voltaires, 1940

Spanien, 1938

Die Spektralkuh, 1928.

Spiegeleier auf dem Teller ohne den Teller, 1932.

Studie zur Titelseite der Zeitschrift Minotaurus No. 8, 1936.

Surrealist Horse – Woman-Horse (Surrealistisches Pferd – Pferdefrau), 1933.

Surrealistische Architektur, um 1932

 

T

Der Thunfischfang, 1967.

Der Traum, 1931

Traum, verursacht durch den Flug einer Biene um einen Granatapfel eine Sekunde vor dem Aufwachen, 1944

Tristan und Isolde (Bühnenbildentwurf für das Ballett Mad Tristan), 1944.

 

U

Unbefriedigte Wünsche, 1928

 

V

Venus von Milo mit Schubladen, 1936

Verletzte weiche Uhr, 1974.

Die Versuchung des Heiligen Antonius, 1946

Der verwundete Vogel, 1928

Von den Hörnern ihrer eigenen Keuschheit autosodomisierte jugendliche Jungfrau, 1954

Vorzeitige Verknöcherung eines Bahnhofs, 1930

 

W

Weiche Konstruktion mit gekochten Bohnen: Vorahnung des Bürgerkriegs, 1936

Weiche Schädel mit Spiegeleiern ohne Teller, Engeln und weichen Uhren in Engelslandschaft, 1977.

Weiches Selbstbildnis mit gebratenem Speck, 1941

Wilhelm Tell, 1930

Der Windpalast, 1972.

Wrack eines Autos, blindes Pferd gebärend, das ein Telefon zerbeißt, 1938.

 

Selbstbildnis mit Raffaels Hals, 1921.

Öl auf Leinwand, 41,5 x 53 cm.

Teatro-Museo Dalí, Figueres.

Einleitung

 

 

 

Der am 11. Mai 1904 als Sohn des Salvador Dalí Cusi und seiner Frau Felipa Domenech in Figueres geborene Salvador Felipe Jacinto Dalí i Doménech war einer der berühmtesten Künstler und, gemeinsam mit seiner Frau Gala, der narzisstischste Selbstdarsteller des 20. Jahrhunderts. Doch auch Igor Strawinsky (1882-1971) hatte 1970 festgestellt, dass Publizität „… alles ist, was von den Künsten übrig bleibt.“ In seinen besten Arbeiten erforschte Dalí aufgrund seiner umfassenden Ausbildung und einer heute nicht mehr selbstverständlichen vollendeten Beherrschung traditioneller, gegenständlicher Maltechniken vielseitige und beständige Bewusstseinszustände. Viele Menschen fühlen sich bei der Betrachtung seiner Bilder allein aufgrund der kontrollierten Gegenständlichkeit, die in seinen späteren Jahren sicherlich half, eine nachlassende Qualität zu überspielen, zutiefst berührt.

 

Dalís weltweiter Popularität haftete zumindest in seinen besten, die kulturellen, sexuellen und sozialen Werte eben dieser ihn lobenden Gesellschaft attackierenden Arbeiten häufig etwas unübersehbar Spöttisches, Scharfzüngiges an. Nicht nur für den Surrealismus, der ja angetreten war, die rationale Basis der Gesellschaft zu untergraben, sondern für die moderne Kunst insgesamt gilt ja nach wie vor die Ansicht, dass sich ein Künstler rebellisch zur Gesellschaft verhalten muss. Aber Dalís Rebellion wurde im Lauf der Jahre und mit wachsendem Erfolg immer dünnblütiger.

 

Der führende Kopf der Surrealisten war der Dichter und Theoretiker des Surrealismus André Breton (1896-1966), der sich später veranlasst sah, Dalí als bloßen Schauspieler und Verräter an den surrealistischen Ideen anzuprangern und ihn in den 1940er Jahren aus der Bewegung auszuschließen. Dies ist insofern nachvollziehbar, als Dalís Kunst sich in diesen Jahren grundlegend von seinen früheren Arbeiten mit der Behandlung der Realität sowie ihrem erschreckenden und irritierenden Aussehen abgewandt hatte. Seine nachlassende, verblassende Rebellion dieser Jahre wirft aber auch ein Licht auf sein Verhalten als Künstler und auf die ihn aushaltende Kultur. Ein Thema, das es durchaus wert ist, untersucht zu werden – auch wenn man nur erfahren möchte, welcher Mensch hinter dem Mythos Dalí steckt.

 

Sein Vater, Don Salvador Dalí y Cusí (1872-1952) war ein angesehener und recht energischer Notar im katalonischen Figueres und zählte dank dieser bedeutenden und respektablen Position zum Establishment der Stadt. Dalí erhielt den Namen seines neun Monate zuvor gestorbenen älteren Bruders, für dessen Tod, einem Gerücht zufolge, der Vater verantwortlich gewesen sein soll. Als Todesursache wurde zwar ein Magen- / Darmkatarrh angegeben, nach Dalí aber soll er tatsächlich an einer auf einen Schlag seines Vaters auf den Kopf des etwa zweijährigen Knaben zurückzuführenden Gehirnhautentzündung gestorben sein. Was auch immer die tatsächliche Todesursache gewesen sein mag, der Tod des Kindes hinterließ bei den Eltern tiefe Schuldgefühle, die dafür sorgten, dass Salvador bei allem, was er tat oder sagte, mit seinem älteren Bruder verglichen und, viel schlimmer noch, als dessen Wiedergeburt und nicht als neuer, selbstständiger Mensch behandelt wurde.

 

Kann man daran zweifeln, dass sich Dalí angesichts dieser Nichtbeachtung seiner Individualität und um seine Eigenständigkeit zu erhalten, gegen das überhöhte Bild seines Bruders wehrte und dagegen rebellierte? Viele Jahre später erinnerte sich Dalí: „… Jeden Tag suchte ich nach neuen Möglichkeiten, meinen Vater in einen Aufruhr von Furcht, Zorn oder Demütigung zu versetzen, um ihn zu zwingen, mich, seinen Sohn, zu betrachten, mich, Salvador, als Gegenstand seiner Abscheu und Schande. Ich verblüffte, provozierte ihn und forderte ihn mehr und mehr heraus. Dalís kindlicher Aufruhr bestand vor allem im Bettnässen, in vermeintlichen Krämpfen, in scheinbare Hysterie übergehenden Schreikrämpfen, in simulierter Stummheit und in aggressiven Handlungen. So warf er etwa einen kleinen Jungen von einer Hängebrücke oder verprügelte einfach mal seine kleine, 1908 geborene Schwester Ana Maria. Zu seinem Widerstand gegen das Verhalten der Eltern gehörten nicht nur seine Tagträume und gelegentlichen Lügen, sondern auch, dass er kindlich-exhibitionistisches Verhalten zeigte oder eine verwesende, von Ameisen bedeckte Fledermaus zerbiss.

 

Jean-François Millet (1814-1875),
Das Angelus-Läuten (Angelus), 1857-1859.

Öl auf Leinwand, 55,5 x 66 cm. Musée dOrsay, Paris.

 

 

Dalí wurde in Figueres in eine staatliche Schule eingeschult und ging im Anschluss an den Unterricht noch auf das Instituto de Figueres. Ab 1916 besuchte er ein von katholischen Maristen geleitetes privates Gymnasium. Hier lernte er zwar auch nicht viel mehr als auf der staatlichen Schule, empfing aber doch bleibende, in seinen späteren Arbeiten wiederzuentdeckende Eindrücke, so etwa vor allem von Jean-François Millets (1814-1875) Angelus-Läuten (1857-1859) und von den von seinem Klassenzimmer aus sichtbaren Zypressen. Aber auch von den Eltern kamen wichtige Einflüsse, schließlich war sein Vater als Jurist ein gebildeter Mann, der sich als Ausgleich für seinen oft recht trockenen Beruf für Musik und Literatur interessierte. Er hatte eine recht umfangreiche Bibliothek, die Salvador ebenfalls zur Verfügung stand. Politisch lag er auf der von Salvador später übernommenen Linie der Republikaner, als Atheist vertrat er in einem sonst streng katholischen Land recht liberale Ansichten. Salvador vertrat in jungen Jahren recht anarchistische Ansichten und hielt überhaupt während seines ganzen Lebens nichts von gutbürgerlichen Werten. Wichtiger als die Bibliothek war für den jungen Salvador aber die Entdeckung der Kunst, die nicht nur von seinem Vater, sondern auch von einem befreundeten Maler ausging, dem Salvador stundenlang bei seiner Arbeit zuschauen konnte. Der Vater schenkte Salvador einige Kunstbildbände aus seiner Sammlung beliebter Monografien und führte ihn damit zur akademischen Malerei des 19. Jahrhunderts und ihrem strengen Realismus. Zu den Malern, die den jungen Salvador am meisten beeindruckten und begeisterten, gehörten auch Modesto Urgell (1839-1919), Mariano Fortuny – der eigentlich Marià Josep Maria Bernat Fortuny i Carbó hieß und dessen Werk Die Schlacht von Tetuan (1862/1872) Salvador Dalí 1962 zu einem eigenen Bild inspirierte - Eugène Carrière (1849-1906) und Manuel Benedito y Vives (1875-1963).

 

Angelus, um 1932.

Öl auf Holz, 16 x 21,7 cm.

Privatsammlung, freundlicherweise

zur Verfügung gestellt von der

Galerie Natalie Seroussi, Paris.

 

 

Pepito Pichot, ein Freund des Vaters und verkrachter Jurastudent, der Salvadors Talent erkannt hatte, dessen Bruder Ramón als impressionistischer Maler in Paris lebte und den auch Pablo Picasso (1881-1973) kannte, bestärkte Salvador in seinen Malversuchen, und so ist es nur logisch, dass Salvador seine ersten Malversuche in der Sommerresidenz der Pichots, einer alten Turmmühle, unternahm. Als etwa 9-Jähriger malte er auf einer alten, wurmstichigen Holztür ein Stillleben mit Kirschen, für deren farbliche Darstellung verwendete er zinnober- und karminrot, für den Lichtglanz setzte er Weiß ein. Um die Grenzlinien zwischen den Realitätsebenen aufzubrechen, so erzählte er später einmal, klebte er Stiele der echten an die gemalten Kirschen, holte einige Holzwürmer aus der bemalten Tür - zog sie somit aus den gemalten Kirschen – und drückte sie in die verlassenen Wurmlöcher der echten Kirschen.

 

Es ist leicht verständlich, dass Salvador von den an den Turmwänden hängenden impressionistischen und pointillistischen Arbeiten Ramón Pichots, die er ja oft betrachten konnte, beeinflusst wurde. Pichot war es auch, der den Vater davon überzeugen konnte, Salvador ab 1917 an der lokalen Zeichenschule in Figueres von Professor Juan Nuñez Fernández Malunterricht unterrichten zu lassen. Salvador lernte zwei Jahre, und, wie er selbst sagte, recht erfolgreich. In dieser Zeit, er war gerade 14 Jahre alt, wurden seine ersten Bilder gemeinsam mit denen zweier anderer Maler ausgestellt. Eine weitere Ausstellung, die „… dem, der Ruhm erlangen wird“, gewidmet war, folgte ein Jahr später im Stadttheater von Figueres, dem Gebäude, das später zu einem nur für seine Arbeiten umgebauten Museum wurde.

 

Ein örtlicher Kritiker bemerkte zu dieser Ausstellung:

 

Derjenige, der verinnerlicht hat, was die bei der Konzertgesellschaft gezeigten Bilder offenbaren, ist im künstlerischen Sinn bereits ein Großer. [...] Wir haben kein Recht über Dalí als den Jungen zu reden, denn tatsächlich ist er bereits ein Mann. [...] Wir haben kein Recht zu sagen, dass er vielversprechend sei, denn eher sollten wir sagen: er gibt bereits. [...] Wir grüßen den neuartigen Künstler und sind ganz sicher, dass in der Zukunft unsere Worte... den Wert einer Prophezeiung haben werden: Salvador Dalí wird ein großer Maler werden.

 

Das war ein berauschendes Lob für einen 14-jährigen Jungen, und es war absolut wahr: Er war schon ein großer Maler.

 

Im Laufe der nächsten beiden Jahre erweiterte das junge Genie seine Horizonte. Er half, eine lokale Studentenzeitschrift herauszubringen, die, um einen breiteren Leserkreis zu erreichen, größtenteils auf Spanisch und nicht auf Katalanisch erschien und zu der Dalí Illustrationen und eine Reihe von Artikeln über große Maler beitrug. Seine Themen bezogen sich auf Michelangelo Buonarroti (1475-1564), Leonardo da Vinci (1452-1519), El Greco (um 1541-1614), Albrecht Dürer (1471-1528), Diego Velásquez (1599-1660) und Francisco Goya (1746-1828).

 

Damit nicht genug, kümmerte er sich auch um Politik, Kultur und Gesellschaft und behauptete 1921 sogar, ein Kommunist zu sein. Natürlich rebellierte er gegen die väterliche Autorität, aber wer tut dies nicht? Und er entdeckte die Freuden der Masturbation sowie die sie gewöhnlich in diesem Alter der Sorge über alle sexuellen Dinge begleitende Selbstverachtung. Das war in Spanien ganz besonders der Fall, wo sexuelle Unerfahrenheit endemisch war und sexuelle Schuld allgemein veröffentlicht wurde. Um zu begreifen, fantasierte die Jugend nicht notwendigerweise von Frauen: Türme und Glockentürme (die vielleicht die Ursache dafür sind, warum es so viele solcher Türme und Glockentürme in seiner Kunst gibt) konnten ihm leicht zur Erektion verhelfen. Er sorgte sich höchstens über die geringe Größe seines Sexualorgans, und seine Sorge darüber machte ihn zum „… Opfer eines unvermeidlichen Gespötts“.

 

Er begriff auch, dass er „… eine sehr starke Erektion haben müsse, um im Stande zu sein, einzudringen. Und mein Problem bestand darin, dass ich immer eine vorzeitige Ejakulation hatte. So früh, dass manchmal schon ein Blick ausreichte, um einen Orgasmus zu haben.“ Es ist durchaus wahrscheinlich, dass es in der Geschichte der Kunst kaum jemals einen solch fleißigen Masturbator gegeben hat und dass ein Voyeur ein so großer Maler wurde, und sicher hat kein Künstler jemals diese Vorlieben ebenso offen zugegeben wie Dalí 1929 und danach.

 

Im Februar 1921 starb Dalís Mutter im Alter von 47 Jahren an Gebärmutterhalskrebs, ein Geschehen, das Dalí ungemein verstörte. Später erzählte er:

 

Ich schwor mir mit meinen vom Weinen verkrampften Zähnen, dass ich meine Mutter von Tod und Schicksal mit den eines Tages um meinen berühmten Namen hell glänzenden Schwertern des Lichts retten würde

 

Im November 1922 heiratete Dalís Vater erneut, wobei er, um dies durchsetzen zu können, ein päpstliches Dispens beachten musste, weil seine zweite Frau, Catalina Domènech, die Schwester seiner verstorbenen Frau war.

 

Obwohl sein Vater kaum mit Salvadors Vorstellungen übereinstimmte und ihm die unsichere Laufbahn immer wieder deutlich machte (nur insgeheim war er froh, dass Salvador ein festes Ziel vor Augen hatte) – schließlich zeigte Salvador für nichts anderes Interesse als für die Kunst – begleiteten er und Salvadors Schwester den angehenden Maler im Frühherbst 1921 nach Madrid, wo er sich an der dortigen Kunstschule, der San Fernando Akademie der Schönen Künste, um die Aufnahme bewerben wollte. Der Aufnahme ging eine Aufnahmeprüfung voraus, in der innerhalb von sechs Tagen eine Zeichnung von Jacopo Sansovinos (1486-1570) Skulptur Bacchus (1511/1518) anzufertigen war. Dalís Zeichnung erreichte zwar nicht das erforderliche Format, doch wurde er dank des gezeigten Talents 1922 aufgenommen.

 

Porträt der María Carbona, 1925.

Öl auf Karton, 53 x 40 cm.

Museum of Fine Arts, Montreal.

 

Frau vor den Felsen Penya-Segats, 1926.

Öl auf Holz, 26 x 40 cm. Privatsammlung.

 

Die Spektralkuh, 1928.

Öl auf laminiertem Holz, 50 x 64,5 cm.

Musée national dart moderne,

Centre Georges-Pompidou, Paris.

 

 

Spiegeleier auf dem Teller ohne den Teller, 1932.

Öl auf Leinwand, 60,3 x 42 cm.

Salvador Dalí Museum, St. Petersburg, Florida.

 

 

Zu dieser Zeit war der Impressionismus, eine Malweise, die er für sich bereits erforscht und erschöpft hatte und die ihm nichts Neues bot, an den Akademien der immer noch alles beherrschende Stil, so dass sich Salvador bald langweilte. Deswegen wandte er sich dem vom Spätimpressionismus und der analytischen Malerei Paul Cézannes (1839-1906) kommenden Kubismus zu und begann, die an der Akademie kaum mehr unterrichteten traditionellen Techniken zu untersuchen. Eines aber faszinierte ihn an dieser Akademie ganz besonders und hinterließ dauerhafte Spuren in ihm: der Umgang mit einigen Kommilitonen wie dem Philosophiestudenten Luis Buñuel (1900-1983), der zum großartigen Regisseur wurde und mit dem Dalí später Filme nach eigenem Drehbuch drehte, und dem später bedeutendsten Dichter im spanisch-sprachigen Gebiet Federico García Lorca (1898-1936), mit dem er eine Zeit lang im Studentenwohnheim ein Zimmer teilte und der trotz seiner internationalen Berühmtheit während eines Aufenthalts in Granada in den Wirren des ausbrechenden Spanischen Bürgerkrieges festgenommen und ohne Urteil erschossen wurde. Salvador Dalí kleidete sich extravagant mit schwarzem Hut und langem Umhang, galt nicht zuletzt deswegen als arrogant und wurde erst akzeptiert, als er sich offen zur Moderne bekannte.

 

Offenbar war nicht nur Dalí mit der Akademie, sondern diese auch mit ihm unzufrieden, denn im Herbst 1923 wurde er wegen aufrührerischen Verhaltens für ein Jahr von der Akademie verwiesen. Als Begründung wurde angegeben, dass er die Ernennung eines modernere Auffassungen vertretenden Malers zum Lehrer an der Akademie unterstützt habe. Als er bei der Bekanntgabe der negativen Entscheidung aus Protest die Versammlung verließ, begannen massive Dalí angelastete Studentenunruhen. Er ging für die Dauer eines Jahres wieder nach Hause, befand sich dort zusammen mit anderen Familienmitgliedern und deren politischen Überzeugungen im Streit mit Behörden und kam ohne Gerichtsurteil vom 21. Mai bis 11. Juni zunächst in Figueres in das Gefängnis, bevor er von Gerona aus freigelassen wurde.

 

Aber auch diese ‘Auszeit’ konnte seine künstlerische Entwicklung nicht bremsen. Er experimentierte mit einigen Stilen, die auf Pablo Picasso und den französischen Maler André Derain (1880-1954) zurückgingen. Seine bereits 1923 im Freien gemalten Bilder von Nackten sind von Henri Matisses (1869-1954) fließendem, linearen Stil und vom Pointillismus beeinflusst. Dalí durfte im Herbst 1924 an die Akademie zurückkehren und beschäftigte sich neben den üblichen Studien zunächst mit dem Kubismus und dem Purismus. Aber parallel dazu übernahm er, ebenfalls unter Picassos Einfluss, aus dessen neoklassischer Periode der 1920er Jahre eine detaillierte gegenständliche Maltechnik, ließ aber auch die romantischen Maler wie etwa Caspar David Friedrich (1774-1840) nicht außer Acht. Dieses Probieren unterschiedlicher Stile lässt den Schluss zu, dass er seine ureigenste Malweise noch nicht gefunden hatte.

 

Zurück an der Akademie, erneuerte er seine Freundschaften, wobei sich die mit Lorca wegen ihrer beiderseitigen Favorisierung des Surrealismus als besonders zukunftsträchtig erweisen sollte. Allerdings verweigerte Dalí eine von Lorca möglicherweise angestrebte sexuelle Beziehung. Bei zwei Gelegenheiten jedoch, wahrscheinlich 1926, und sicher im Geist des sexuellen Experimentierens, erlaubte Dalí tatsächlich passiv, Lorca könne versuchen, ihn zu lieben. Das Experiment war erfolglos.

 

Später kommentierte Dalí die verschiedenen Versuche Lorcas mit „… Ich fühlte mich schrecklich geschmeichelt angesichts der Ehre. Tief im Innern fühlte ich, dass er ein großer Dichter war und ich ihm ein wenig vom Arschloch des Göttlichen Dalí schuldete.“

 

Salvador Dalís erste Einzelausstellung fand in Barcelonas Galerie DelmauVenus und MatroseJunges Mädchen am Fenster

 

Lorca bescheinigte trotz der misslungenen Liebschaft im April 1926 Dalí mit einer in der Zeitschrift Revista publizierten, berühmt gewordenen Ode, die als der „… vielleicht schönste jemals in Spanisch geschriebene Lobgesang auf die Freundschaft“ bezeichnet wurde, sein immenses Talent. Darin hieß es:

 

O Salvador Dalí, olivenfarbenstimmig! / Nicht rühm ich deinen unvollkommnen jugendlichen Pinsel, nicht deine Farbe, die um die Farbe deiner Zeit herumkreist, doch lob ich deine Sehnsucht nach begrenzter Ewigkeit.