cover
Titelseite

 

 

 

Für Anna – Willkommen auf der Welt! – KM
Für meine Schwester Laura – KJ

 

 

 

Endlich Ferien!

Amy kam mit einem großen Stapel frisch gewaschener Bettlaken und Kissenbezüge im Arm in die Küche des Gästehauses. „Mama, soll ich die oben in den Wäscheschrank legen?“, fragte sie. „Oder sollen sie gleich wieder zurück ins Schwalbenzimmer und ins Rotkehlchenzimmer?“

„In den Wäscheschrank, bitte“, antwortete ihre Mutter. „Oje, ich fürchte, die Wasserleitung tropft schon wieder. Ich muss noch mal den Klempner herbestellen.“

Amy blinzelte über den Wäschestapel hinweg. Ihre Mutter kniete auf dem neu gekachelten Boden und ihr Kopf steckte im Schrank unter der Spüle. „So was Blödes“, sagte Amy. „Ach ja, von wegen blöd und so. Mrs Kilbride aus dem Sperlingszimmer will wissen, ob es zum Frühstück etwa kein Pflaumenmus gibt.“

„Sch!“, zischte Mama, obwohl sie grinsen musste. „Der Gast ist König! Auf dem mittleren Regal in der Anrichte steht ein Glas mit Pflaumenmus. Löffel etwas in ein hübsches Schälchen und gib es ihr. Oh, aber Amy, bring erst die Wäsche hoch, ja? Marmelade und frische Wäsche sollten sich nicht zu nahe kommen!“

Amy lächelte. „Klar.“

Als Amy und ihre Mutter in das kleine Fischerdorf in der Seesternbucht gezogen waren, war das Gästehaus nur ein ganz normales Haus gewesen. Aber jetzt war alles fertig renoviert und das Geschäft lief prima. Sie waren die ganzen Sommerferien ausgebucht. Mama hatte eine Frau namens Elaine als Zimmermädchen und Haushaltshilfe angestellt. Aber sie würde erst in einer Woche anfangen. Deshalb hatte Amy ihrer Mutter geholfen, seit sie aus dem Internat zurück war. Sie wusste, wie man den Tisch für die Gäste deckte und die Betten machte. Sie konnte ein perfektes Frühstück zubereiten und ihre pingelige Mutter war sogar damit zufrieden, wie sie die Bäder putzte – jedenfalls nach dem dritten Versuch!

Amy ging vorsichtig mit ihrem Stapel zur Tür. „Du hast doch später deine Reitstunde, oder?“, fragte ihre Mutter. „Ich könnte dich schon früher beim Ponyhof absetzen, dann könntest du den ganzen Tag mit Lea verbringen. Du hast doch bestimmt schon Sehnsucht nach ihr.“

„Das wäre toll“, sagte Amy und dachte an ihre Freundin. „Bist du sicher, dass du ohne mich zurechtkommst?“

„Aber natürlich“, erwiderte ihre Mama. „Es ist toll, dass du mir geholfen hast, aber du sollst nicht die ganzen Sommerferien im Gästehaus arbeiten. Hier, das ist für dich, als kleine Belohnung.“ Sie gab Amy einen Fünfeuroschein aus dem Glas auf der Fensterbank.

„Danke, Mama“, sagte Amy und steckte das Geld in ihre Rocktasche. „Ich bringe jetzt die Wäsche weg und hole dann das Pflaumenmus.“

„Oh, kannst du noch neues Duschgel und Shampoo ins Finkenzimmer bringen, wenn du wieder runterkommst?“, fragte ihre Mutter. „Tut mir leid, das ist jetzt wirklich der letzte Gefallen, um den ich dich bitte.“

„In Ordnung“, entgegnete Amy. „Ich wünschte, du hättest die Zimmer nach Hunderassen benannt und nicht nach Vögeln“, sagte sie und grinste. „Hunde sind toll!“

„Du und deine Hundevernarrtheit“, stöhnte Mama. „Los jetzt, verschwinde.“

Eine halbe Stunde später konnte sich ihre Mutter losreißen und mit Amy zum Ponyhof Seestern fahren. Lea kam gleich angerannt, um sie zu begrüßen. Ihr Hund Rufus flitzte neben ihr her. Amy war kaum aus dem Auto gestiegen, als Rufus schon hochsprang und ihr durchs Gesicht schleckte. Lea umarmte sie. „Amy, es ist so schön, dich zu sehen!“

„Dich auch!“, sagte Amy und drückte Lea fest. „Wir haben uns über zwei Wochen nicht gesehen, weil ich letztes Wochenende bei Papa war.“

„Tschüs, mein Schatz!“, rief ihre Mama und wendete das Auto. „Ich muss wieder los und nachsehen, ob Mrs Kilbride vielleicht noch einen Wunsch hat!“

„Tschüs!“, riefen Lea und Amy.

„Wer ist Mrs Kilbride?“, fragte Lea.

„Ach, niemand, nur ein besonders schwieriger Gast“, erklärte Amy. „Aber ich will nicht ans Gästehaus denken. Ich will einfach nur hier sein und die Ferien genießen.“

„Du machst wohl Witze?“ Lea schnaubte. „Ich habe eine Liste mit Dingen, die erledigt werden müssen, die so lang ist wie mein Arm!“ Sie streckte ihren Arm aus und wackelte mit den Fingern. „Heute Nachmittag kommt eine Gruppe Touristen für einen Ausritt und Mama will, dass alles superordentlich aussieht. Ich werde den ganzen Tag dafür brauchen, außer …“ Hoffnungsvoll sah sie Amy an. „Wenn du mir hilfst, sind wir doppelt so schnell fertig.“

„Oh, na gut“, sagte Amy. „Wenn ich dafür später ein Eis bekomme. Es ist wahnsinnig heiß heute!“

„Abgemacht!“, sagte Lea. „Adam ist im Zeltlager, also kann er den Eisvorrat nicht geplündert haben.“

Amy lächelte. Adam war Leas kleiner Bruder und manchmal sehr nervig. Lea zog ein zerknittertes Stück Papier aus ihrer Hosentasche. „Also, als Erstes steht auf der Liste: Hof fegen.“

Amy und Lea gingen zum Schuppen, um sich Besen zu holen und kamen an Vanessa, Rani und Hanna vorbei. Amy hatte die drei Mädchen schon öfter auf dem Ponyhof gesehen. Sie selbst kam nur an den Wochenenden zum Reiten, an denen sie nicht bei ihrem Vater war. Die Mädchen hatten Sättel und Zaumzeug aus der Sattelkammer geholt, um die Ponys für die Reitstunde fertig zu machen. Die drei halfen am Wochenende manchmal aus. Als sie mit den Besen aus dem Schuppen traten, sah Amy jemanden, den sie nicht kannte. Es war ein Junge, der ein paar Jahre älter war als sie. Er unterhielt sich mit Jana, der neuen Pferdepflegerin.

Amy wollte gerade fragen, wer das war, als Lea anfing zu sprechen. „Oh, da ist wieder dieser Mark! Er macht mich wahnsinnig! Er tut so, als wäre er der größte Ponyexperte der Welt!“

Amy sah zu, wie Jana dem Jungen eine Mistgabel in die Hand drückte und zum Stall deutete. „Haha!“, freute sich Lea. „Er ist mit dem Ausmisten dran. Geschieht ihm recht, so wie er mich gestern genervt hat!“

„Hilft er aus?“, fragte Amy.

Lea stöhnte. „Ja, leider. Er ist ein Freund von Ben.“ Ben war Leas älterer Bruder. „Mark ist eine Nervensäge! Gestern ist er zu mir gekommen und hat überprüft, ob ich Filous Sattelgurt richtig festgezogen habe! Der spinnt doch! Er denkt echt, er wüsste alles besser!“

„Armer Kerl“, sagte Amy.

„Was?“, rief Lea.

Amy grinste. „Sieht so aus, als hätte er dich auf dem falschen Fuß erwischt und das ist bestimmt nicht gut für ihn.“

Lea rümpfte die Nase und reichte Amy einen Besen. „Wenn er nicht so überheblich wäre …“, begann sie. „Oh, da kommt Mama – fang an zu fegen!“, sagte sie schnell.

Während sie fegten, erzählten sich die Freundinnen von den letzten Tagen in der Schule. Lea berichtete Amy vom Kinobesuch mit ihren Freundinnen in Castlereach, der nächstgelegenen Stadt. „Wahrscheinlich sehe ich die anderen den ganzen Sommer nicht mehr“, meinte sie. „Sie fahren alle in den Urlaub. Ich wünschte, ich würde auch irgendwohin fahren. Du fährst bestimmt, oder?“

„Ja, ich fliege mit Papa für eine Woche auf eine griechische Insel“, sagte Amy.

„Du hast so ein Glück“, stöhnte Lea.

„Schon, aber du lebst das ganze Jahr auf einem Ponyhof, hast ein eigenes Pony und einen Hund!“, sagte Amy und stupste sie in die Seite. „Das nenne ich Glück!“

Lea musste lächeln. „Stimmt schon. Wir werden einfach hier ein paar spannende Abenteuer erleben, ja?“

Amy lächelte zurück. „Die Osterferien waren sehr spannend“, gab sie zu. „Als wir diese schrecklichen Bauunternehmer erwischt haben, neue Familien für die Kätzchen gesucht und Jester von den Klippen gerettet haben.“ Sie seufzte und dachte an den kleinen Hund. „Ich vermisse ihn immer noch. Es war so schön, einen eigenen Hund zu haben, auch wenn es nur für eine Nacht war.“

„Ich nehme an, du bist bei deiner Mutter mit deinem Ich-will-einen-Hund-Projekt immer noch nicht weitergekommen?“, fragte Lea.

Amy seufzte und fegte eine Ladung Staub und Stroh auf die Kehrschaufel, die Lea ihr hinhielt. „Nein, und da das Gästehaus jetzt eröffnet ist, wird es noch schwieriger. Ständig muss geputzt und aufgeräumt werden. Sie hat mir deutlich gesagt, dass noch mehr Unordnung durch einen Hund das Letzte ist, was sie brauchen kann.“

„Tja, dann musst du eben Rufus mit mir teilen“, sagte Lea, als ihr Hund auf sie zugetrottet kam.

„Oh, danke“, erwiderte Amy. Sie streichelte den struppigen braunen Hund. Rufus setzte sich auf die Kehrschaufel und wedelte mit dem Schwanz, sodass der Dreck in alle Richtungen flog.

„Rufus, du Tollpatsch! Hau ab, geh spielen!“, rief Lea und scheuchte ihn weg. „Ich glaube, ich verstehe, was deine Mutter mit ‚noch mehr Unordnung‘ meint“, gab sie zu.

Als der Hof endlich blitzblank gefegt war, lehnten sich die Mädchen auf ihre Besen und bewunderten erschöpft ihr Werk.

„Kein einziger Strohhalm liegt mehr herum“, sagte Amy stolz.

Aber dann …

„He!“, rief Lea, als Mark mit einer voll beladenen Schubkarre aus dem Stall kam. Er hatte Ohrstöpsel im Ohr und schob die Schubkarre viel zu schnell. Mist und altes Stroh fielen bei jedem Schritt herunter.

„Stopp!“, schrie Lea und sprang ihm in den Weg. Sie wedelte mit den Armen und sah ihn zornig an. „Sei doch vorsichtig, du Idiot! Guck, was du angerichtet hast!“