Die Kurfürstenklinik 31 – Die schöne Tropenärztin

Die Kurfürstenklinik –31–

Die schöne Tropenärztin

Roman von Nina Kayser-Darius

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-265-9

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»Sie können sich wohl gar nicht von uns trennen, Herr Doktor, was?« Lernschwester Bea sah ­Adri­an Winter lächelnd an. »Sie haben doch gar keinen Dienst mehr, oder?«

Dr. Winter, Chef der Unfallambulanz der Kurfürsten-Klinik in Berlin, schüttelte den Kopf. »Nein, Dienst nicht mehr. Aber es gab bis eben noch eine Menge zu tun.«

»Warum haben Sie mich nicht gerufen? Ich hätte gern geholfen.« Bea, jung und blond und immer eifrig, sah den Chefarzt fast vorwurfsvoll an. »Ich mußte mit der Oberschwester die Medikamentenbestände auffüllen und…«

Adrian lachte. »Bea, Bea, da hab’ ich wirklich für einen Moment geglaubt, daß Sie voller Diensteifer wären. Dabei hatten Sie nur keine Lust, stupide Routinearbeit zu tun.«

»Dabei lerne ich doch nichts«, maulte das Mädchen. »Aber mit Ihnen in der Ambulanz Dienst machen, das ist spannend und total abwechslungsreich.«

Adrian schmunzelte. »Wenn Sie das nach zehn Jahren immer noch sagen, bin ich zufrieden. Aber es müssen auch neue Medikamente aufgefüllt werden. Und wir brauchen Mullbinden und Pflaster und…«

»Ich weiß, ich weiß. Auch die Nachttöpfchen müssen ausgespült werden!« Bea grinste frech. »Bin ja schon weg.«

Sie stob davon. Adrian ging hinüber ins Ärztezimmer, wo Dr. Joachim Suttner hinter einem der beiden Schreibtische saß und gedankenverloren aus dem Fenster starrte.

»Hey, Jo, was ist denn mit dir los? Träumst du am hellichten Tag?« Adrian Winter legte dem Kollegen die Hand auf die Schulter.

Dr. Suttner zuckte leicht zusammen. »Tut mir leid, ich war in Gedanken…«, murmelte er.

»Das hab’ ich gemerkt.« Adrian ließ sich am zweiten Schreibtisch nieder und sah den Kollegen aufmerksam an.

Er und Joachim kannten sich seit der Studienzeit. Drei Semester lang hatten sie zusammen studiert, dann war Joachim nach England gegangen und hatte dort seine Studien beendet.

Die beiden Männer hatten jahrelang nichts voneinander gehört, dann, vor drei Jahren, war ein Brief von Jo aus Mexiko gekommen. Er arbeitete im Entwicklungsdienst.

»Woran denkst du?« fragte ­Adri­an.

Der Freund zuckte leicht die Schultern. »Weißt du doch. Ich komme von Afrika einfach nicht los. Dieses Land hat einen ganz besonderen Reiz, dem man sich einfach nicht entziehen kann. Ich war in Mexiko, in Brasilien und ein halbes Jahr in Indien – aber Afrika hat mich mehr als alle anderen Länder fasziniert.«

»Das glaube ich gern.« Dr. Winter lehnte sich im Sessel zurück und sah den Kollegen sinnend an. »Zwar war ich selbst nie dort, aber ich habe schon etliche Dokumentarfilme über Afrika gesehen. Das Land war faszinierend.«

»Und die Menschen liebenswert, charismatisch und teilweise noch von einer Ursprünglichkeit, die man sonst nirgendwo findet.« Joachim Suttner strich sich eine Strähne seines blonden Haares aus der Stirn. »Ich kann mich an einen Stammesfürsten erinnern, der in seinem kleinen Reich geherrscht hat wie einst der Sonnenkönig über Frankreich. Sein Wort war Gesetz – aber er hat für seine Leute immer nur das Beste gewollt.«

Ein lautes Alarmsignal unterbrach die Unterhaltung der Ärzte. Dr. Winter und sein Kollege sprangen gleichzeitig auf und eilten auf den Flur, wo gerade zwei Sanitäter eine junge Frau brachten, die bewußtlos auf der Trage lag.

»Unfall mitten auf dem Ku-Damm«, berichtete einer der Männer. »Sie ist von einem Motorradfahrer förmlich überrollt worden.«

»Verletzungen?« erkundigte sich Dr. Winter knapp.

»Äußerlich keine. Aber ob sie innere Verletzungen davongetragen hat, muß sich wohl noch herausstellen. Wir haben sie ziemlich behutsam transportiert, denn die Notärztin wollte Kopfverletzungen nicht ausschließen. Diese tiefe Ohnmacht gefiel ihr nicht.«

»Wo ist die Kollegin denn?« Suchend sah sich Adrian Winter um.

»Schon wieder weg. Ein neuer Einsatz gleich hier um die Ecke.« Er zuckte die Schultern. »Sie liegen günstig, Doktor, da können Sie sich über mangelnde Arbeit nicht beklagen.«

»Wem sagen Sie das!« Adrian wies auf eine große Untersuchungskabine. »Hier rein mit der Frau. Aber vorsichtig.«

»Immer.« Der ältere der beiden Sanitäter nickte ihm zu, und wirklich hoben sie die blonde junge Frau mit Hilfe einer Schwester sehr behutsam auf die Untersuchungsliege.

»Wir müssen dann weiter. Hier ist noch die Tasche der Frau. Ich hab’ kurz reingeschaut. Sie heißt Marion Turmann, 28, ledig. Wohnhaft hier in Berlin.«

»Danke. Alles weitere übernehmen dann wir.«

Adrian nickte den beiden Männern dankend zu, dann wandte er seine volle Aufmerksamkeit der Verunglückten zu, die auffallend blaß vor ihm lag.

Schwester Walli kam herein. »Ich werde gebraucht?« fragte sie.

»Immer, das weißt du doch.« Adrian winkte sie näher. »Zieh sie mal vorsichtig aus, ich vermute eine Kopfverletzung.«

»Äußerlich ist nichts zu sehen«, meinte Dr. Suttner.

»Das muß gar nichts bedeuten.« Adrian Winter sah sorgenvoll auf die junge Frau. Ihre tiefe Ohnmacht gefiel ihm nicht, sie reagierte weder auf Ansprache noch auf ein kreislaufstärkendes Mittel, das er ihr injizierte.

Schwester Walli hatte die Patientin mit Schwester Beas Hilfe entkleidet. Die junge Frau hatte einen makellosen Körper, der keinerlei Verletzungen aufwies.

»Wir müssen abwarten, ob sie in der nächsten Stunde zu sich kommt«, meinte Dr. Winter. »Wenn nicht, müssen wir eine Computertomografie vornehmen, die wird uns Klarheit bringen.«

»Vielleicht ist es auch nur der Schock, der die Ohnmacht ausgelöst hat«, sagte Dr. Suttner.

»Hoffen wir’s.« Adrian wandte sich an die Oberschwester. »Legt sie auf meine Station, bis wir Klarheit haben.«

Walli nickte nur, dann zog sie der Besinnungslosen ein klinikeigenes Nachthemd an und sorgte dafür, daß die junge Frau in ein kleines Zweibett-Zimmer gebracht wurde.

»Kannst du noch ein bißchen bei ihr bleiben?« fragte sie Bea.

Die junge Lernschwester, deren Dienst seit fast einer Stunde zu Ende war, nickte. »Klar doch. Ich hab’ heute nichts vor.«

»Prima. Ich werd’ mich bei Gelegenheit revanchieren.« Walli nickte und verließ das Zimmer.

Bea blieb allein mit der jungen Frau, die blaß und schön in dem weißbezogenen Klinikbett lag und nicht mit einem Wimpernzucken zu verstehen gab, daß sich die tiefe Ohnmacht, die sie umfangen hielt, verflüchtigte.

*

Als ihr der Fön aus der Hand fiel, auf die kostbaren italienischen Fliesen krachte und fortan nur ein ein heiseres Krächzen von sich gab, brach Nadine Meurer in Tränen aus. Sie fand ihre Reaktion selbst höchst albern, doch sie kam gegen die Tränenflut einfach nicht an. Außerdem – der unbrauchbare Haartrockner war ja auch nicht die Ursache für ihre elende Gemütsverfassung. Grund war die Einsamkeit, die ihr gerade heute wieder auf schmerzhafte Weise bewußt wurde.

Nadine haßte Sonntage. Vor allem, wenn sie sonnig und warm waren wie dieser herrliche August-Sonntag. Im Garten grünte und blühte es, Vogelgezwitscher drang bis hierher ins luxuriöse Bad, und wenn die junge Frau aus dem Fenster schaute, konnte sie drüben am Ufer des Wannsees Familien sehen, die den herrlichen Tag genossen – auf vielfältige Weise, doch immer gutgelaunt und fröhlich.

Es war ein Bild, das die Stimmung der schönen jungen Frau noch mehr trübte.

Sicher, auch Nadine hätte sich zerstreuen können. Zum Golfclub hinausfahren, ein paar Freunde besuchen, mit Oliver essen gehen… es gab viele Möglichkeiten, die Zeit totzuschlagen.

Doch nichts von alledem war wirklich verlockend. Im Golfclub traf sie mit Sicherheit Leute, die beim Spiel über gemeinsame Geschäfte sprachen, und davon wollte sie nun wirklich nichts hören. Davon bekam sie unter der Woche mehr als genug mit. Nadine war in der Anlageberatung einer großen Privatbank tätig. Sie hatte sich trotz ihrer Jugend schon einen Namen gemacht, hatte in New York an der Wallstreet gearbeitet und sogar als Brookerin Erfolg gehabt – in der Männerdomäne fast so etwas wie eine Sensation.

Doch jetzt war sie wieder zu Hause in Berlin. Sie lebte im Haus ihrer verstorbenen Eltern, kannte keine finanziellen Sorgen, wurde von aller Welt beneidet und war doch so einsam, daß es fast körperlich weh tat.

Lange Jahre hatte sie nur ein Ziel gehabt: Karriere zu machen. Es war ihr auch gelungen, doch der Preis war hoch, wie sie oft feststellen mußte. Ihre Schulfreundinnen waren fast ausnahmslos verheiratet und hatten Familie. Dort war sie zwar hin und wieder gern gesehen, doch im Grunde hatten sie sich alle nicht mehr viel zu sagen.

Ein einziger treuer Freund war Nadine geblieben: Oliver! Oliver Meerbusch umwarb Nadine seit Jahren ebenso unverdrossen wie leider auch erfolglos. Sie mochte ihn, ja, sehr sogar. Er war witzig und charmant, liebenswert, gebildet, besaß gute Manieren und kannte, so wie sie, viel von der Welt.

Wo immer sie zusammen auftauchten, vermittelten sie das Bild eines gutsituierten, perfekt miteinander harmonisierenden Paares.

Doch leider war das nicht so. Oliver war zwar ein wunderbarer Begleiter für gewisse Stunden, doch er war leichtsinnig, flirtete mit jeder halbwegs schönen Frau, hielt nichts von der Treue und nichts von irgendwelchen Zwängen. Kurz: Er war ein reizender Kerl, doch nicht der optimale Lebenspartner für eine Frau wie Nadine.

Dennoch trafen sie sich häufig, und manchmal schien es auch so, als wären Olivers Gefühle für sie tiefer als angenommen. Doch dann kam ihm wieder ein süßes Mädchen dazwischen – und er vergaß für ein paar Tage, daß er eigentlich Nadine liebte.

So jedenfalls entschuldigte er sich immer wieder bei ihr – mit diesem treuen, unwiderstehlichen Dackelblick, auf den alle Frauen hereinfielen. Alle – bis auf Nadine.

Dennoch mochte sie den gutaussehenden Mann. Aber er war nicht der Richtige, um sie heute aus ihrer depressiven Stimmung zu reißen.

Und so verbrachte die knapp Dreißigjährige mal wieder einen einsamen Sonntag.

Sie ließ ihr Haar von der Sonne trocknen, las dabei ein Fachblatt und entschied, die Aktienfonds der amerikanischen Privatbank schon Montag zu berücksichtigen.

Plötzlich zuckte die junge Frau zusammen und legte die Finanzzeitschrift aus der Hand. Vom Ende des Gartens her klang jammervolles Katzengeschrei, das an das Weinen eines Babys erinnerte.

Nadine stand auf und ging tief in den weitläufigen Garten hinein. Dorthin, wo die Büsche dicht beieinander standen und der Grenzzaun zum Nachbargrundstück kaum noch zu erkennen war.

Und dann sah sie sie: Eine kleine Katze lag blutend auf der Erde, leise Klagelaute kamen aus ihrer Kehle.

Vorsichtig ging Nadine auf das verängstigte Tierchen zu, sprach liebevoll auf es ein und versuchte, sich die Wunde am linken Hinterlauf näher anzusehen.

Gerade hatte sie die Hand ausgestreckt, als eine helle Stimme rief: »Muschi, wo bist du? So komm doch endlich!«

Die Katze spitzte die Ohren, sie miaute und versuchte aufzustehen, doch es gelang ihr nicht.

Und dann, urplötzlich, teilten sich die Büsche und ein kleines Mädchen kam zum Vorschein. Das blonde Haar war zerzaust, die Jeans völlig verschmutzt, die karierte Bluse wies zwei Risse am Arm auf.

Das alles nahm Nadine mit einem Blick wahr. Gleichzeitig sah sie, wie entsetzt die etwa Siebenjährige reagierte, als sie das verletzte Tier entdeckte.

»Musch! Meine arme Musch!« Zwei große dunkle Augen sahen Nadine vorwurfsvoll an. »War das Ihr Kater? Immer verfolgt er unsere Musch, dabei hat sie so große Angst vor ihm!«

»Ich hab’ gar kein Tier«, verteidigte sich Nadine.

»Nicht? Das ist aber doof«, erklärte das kleine Mädchen im Brustton der Überzeugung.

Nadine lächelte. »Eigentlich schon. Aber ich bin so selten daheim, da geht es nicht. Ist das deine Katze?« wollte sie dann wissen. »Ich glaube, sie braucht einen Tierarzt. Von allein heilt die Wunde bestimmt nicht. Und sie sieht ziemlich bös aus.«