cover

images

Das Wissen dieser Welt aus den Hörsälen der Universitäten.

Fachbereich

THEORETISCHE PHILOSOPHIE

Die Wirklichkeit der substanz

Prof. Dr. Godehard Brüntrup SJ

Dies ist die dritte Vorlesung in der sechsteiligen Reihe über Metaphysik. In der ersten Vorlesung hatten wir gesehen, was Metaphysik überhaupt ist und auch was die Kritiker der Metaphysik, jedenfalls in groben Zügen, an ihr auszusetzen haben. Diese und auch die vorherige Vorlesung beschäftigen sich mit der sog. allgemeinen Metaphysik, den grundlegendsten Fragen der Strukturen des Seins.

In der letzten Vorlesung hatte ich angesetzt mit der Analyse der Satzformen. Jeder Satz hat die Form „etwas wird von etwas ausgesagt“, ein Prädikat wird von einem Subjekt ausgesagt. Oder, wie die Philosophen sagen, die Form, die abstrakte Form F(X), ein F wird von einem X ausgesagt, zum Beispiel das X – Peter – F ist groß.

Wir hatten uns mit diesem F beschäftigt, dem, was dem Prädikat entspricht, nämlich dem Allgemeinen, was verschiedenen Dingen zukommt. Verschiedene Dinge können groß sein. Und die Frage war: Was ist die Natur dieses Allgemeinen? Dahinter verbirgt sich die Frage nach der Natur der abstrakten Entitäten.

Die heutige Vorlesung ist der korrespondierenden Frage gewidmet: Was ist die Natur der Einzeldinge? Das, worauf sich eben in der allgemeinen Satzform – F(X) – das X bezieht. Wenn ich sage, Peter ist groß, was ist die Natur von so etwas wie Peter. Es geht hier nicht speziell um die Person Peter – das individuelle Einzelding. Man könnte auch den Hund Fido nehmen oder ein anderes konkretes Einzelding.

Diese Frage ist in der Tat so allgemein, dass keine andere Wissenschaft sie eigentlich stellt. Die meisten Wissenschaften gehen einfach davon aus, und auch der Alltagsverstand, dass es Einzeldinge gibt. Wenn wir aber die Frage stellen, wie viel Einzeldinge gibt es in diesem Raum, und anfangen, darüber nachzudenken, dann ist schon gar nicht mehr klar, ob wir sie wirklich abzählen können. Ist zum Beispiel ein Pult ein Einzelding? Und wenn ich einen Teil davon, wie zum Beispiel ein Buch daraus entferne, sind das eigentlich zwei Dinge, das Pult und das Buch? Oder eines? Oder der Tisch und die Beine. Wenn man sie im Ersatzteillager bestellt, sind es verschiedene Einzeldinge. Wenn man den Tisch hinstellt, betrachtet man ihn als ein Einzelding.

Sind die Einzeldinge Substanzen, wie man es in der klassischen Philosophie nennt, also etwas, das durch die Veränderung gleich bleibt, oder sind die Einzeldinge eher wie in der heutigen Physik etwas Ereignishaftes, was einen Anfang und ein Ende hat und während dessen sie sich in einem Fluss der Veränderung befinden. Ist überhaupt alles prozesshaft und immer im Werden? Damit hängt natürlich zusammen, wie Veränderung überhaupt möglich ist.

Es gibt die berühmte Geschichte des Schiffs von Theseus. Theseus hat ein Schiff, das aus, wie die Schiffe der Antike so waren, aus Holzplanken zusammengesetzt ist. Nun tauscht Theseus, der sich gut um sein Schiff kümmert, nach und nach die Holzplanken aus und ersetzt sie durch bessere. Immer, wenn sie ein wenig schadhaft sind, ersetzt er sie durch neue und legt die alten auf einen Stapel in der Nähe des Hafens, weil er Perfektionist ist.

Jemand, der weniger betucht ist als Theseus, findet all diese alten Planken und Holzstücke und baut sich, nachdem Theseus sein komplettes Schiff ausgewechselt hat, aus diesen alten Planken selbst ein Schiff zusammen, und die beiden begegnen sich nun auf dem Ozean. Welches von beiden ist eigentlich das Schiff von Theseus? Das ursprüngliche Schiff von Theseus fährt offensichtlich jetzt der andere. Wenn Theseus eine Versicherung abgeschlossen hat für sein Schiff, wird er die in Anspruch nehmen für das, was er jetzt fährt.

Dieses kleine Beispiel kann uns schon zeigen, dass die Frage nach der Identität der konkreten Einzeldinge schwierig werden kann.