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Fachbereich
THEORETISCHE PHILOSOPHIE

Die Wirklichkeit der Person

Prof. Dr. Godehard Brüntrup SJ

In dieser vierten Vorlesung der Reihe Metaphysik beschäftigen wir uns mit der Frage nach der Identität von Personen. Damit verlassen wir die allgemeine Metaphysik und wenden uns einer spezielleren Frage zu, eigentlich der philosophischen Anthropologie aus Sicht der Metaphysik. Zugleich wird hier deutlich, dass die manchmal etwas abstrakten und schwierigen Unterscheidungen, die wir bei dem schnellen Durchgang durch Grundfragen der allgemeinen Metaphysik gemacht haben, notwendig sind, um bei der schwierigen Frage nach der Identität von Personen mit philosophischer Präzision zu Ergebnissen zu kommen.

Die Frage nach der Identität von Personen, was ist eine Person, wann fängt sie an zu existieren, ist natürlich auch außerhalb des philosophischen Diskurses, etwa bei der Frage um die Abtreibung oder Euthanasie, eine viel diskutierte Sache – aber ohne philosophische Begriffsklärung kommt man hier leicht zum Hörensagen oder der Meinung nach geformten Urteilen.

Die letzte Vorlesung ging über Personen, über konkrete Entitäten. Und Personen sind natürlich konkrete Entitäten. Es sind Entitäten, die in Raum und Zeit existieren. Ihre Identität kann daher prinzipiell so wie die jeder anderen konkreten Entität konstruiert werden. Erinnern wir uns: Wir hatten die Bündel-Theorie, die reine Substratum-Theorie und die Substanz-Theorie als die drei großen Theorien für konkrete Entitäten.

Man kann nun Personen als reine Bündel von Eigenschaften auffassen. Da wird man unterscheiden, ob man mehr physische Eigenschaften oder mentale Eigenschaften oder eine Verbindung von beiden als typisch für Personen betrachtet.

Man kann auch Personen als Substanzen, die durch die Zeit wandernd mit sich identisch bleiben, auffassen. Die klassische Version der Substanz-Theorie von Personen ist die der „Geist-Seele“. Dass eine Person identifiziert wird dadurch, dass sie eine Geist-Seele hat. Man kann allerdings auch sagen, dass die Person deshalb eine Substanz ist, jetzt mehr in der Tradition des Aristoteles, weil sie ein lebender Organismus ist. Dann wäre die Personalität eben nicht davon abhängig, dass man bestimmte mentale Eigenschaften hat, wie zum Beispiel Selbstbewusstsein, sondern dass man ein Organismus von der Art Homo sapiens ist.

Man kann sich nun fragen, ob es auch eine reine Substratum-Theorie der Personalität gäbe. Also jenseits von allen Eigenschaften etwas, was der Träger der Personalität ist. Das ist nicht so leicht zu beantworten. Vielleicht wenn man sich so etwas vorstellt wie die „erste-Person“-Perspektive, die „Ich“-Perspektive, die all unser Denken begleiten kann, fast so wie das transzendentale „Ich“ in der Kantischen Philosophie, das keinen bestimmten qualitativen Inhalt hat, also keine bestimmten Eigenschaften. Es ist aber der Einheitspunkt, der mich als diese Person ausmacht. Die „erste-Person“-Perspektive, mit der ich „Ich“ sage, das könnte so etwas wie ein reines Substratum in der Personen-Theorie sein.

Nun soll aber unser Thema insbesondere sein: Identität von Personen in der Zeit. Die Frage: Wie ist es zu denken, dass beispielsweise ich heute derselbe bin wie vor 10 Jahren, derselbe wie vor 20 Jahren? Wenn wir unsere soziale Praxis anschauen, ganz unabhängig von der Philosophie, dann ist sie durch und durch geprägt von der Annahme, dass Menschen durch die Zeit dieselben bleiben. Wenn ich etwa einen Vertrag abschließe mit jemanden, der über einen längeren Zeitraum gilt, kann er nicht nach einem Jahr sagen: Ich bin an den Vertrag nicht mehr gebunden, weil mein Gewicht sich geändert hat, weil die Zahl meiner Hirnzellen eine andere ist oder andere körperliche oder geistige Veränderungen.

Wir machen Versprechen, wir planen in die Zukunft, aber wir sind auch moralisch nach gängiger Auffassung verantwortlich für das, was wir in der Vergangenheit getan haben. Ich bin natürlich nur dann für etwas, was eine Person in der Vergangenheit getan hat, verantwortlich, wenn ich mit dieser Person identisch bin. Ich bin nicht dafür verantwortlich, was eine Person getan hat, die nicht mit mir identisch ist.

Und schließlich zum Aufbau der inneren Geschichte, das Selbstverständnis, das Selbstbild, das jeder von uns entwickelt, etwa wenn man sich einem Menschen vorstellt und ein bisschen von sich erzählt. All das fußt auf der Idee, dass ich tatsächlich durch einen längeren Zeitraum hindurch der- oder dieselbe bleibe.

Nun hatten wir in der letzten Vorlesung bei der Frage nach der Identität von konkreten Entitäten bereits unterschieden zwischen numerischer und qualitativer Identität.