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Das Wissen dieser Welt aus den Hörsälen der Universitäten.

Fachbereich
THEORETISCHE PHILOSOPHIE

Die Wirklichkeit des Geistes

Prof. Dr. Godehard Brüntrup SJ

Diese letzte Vorlesung in der Reihe Metaphysik beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Körper und Geist oder, wie man auch klassisch sagt, dem Leib-Seele-Problem. Bereits bei der letzten, fünften Vorlesung über das Problem der Willensfreiheit sind wir am Ende auf dieses Problem des Verhältnisses von Körper und Geist gestoßen. Denn die Willensfreiheit ist ja selbst ein paradigmatischer Fall dafür, dass das Mentale, unsere Wünsche und Vorstellungen und Überzeugungen in die Welt kausal eingreift, indem es meinen Körper bewegt.

Wie ist das überhaupt möglich, dass etwas Mentales, etwas Geistiges etwas Physisches beeinflusst? Normalerweise stellen wir uns im Alltag diese Frage nicht. Es sei denn, es kommt einmal dazu, dass wir nach dem alten Satz: der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach, uns nicht in der Lage sehen, unsere geistigen mentalen Entschlüsse in die Tat umzusetzen. Oder dass wir spüren, dass, etwa nach Alkoholgenuss, der Einfluss des Körpers auf den Geist doch größer ist als wir im Alltag normalerweise denken.

Trotzdem, wenn wir genauer hinschauen, gibt es auch in der Alltagswelt eine Dualität der Erfahrung. Es gibt zwei anscheinend völlig getrennte Phänomenbereiche. Nehmen wir als Beispiel ein ganz normales Fußballspiel. Wir können das Fußballspiel einerseits beschreiben, und zwar komplett beschreiben, als einen physikalischen Prozess, die Kräfte, die von den Spielern auf den Ball einwirken, das Zusammenspiel zwischen den Körpern der Spieler und dem Boden, auf dem sie spielen, der Einfluss von Wind, die Schallwellen, die übertragen werden, die Geräusche, die dadurch entstehen, als rein physikalische beschrieben, als Schallwellen, das Zusammenspiel des Lichtes, der Reflexionen, die die Augen der Zuschauer aufnehmen – aber all das können wir beschreiben, ohne jemals Bezug darauf zu nehmen, was die Spieler erleben und was die Zuschauer erleben an Hochgefühlen und Niederlagen, an Anspannung, an Entspannung, an Freude und Begeisterung, an Enttäuschung.

Diese beiden Welten scheinen zwei völlig verschiedene zu sein. Und in der physikalischen Beschreibung des Spieles scheint es auf den ersten Blick keine Lücken zu geben. Man kann das Spiel komplett physikalisch beschreiben, ohne jemals auf die mentalen Vorgänge Bezug zu nehmen.

Um das Ganze philosophisch zu radikalisieren, erinnere ich Sie an das bereits in der ersten Vorlesung über die Metaphysik dargestellte Argument von Descartes. Wo er sagt: Ich kann mir vorstellen, dass ich mir die ganze physische, die körperliche Welt nur einbilde. Ich könnte mir vorstellen, dass ich ein Geist bin, ein reiner Geist, der seine körperliche Existenz nur träumt. Wir können also sozusagen die mentale Seite dieser Dualität absolut setzen. Und die physische ganz ausblenden.

Wir können uns aber auch umgekehrt vorstellen, dass es eine Welt gäbe, die der unseren physikalisch vollständig gleicht in Bezug auf die Gesetzmäßigkeiten, die funktionalen Zusammenhänge, die kausalen Zusammenhänge, alles würde sich in dieser Welt so abspielen wie bei uns. Dieselben Naturgesetze würden gelten, dieselben rein physikalischen Naturgesetze natürlich - wir wollen eben vom Mentalen völlig abstrahieren - aber niemand in dieser Welt würde etwas erleben. In dieser Welt würden die Menschen als reine Roboter herumlaufen. Sie würden sich verhalten genau wie wir uns verhalten. Sie würden dasselbe tun, aber sie würden dabei nichts erleben. Sie wären perfekte Roboter. Das wäre eine Welt, die der unseren physisch gleicht, aber völlig ohne ein phänomenales Erleben von Gefühlen, Farbwahrnehmungen, Stimmungen usw. ist.

Solche Gedankenspiele erscheinen dem gesunden Menschenverstand zunächst abwegig. Sie sind aber für die Philosophie ein wichtiges Werkzeug, um hier vorzuführen, dass der Bereich des Mentalen und der Bereich des Physischen so radikal verschieden sind, dass wir tatsächlich den einen ohne den anderen denken können.

Wenn wir zwei Dinge vollkommen unabhängig voneinander denken können, so legt das nahe, dass sie nicht identisch sind, nicht einfach dasselbe.