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Aus dem Englischen übersetzt

von Paul Fleischmann

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www.hannibal-verlag.de

Widmung

Für Mom und Dad

Impressum

Der Autor: Ben Westhoff

Deutsche Erstausgabe 2017

Titel der Originalausgabe:

„Original Gangstas – The Untold Story Of Dr. Dre, Eazy-E, Ice Cube, Tupac Shakur, And The Birth Of West Coast Rap“

© 2016 by Hachette Book Group, Inc.

1290 Avenue Of The Americas

New York, NY 10104

ISBN: 978-0-3163-8389-9

Layout und Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com

Cover Design © www.bw-works.com

Cover Fotocredits © Coverfotos: Eazy-E und Dr. Dre: Lynn Goldsmith/CameraPress/picturedesk.com, Tupac Shakur: AP/picturedesk.com, Ice Cube: Al Pereira/Michael Ochs Archives/Getty Images

Übersetzung: Paul Fleischmann

Lektorat und Korrektorat: Hollow Skai

© 2017 by Hannibal

Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen

www.hannibal-verlag.de

ISBN 978-3-85445-621-6

Auch als Paperback erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-620-9

Hinweis für den Leser:

Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Es kann jedoch keinerlei Gewähr dafür übernommen werden, dass die Informationen in diesem Buch vollständig, wirksam und zutreffend sind. Der Verlag und der Autor übernehmen weder die Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für Schäden jeglicher Art, die durch den Gebrauch von in diesem Buch enthaltenen Informationen verursacht werden können. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Das Geheimversteck

Kapitel 2: Sir Romeo

Kapitel 3: Kalt wie Eis

Kapitel 4: Original Gangsters

Kapitel 5: Du kannst einen Scheißdreck haben

Kapitel 6: Ein bisschen Gold und ein Pager

Kapitel 7: Und plötzlich brach die Hölle los

Kapitel 8: Ein hartes Geschäft

Kapitel 9: Keine gewöhnlichen Bürgerrechtsaktivisten

Kapitel 10: Jackpot

Bildstrecke

Kapitel 11: Der Vollstrecker

Kapitel 12: L.A. in Flammen

Kapitel 13: Unaufhaltsam auf dem Vormarsch

Kapitel 14: Der Funk hält Einzug

Kapitel 15: Der Erbe und der Hausmeister

Kapitel 16: Zahn um Zahn

Kapitel 17: What’s My Name?

Kapitel 18: Negativer Rap

Kapitel 19: An seiner Seite

Kapitel 20: Zeit für Klartext

Kapitel 21: Ein politischer Prophet

Kapitel 22: Die Vermarktung des Bösen

Kapitel 23: Wichtige Spuren

Kapitel 24: Beklemmung und vorgetäuschter Heldenmut

Epilog

Danksagungen

Quellen

Bibliografie

Videografie

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Er war ein frech daherredender, bewaffneter Gauner, der das Image des jungen Streetkids aus Compton – hart, aggressiv und die Schnauze voll davon, für andere den Fußabtreter zu spielen – salonfähig machte. Sein Aufstieg war rasant und er veränderte die Popmusik nachhaltiger als fast jeder andere, da er nicht nur ein Performer war, der für seine hypnotische Rap-Kadenz bekannt war, sondern auch als Mogul die Strippen zog und somit zu Reichtum gelangte. Sein Ziel war es zu schockieren, doch seine Texte waren nicht krasser als das, was er selbst erlebte. Er war ein Weiberheld und ein Familienmensch, ein treuer Freund und ein brutaler Gegenspieler, dem die Art von Gewalt nicht fremd war, die die musikalische Lawine, die er losgetreten hatte, prägen sollte. Als er 1993 in einer Folge der Arsenio Hall Show auftrat, stellte ihn der Moderator seinem Publikum als den „Paten des Gangster-Rap“ vor.

Aber damals im Jahr 1985, bevor er als Eazy-E bekannt wurde, war er einfach Eric Wright, ein 21 Jahre alter Drogendealer. Während seine Kumpels aus dem Südosten von Compton ihren Kater ausschliefen, war Eric schon oft sehr früh am Start. Er las die Los Angeles Times und streifte sich dann ein weißes T-Shirt und weiße Schlauchsocken über. Die Socken zog er sich weit über seine blauen Leinensneakers. Ein Pager und eine blickdichte Sonnenbrille, sogenannte „Locs“, komplettierten seinen Look. Die Tage auf der South Muriel Avenue, jener baumlosen Straße in Compton, in der er lebte, waren in der Regel von grellem Tageslicht und sengender Hitze geprägt. Er stammte im Gegensatz zu vielen anderen Kids aus der Umgebung aus stabilen Familienverhältnissen. Sein Vater arbeitete im Postamt und seine Mutter an einer Montessori-Schule. Eric war hingegen nicht so rechtschaffen unterwegs.

Bevor er das Haus verließ, dehnte er die elastischen Bänder an seinen Socken und stopfte aufgerollte Geldscheine hinein. „Ständig lief er mit 2.000 Dollar in seinen Socken herum“, erzählt Arnold „Bigg A“ White, ein Freund aus Kindertagen. „Eric hatte überall Geheimverstecke für seine Kohle.“ Er stopfte sich etwas davon in der elterlichen Garage auf und steckte sich sogar ein paar Dollar in die Taschen seiner Levi’s 501. Aber in seinen Socken versteckte er den Großteil seines Bargelds. Wenn ein Obdachloser oder Straßenräuber Geld von ihm wollte, stülpte er einfach seine Taschen nach außen und zuckte mit den Schultern.

In den paar Jahren zuvor war Rap in der Gegend explosionsartig populär geworden und Eric machte sich gelegentlich Gedanken darüber, es mal mit Hip-Hop zu versuchen. Allerdings behielt er das zumeist für sich. Stattdessen konzentrierte er sich auf sein Geschäft. Eric war zwar nicht der größte Drogendealer der Gegend, aber er kam gut über die Runden. Freebase-Kokain war in Los Angeles gerade groß im Kommen. Jeder hatte plötzlich Bedarf: drogenabhängige Mütter, alte Typen mit glasigen Augen, die durch die Straßen irrten, einfach jeder. Die Leute nahmen sogar lange Anreisen nach Compton auf sich, um sich zu versorgen.

Crack sollte schon bald schweren Schaden in der Community anrichten, aber noch ahnte niemand, wohin die Reise gehen sollte. Nicht einmal die Polizei wusste, was sie von diesem scheinbar harmlosen, geruchlosen Zeug halten sollte. „Sie erwischten dich mit Crack und ließen dich mit einer kleinen Strafe davonkommen“, erzählte Mark „Big Man“ Rucker, Eazys Partner beim Dealen.

Das Geld, das das Crack ins Viertel spülte, war überall sichtbar. So mancher protzte mit seinen Goldketten und kurvte im Nissan-Truck durch die Gegend, mit Niederquerschnittreifen als Lowrider getarnt. Doch als sich der Drogenhandel zunehmend als Goldgrube herausstellte, entflammten auch Kämpfe um die territoriale Vorherrschaft. „Als nächstes versuchten alle zu expandieren“, sagt Vince Edwards, ein Rapper aus Compton, auch bekannt als CPO Boss Hogg. „Ein oder zwei Häuserblöcke reichten nicht mehr aus, wir brauchten noch eine zusätzliche Nachbarschaft.“

Eric selbst nahm keine Drogen. Er trank nicht einmal. Seinen Freunden erklärte er, dass er den Geschmack von billigem Starkbier nicht mochte. Er wusste aber auch, dass ihm seine nüchterne Lebensweise einen kognitiven Vorteil verschaffte. Da er nur knapp über einen Meter sechzig groß war, war es wichtig für ihn, dass ihn die Leute ernst nahmen. Er verfügte über Geld und besaß all die feinen Dinge, die man damit kaufen konnte. „Er hatte coole Schlitten, Klamotten und all das“, erzählt etwa sein Nachbar Lorenzo Patterson, später bekannt als N.W.A-Mitglied MC Ren. Doch er achtete darauf, seinen Wohlstand nicht zu offensichtlich zur Schau zu stellen. Er hielt den Ball flach und trug nicht zu dick auf. Er war auch keiner, der zu viele Worte verlor. Der Mann mit der Jheri-Curl-Matte und dem dünnen Schnauzbärtchen, der sich gerne hinter seinen Locs verbarg, war zurückhaltend und scheu. Schließlich verlangte seine Branche von ihm ein Höchstmaß an Diskretion.

Doch was die Frauen betraf, war Eric ein quicklebendiger Verführer. Er war bereits Vater eines kleinen nach ihm benannten Jungen mit seiner Freundin Darnettra, die darüber hinaus schon wieder schwanger war. Außerdem erwartete gleichzeitig noch eine weitere Frau namens Linda ein Kind von ihm. I’m Eazy-E I got women galore / You might have a lot of women but I got much more, sollte er später mal rappen.

Binnen kurzem sollte Eric sich mit einer neuen festen Freundin namens Joyce zusammentun, die ihm seinen vierten Sohn schenken sollte, als er gerade einmal 23 war. Sie war aber nur mäßig erfolgreich darin, Eric bei der Stange zu halten. Schließlich fing sie an, ihn als „Nachbarschaftsstecher“ zu bezeichnen, da sie ihn immer wieder mit anderen Frauen erwischte. Einmal wurde Joyce so wütend auf ihn, dass sie Eric eine Lunchbox an den Schädel knallte. Tracy Jernagin war später auch eine von Erics Gespielinnen. Doch als er sie und schon wieder eine weitere Frau zur gleichen Zeit schwängerte, war Jernagin außer sich vor Wut: „Jeder sagte, dass er, obwohl er mein Freund war, dieses andere Mädchen ebenfalls geschwängert hätte!“ Eric und Rucker, sein Co-Dealer, standen in einem langjährigen Wettbewerb miteinander, wer die meisten Frauen schwängere. Dieses sogenannte „Baby-Race“ gewann schließlich Eric, der insgesamt zehn Kinder haben sollte.

Immerhin kaufte Eric Jernagin teure Geschenke wie Gucci-Uhren und einen neuen 1989er Acura Legend. Doch als sie eines Abends vor Erics Haus aufkreuzte und er sich nicht blicken ließ, war sie sich sicher, dass sie ihn wieder einmal beim Betrügen ertappt hatte. Sie setzte daraufhin mit ihrem Acura einen halben Block zurück, um Schwung zu holen, und nahm Erics neuen BMW 750 iL, der auf der Straße parkte, ins Visier. Damit wollten sie ihn bewegen, auf die Straße zu kommen und „sich mir zu stellen“, wie sich Tracy Jernagin erinnert. Doch ihr Vorhaben verlief nicht nach Plan. „Irgendwie hob mein Auto vorne ab, als würde es nur auf zwei Reifen fahren“, erzählt sie. Als es wieder landete, war es schrottreif. Dann eskalierte die Situation: Erics andere Frau kam auf die Straße und wollte sich mit Jernagin prügeln. Doch schließlich rief diese Erics Schwester an, um sich von ihr abholen zu lassen.

Gangs

Eric Wright verwöhnte seine Kinder und fuhr mit ihnen regelmäßig nach Disneyland oder zu Chuck E. Cheese. „Wenn wir einen Ausflug machten oder ein gemeinsames Wochenende verbrachten, waren wir alle mit von der Partie“, erinnerte sich Eric Wright Jr. „Für uns war er der allergrößte, abgefahrenste Typ unter der Sonne.“

Er konnte aber auch ein sadistisch veranlagter Spaßvogel sein. So lockte er etwa Erdhörnchen aus ihren Löchern in seinem Garten, indem er Feuerzeugbenzin hineinsprühte. Sobald es dann an der Erdoberfläche erschien, steckte er es in Brand und sah zu, wie es panisch herumlief. Oder er hielt ein paar Crackheads einen Mordsbrocken Crack unter die Nase und verhöhnte sie. „Warum tut man sich das nur an?“, stichelte er, bevor er auf seine eigentümliche Weise zu lachen begann, ohne seinen Mund dabei weit zu öffnen. Er konnte gleichzeitig witzig und bedrohlich sein. „Ich fand seine Stimme echt irre“, sagt etwa MC Ren. „Er rief meinen Bruder an und sagte mit seiner Stimme ‚Heeeyyy Charlie‘.“

Bevor er sich dem Dealen verschrieb, hatte Eric ein paar per­spektivlose Jobs. Er zog auch in Betracht, in die Fußstapfen seines alten Herrn bei der Post zu treten und unterzog sich sogar einem Eignungstest für den öffentlichen Dienst. Aber dieses Leben war nichts für ihn. „Ich hasse es, für andere Leute zu arbeiten“, sagte er. Eric und seine Familie hatten zwar nicht viel Geld, aber es mangelte auch an nichts. Seine Eltern erzogen ihn dazu, selbst Initiative zu ergreifen – obwohl sie damit vermutlich nicht meinten, dass er Drogendealer werden sollte.

Er wollte unbedingt Erfolg haben, also ließ er in Bezug auf seine Drogengeschäfte nichts anbrennen. Er arbeitete nur mit Leuten zusammen, denen er vertraute. An einem für ihn typischen Arbeitstag präparierte er in der Garage erst einmal sein Kokain, bevor er es in seinen bootslangen 1973er Chevy Caprice verfrachtete. Sein Schlitten war kastanienbraun, hatte ein weißes Vinyldach und wurde wegen der verspiegelten Seitenverkleidung „Glashaus“ genannt. Es war nicht das einzige heiße Gefährt, das Eric besaß. In den Achtzigerjahren fuhr er einen Nissan-Truck, einen Suzuki-Jeep in Metallic-Pink und ein paar VW-Käfer, darunter einer aus den Sechzigerjahren, dessen Heckscheibe als Hommage an den gleichnamigen Hit der Brooklyner Rap-Gruppe Whodini mit dem Slogan „The Freaks Come Out at Night“ verziert war.

Eric fuhr den Caprice weniger als eine Meile weit über den Atlantic Drive und hielt dort, wo die East Caldwell Street in einer Sackgasse verlief. Dies war ein besonders gefährlicher Knotenpunkt für Gang-Aktivitäten, der unter der Kontrolle der Atlantic Drive Compton Crips stand. Aber auch andere Untergruppen der Crips trieben unweit von dort ihr Unwesen: die Neighborhood Crips, die Kelly Park Crips und die Southside Crips – und alle wollten ihre Drogengeschäfte ausbauen. „Es war ein Pulverfass“, erklärt CPO Boss Hogg.

Die Crips wurden 1969 in South Central von einem muskelbepackten Teenager namens Raymond Washington gegründet, der sogleich seinen gefürchteten High-School-Freund Stanley „Tookie“ Williams rekrutierte. Sie formten eine Allianz, um sich gegen andere lokale Gangs zur Wehr zu setzen. „Ich dachte, dass ich die Straßen von all diesen plündernden Gangs säubern könnte“, sagte Williams später. „Aber da lag ich total falsch. Vielmehr wurden wir irgendwann selbst zu einem Monster, gegen das wir eigentlich hatten vorgehen wollen.“ 1979 wurde Williams wegen Mordes verurteilt und 2005 schließlich mittels einer Giftspritze hingerichtet. Washington verabscheute zwar Knarren, liebte es jedoch sich zu kloppen. „Raymond zog sich sein Shirt aus und prügelte sich den ganzen Tag lang den Arsch ab“, berichtete ein Bekannter einmal. Er wurde 1979 ermordet.

Nachdem sie die Farbe Blau zu ihrem Markenzeichen erklärt hatten, versuchten die Crips in den frühen Siebzigerjahren ihren Einflussbereich nach Compton auszudehnen, wo es eigene Gangs gab. Die Jungs von der Piru Street und Umgebung, nahe der Centennial High School, hatten sich zu den Pirus zusammengeschlossen. Zu ihnen zählten auch Sylvester Scott und Benson Owens, denen nachgesagt wird, die Bloods gegründet zu haben, zu denen auch die Brims und die Bounty Hunters aus dem Sozialbau Nickerson Gardens in Watts gehörten. Sie wählten Rot als ihre Farbe, da die Pirus auch „Roosters“ – also „Hähne“ – und die Bounty Hunters „Blobs“ – wie das rosafarbene Ungetüm aus dem Film The Blob – genannt wurden beziehungsweise die Brims rote Streichhölzer an ihren Kopfbedeckungen trugen.

Diese beiden großen Gangs splitterten sich auf und wucherten über das ganze Land. Die Rivalitäten zwischen Bloods und Crips – sowie unter ihren eigenen Untergruppierungen – wurden zunehmend blutig. Als Eric schließlich ein junger Mann war, hatten die Crips und die Bloods sowie die Latino-Gangs Compton unter sich aufgeteilt und versuchten, die ganze Region zu kontrollieren. Der Anreiz dafür war leicht verständlich. In den benachbarten Gegenden gab es keine Arbeit, hohe Kriminalität und zerbröckelnde Familienstrukturen. Der Schulterschluss mit anderen desillusionierten Kids konnte einem somit Stolz und ein Gefühl der Einheit vermitteln. Begleitet wurden all der Stolz und die Einheit jedoch auch von Gewalt. 1984 gab es in den Gang-Gebieten in L.A.-County circa 200 Todesfälle zu beklagen. 1988 waren es fast 500. Und Anfang der Neunzigerjahre gab es über das ganze Land verteilt bereits geschätzte 100.000 Gang-Mitglieder.

Es ist nicht ganz klar, zu welcher Untergruppe der Crips Eric sich zählte. Die Gang hatte sich noch nicht ganz aufgegliedert – und eigentlich mochten ihn die meisten Crips-Fraktionen in seinem Teil der Stadt. Es war auch sicher kein Fehler von ihm, ihnen hochqualitatives Coke zu Spitzenpreisen zu verkaufen. Das alles machte ihn aber nicht zu einem waschechten Gangbanger. Zwar trug er manchmal Blau, doch beteiligte er sich weder an Drive-by-Schießereien, noch forderte er Vergeltungsschläge gegen andere Gangs. So war er nicht gestrickt. Ihm ging es ums Geld, so einfach war das.

Atlantic Drive war der Name eines Apartmentgebäudes, das er manchmal als Stützpunkt für seine Unternehmungen verwendete, und auch der Name der Straße, in der es sich befand. Das einstöckige Stuck-Haus beherbergte ein paar Dutzend Familien, erwies sich aber als besonders effektiver Drogenmarkt, der rund um die Uhr geöffnet war. Der C-förmige Grundriss bedingte, dass man von der Straße aus nur in ein paar der Wohneinheiten Einblick hatte. Dies hatte zur Folge, dass potenzielle Käufer vorstellig werden konnten, ohne von der Polizei beobachtet zu werden. Hier erhielten sie alles von Crack und Angel Dust über Weed bis hin zu in Angel Dust getunkten, mit Sherman-Zigarrenpapier gedrehten Joints. Obwohl ständig Leute ein und aus gingen, gelang es irgendwie, das Gebäude „undercover“ zu halten. Nachdem die Transaktionen über die Bühne gegangen waren, wurden die Käufer rasch zurück auf die Straße eskortiert. Vor Ort herrschte Rauchverbot. Hier ließ es sich perfekt dealen.

Auch die Gangs waren in den Drogenhandel verwickelt, aber es gab keine wirklich etablierte Hierarchie. „Wenn jemand mitbekam, dass du ein Gangster warst, dann bekamst du immer etwas vorab“, erzählt Rapper J-Dee, der in der Poinsetta Avenue in Compton dealte. „Das lief immer auf Kommission ab. Jeder hatte einen Beeper und eines dieser schweren Ziegelstein-Telefone. Wenn du dir das in die Hose geschoben hast, rutschte sie dir runter.“

Dealer bunkerten ihre Vorräte in einem Geheimversteck. Dabei handelte es sich meistens um die Bleibe eines Drogensüchtigen, den man mit Crack bezahlte, vielleicht mit einem Gramm pro Tag. „Wir nannten sie Hausmann oder Hausfrau“, erklärt J-Dee und fügt hinzu, dass ihn keine Schuldgefühle plagen, Leuten eine so schädliche Droge verkauft zu haben. „Wir hielten ihnen schließlich keine Knarre an den Schädel.“

J-Dee, der als Mitglied von Ice Cubes Gruppe Da Lench Mob berühmt werden sollte, spezialisierte sich darauf, den Leuten direkt auf der Straße ihren Stoff wie bei einem Drive-Thru-Schalter von Taco Bell zu verchecken. Zu den Abnehmern zählten Angestellte einer nahegelegenen Flugzeugfabrik in Long Beach ebenso wie Suchtkranke aus der Nachbarschaft. Die Kohle versteckte er unter der Einlagesohle in seinem Schuh – „auf diese Weise konntest du zu Fuß flüchten“. Sobald er einmal 1.000 Dollar eingesackt hatte, trug er das Geld nachhause, um dann wieder zu seinem Standort zurückzukehren.

Eric dealte nicht mit jedem auf der Straße, sondern verkaufte im großen Stil, aber eben nur an Kunden, die er kannte, zum Beispiel seine Cousins, die vom Atlantic-Drive-Gebäude aus arbeiteten. Wenn er eine Nummer auf seinem Pager wiedererkannte, rief er von einem Münztelefon aus zurück. Natürlich musste man sich an Codes halten. Für einen 8-Ball (eine Achtel Unze Koks) musste die Pager-Nachricht die Ziffer „8“ enthalten. Für eine halbe Unze lautete der Code „12“. Wenn Eric ein Deal komisch vorkam, ließ er sich einfach nicht darauf ein. Ein Fehler hätte gereicht und alles wäre vorbei gewesen. Die Dealer aus Compton ließen sich auf keinen Bockmist ein – dafür erinnerte sich Eric zu gut an den Namen Horace Butler.

Die Goldmine

Horace Butler war Erics Onkel zweiten Grades – und das absolute Ebenbild des Rappers Buffy von den Fat Boys. Seine Schulkameraden zogen Butler ständig wegen seines Gewichts auf. „Also war er schon ziemlich abgehärtet“, erzählte sein Freund Mark Rucker. „Wenn du ihm einen Tritt gabst oder ihm ein Bein gestellt hast, schlug er dir einfach ins Gesicht.“ Er wohnte in der Nähe auf der Poinsettia Avenue und war so etwas wie Erics Mentor in Bezug auf die Drogen. Wenn man sich gut mit ihm stellte, gab sich Butler durchaus großzügig. Er war jedoch recht verschlossen und man musste sich sein Vertrauen erst einmal verdienen. Allerdings vertraute er seinem Blutsverwandten Eric. Als er ein Teenager war, machte Butler ihn zu seinem Boten, der die Kunden mit Stoff versorgte, nachdem Butler die Deals abgeschlossen hatte.

Eric, der die Dominguez High School geschmissen hatte, hatte bis dahin nicht viel Ahnung vom Drogengeschäft. Als Teenager hatte er ein paar Spritztouren mit gestohlenen Autos unternommen. Auch hatte er schon den einen oder anderen Einbruch auf dem Kerbholz. Er stahl Farbfernseher und Videorecorder. „Einmal wollte er seiner Mom einen gestohlenen Fernseher schenken“, erinnerte sich Bigg A mit einem Lachen. Doch was das Dealen betraf, so war Eric noch ein Neuling. Deshalb kam es für ihn auch überraschend, als Butler ihn eines Tages im Jahr 1984 einlud, mit ihm eine Runde in seinem Truck zu drehen.

Eric kletterte in Butlers Wagen, einen GMC mit Metallic-Lackierung und Chromfelgen an den Geländereifen, der eigentlich nicht Butler gehörte, sondern einem anderen Typ aus der Gegend, der aber inzwischen im Knast saß. Die Karre war beschlagnahmt worden und Gerüchten zufolge waren in ihr immer noch einige Lagen Sherman-Joints verstaut. Niemand traute sich, Anspruch auf den Wagen zu erheben, da jeder fürchtete, schließlich selbst im Kittchen zu landen. Doch Butler war das egal. Ihm gelang es, sich den Wagen zu sichern – und nun saß er hinter dem Steuer dieses großen, schönen GMC.

Mit Eric an seiner Seite fuhr Butler den Schlitten zu einer geheimen Location in der Nachbarschaft, fernab von neugierigen Blicken. Butler blickte sich um und wollte auf Nummer sicher gehen, dass ihn auch niemand beobachtete. Dann kramte er an der Seite eines verlassenen Hauses eine Einkaufstüte aus Papier hervor. Er öffnete sie und zeigte Eric ihren Inhalt: sorgfältig geschichtete Geldbündel, die von Gummibändern zusammengehalten wurden. „Pass für mich darauf auf“, sagte er, bevor er die Tüte wieder versteckte. Eric wusste nicht, was er davon halten sollte, willigte jedoch prompt ein.

Ungefähr zur gleichen Zeit benahm sich Butler auch sonst seltsam. Rucker fiel das schon am Anfang der Woche auf, als er an seinem Drogenspot in der Glencoe Street stand, nur einen Steinwurf entfernt vom Haus eines gemeinsamen Freundes, Emil Moses, der sich gerade erst in seiner Garage erhängt hatte. Nachdem die Polizei eingetroffen war und der Gerichtsmediziner sich um den Körper kümmerte, versammelte sich eine Menschenmenge. Butler und Rucker unterhielten sich und beklagten ein paar Minuten lang den Tod des Freundes, bevor Rucker wieder Geschäftliches ansprach. Er war auf der Suche nach Ware: „Hast du etwas?“

„Nein“, antwortete Butler, der die Umgebung mit seinen Augen abtastete. „Ich lass es locker angehen und gönne mir eine Auszeit.“

„Warum denn?“

„Die Lage ist irgendwie komisch zur Zeit.“

Die beiden Männer gingen daraufhin ihrer Wege und verabredeten sich zur Beerdigung von Moses, bei der Rucker als Sargträger fungieren sollte. Für diesen Anlass hatte er sich sogar einen Anzug ausgeliehen. Doch Butler sollte es nicht mehr dorthin schaffen. Ein paar Tage später, kurz nach Mitternacht, fuhr er seinen Truck durch Mid-City in Los Angeles und wollte gerade auf den Freeway 10 auffahren. Als er vor einer Ampel zum Stillstand kam, wurde er von insgesamt sieben Kugeln getroffen, die offenbar von seinem Beifahrer abgefeuert wurden, der anschließend aus dem Wagen gesprungen war.

Da sein Fahrer nun tot war, begann der Truck langsam rückwärts zu rollen, bis er mit einem Masten kollidierte und stehenblieb. Dieser Mord warf eine Reihe von Fragen auf: Wer steckte hinter dieser Tat? Warum wurde Horace Butler ermordet? Ging es dabei um Geld? Oder um den Truck? Um Drogen? Nur eines war klar: Es würde in dieser Woche noch ein zweites Begräbnis in Compton geben.

Butlers Tod traf Eric schwer. „Er und ich trafen uns jeden Tag“, sagte er. „An diesem Abend musste ich zufällig etwas mit meiner Mutter machen. Deshalb war ich nicht dabei. Wahrscheinlich wäre ich ebenso tot wie er, wenn ich dort gewesen wäre.“

Auf Eric sollte schon bald der nächste Schock warten. Als er zum verlassenen Haus zurückkehrte, wo Butler sein Geld versteckt hatte, fand er nicht nur die Geldtüte, sondern auch ein Paket mit Kokain. Eric begriff rasch, dass er auf einer Goldmine saß. Ganz abgesehen von der Kohle war ihm nun Stoff im Wert von zehntausenden Dollar in den Schoß gefallen. Er musste es nur auf die Reihe bringen, das Zeug zu verticken.

Eric machte sich sofort an die Arbeit. Als Rucker wenig später bei ihm zu Hause aufkreuzte, staunte dieser nicht schlecht, als er Eric vorfand, wie dieser über einem kleinen Elektroherd kauerte und versuchte, Crack zu kochen. „Mann, wo hast du den Stoff her?“, fragte Rucker.

„Ich wollte das Geld holen“, sagte Eric, „und das hier war auch noch da.“

Erics mangelnde Erfahrung war offensichtlich. Er hielt Rucker ein Stück unter die Nase und spekulierte über dessen Wert: „Das hier geht für zwanzig, oder?“

„Teufel, nein!“, sagte Rucker. Der Brocken war eher sechzig Dollar wert. Rucker gab ihm daraufhin einen Crashkurs darin, wie man den Preis von Crack-Körnern berechnete. Von da an begann Rucker sein Kokain bei Eric zu kaufen. Seine Preise waren sehr gut – 1.000 Dollar pro Unze, eine Menge, für die andere 1.500 Dollar verlangten. Eric überließ ihm sogar Pakete auf Kommission. Er konnte es sich ja leisten, da die Ware, die ihm in den Schoß gefallen war, nichts als reinen Profit einbrachte.

1985 schien Eric auf einer Welle des Erfolgs zu schwimmen. Nachdem er die Profite, die sich aus Butlers Vorräten ergaben, in Nachschub investiert hatte, lief er in feinem Zwirn herum und düste in schneidigen Karren durch die Gegend. Aber er war noch nicht zufrieden. Tief drinnen wusste er, dass das nicht das richtige Leben für ihn war. Und so beschloss er, etwas zu unternehmen.

Ein gefährlicher Ort

Der Alltag in Compton entsprach nicht wirklich dem Bild, das Hollywood von der Welt der Straßengangs verbreitete. In den Achtzigerjahren war die Stadt, die sich ungefähr 15 Kilometer von Downtown L.A. befindet, zumindest tagsüber immer noch eine typische Mittelschicht-Vorstadt. Hier gab es gut ausgestattete, farbenfrohe Bungalows mit großen Gärten, Eisenstäben vor den Fenstern und schmiedeeisernen Zäunen. Kinder fuhren auf ihren Fahrrädern, Kleider hingen zum Trocknen auf Wäscheleinen und braune wie schwarze Mitbürger gingen ihren Working-Class-Jobs nach. Spätabends fuhren Teenager in ihren Suzuki-Trucks und VW Käfern gegeneinander Autorennen um Geld. Aber die Gegend wirkte nicht wie ein Kriegsgebiet.

Unter der Oberfläche jedoch schwelte eine urbane Katastrophe – hohe Arbeitslosigkeit, hohe Armutsrate, hohe Säuglingssterblichkeit und eine steigende Anzahl von Gangmorden. Die Rezession der Siebzigerjahre hatte sich durch Präsident Nixons Comprehensive Employment and Training Act entspannt, ein staatliches Jobprogramm, das den Leuten im Viertel Arbeit verschaffte. 1982 setzte Präsident Reagan das Programm außer Kraft, wodurch es Ortsansässigen erschwert wurde, Jobs zu finden.

Auch die Polizei war keine große Hilfe. Bis sie im Jahr 2000 aufgelöst wurde, hatte Compton seine eigene Polizeieinheit – und zwar eine der korruptesten im ganzen Land. Die Stadt mit ihren gerade einmal 93.000 Einwohnern verzeichnete 1986 insgesamt 66 Morde und 1987 sogar 85, was der dreifachen Pro-Kopf-Rate von ganz Los Angeles entsprach, das damals selbst als notorisch gefährlicher Ort galt. In L.A. ereigneten sich in den Achtzigerjahren fast 3.000 Tötungen, die im Zusammenhang mit Bandenkriminalität standen. Ein schwarzer Teenager lief sechsmal größere Gefahr als Mordopfer zu enden als ein Weißer gleichen Alters.

In Los Angeles legten die meisten Soldaten ab, die im Zweiten Weltkrieg in Richtung Südpazifik in See stachen. Im Anschluss an den Krieg zogen die vielen Jobs in der Flugzeugbaubranche Leute aus dem ganzen Land an. Und das wunderbare Wetter war sicher kein Störfaktor. Erics Eltern zählten zu den ersten schwarzen Familien in Compton und waren von Greenville in Mississippi aus nach Compton gezogen und Teil einer großen Migrationswelle. Im 20. Jahrhundert war die Stadt größtenteils weiß gewesen. Für kurze Zeit hatten 1949 sogar George und Barbara Bush dort in einem Apartmentkomplex gelebt, als der spätere Präsident noch Ölbohrausrüstung verkaufte.

Compton war außerdem berüchtigt für seinen Rassismus. Obwohl der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten Rassentrennung in Bezug auf das Wohnungswesen bereits 1917 untersagt hatte, verfolgten Bauunternehmer und Banken weiterhin dieses System. Ein Immobilienmakler konnte seine Lizenz verlieren, wenn er Integration begünstigte – und Compton war von diesem Trend stärker betroffen als jeder andere Teil von Los Angeles. Brutale Bürgerwehren versuchten schwarze Familien am Betreten der Stadt zu hindern, was sie mit ihrem Slogan „Keep the Negroes North of 130th Street“ untermauerten. Marvin Kincy, ein 1950 in Compton geborener Schwarzer und Veteran der Piru-Gang, erinnerte sich daran, dass ihm eingebläut wurde, aus Angst vor Übergriffen durch „Niggerjäger“ die Wilmington Avenue nicht mehr nach 19 Uhr zu überqueren. Er fügte noch hinzu, dass er als Neunjähriger von vier jungen Weißen in einem 57er-Ford unter dem Vorwand zu ihrem Wagen gelockt wurde, ihn nach dem Weg fragen zu wollen. Als er nahe genug war, hatten sie ihn mit faulen Eiern und Tomaten beworfen.

Nach einem Beschluss des Obersten Gerichtshofs im Jahr 1949, der systematische Diskriminierung zusehends erschwerte, wurden die Restriktionen im Wohnungswesen gelockert. Die Wrights ließen sich daraufhin in Compton nieder, wo Eric 1964 das Licht der Welt erblickte. Unweit von ihrem Wohnort ereigneten sich im Folgejahr die Unruhen von Watts, ausgelöst durch eine Verkehrskontrolle eines schwarzen Autofahrers, der von einem weißen Highway-Cop kon­trolliert wurde, weil der vermutete, der Fahrzeuglenker sei betrunken. Daraufhin kam es zu Krawallen mit Dutzenden Toten und Sachschäden in bis dahin ungekannter Höhe. In der Folge begann die Gegend sich aufgrund der Abwanderung der weißen Bevölkerung und der Stilllegung von Betrieben zu verändern. Die ehemalige Heimat der Bushs zog nun Drogendealer, Hausbesetzer und Prostituierte an – und Compton verwandelte sich in eine der gefährlichsten Städte des Landes.

Jeder in Los Angeles, der sich während der frühen Jahre der Regierung Reagan nach einem billigen Rauschzustand sehnte, musste nur dem riesigen Drogenumschlagplatz namens The Track in South Central, der sich in der 81st Street zwischen Hoover und Vermont befand, einen Besuch abstatten. Vor allem die Shermans waren zunächst beliebt als billige Methode, um sich zuzudröhnen, bevor sie von Crack abgelöst wurden. Wenn man Crack schnupfte, bekam man davon relativ schnell Nasenbluten – allerdings konnte man es den ganzen Tag lang rauchen und immer noch Bock auf mehr haben. „Du konntest mitverfolgen, wie sich respektable Männer in Crackheads verwandelten“, sagte Ice Cube. „Du konntest beobachten, wie sich die Krankenschwester mit Familie, die in derselben Straße lebte, in eine ‚Strawberry‘, eine Erdbeere, verwandelte.“ Damit meinte er eine Frau, die ihren Körper verkaufte, um die Droge beschaffen zu können.

Die Preise für Crack, ursprünglich bekannt unter dem Namen „Ready-Rock“, da es mit Backpulver aufgekocht war und man es sofort rauchen konnte, waren anfangs noch ziemlich hoch. Allerdings änderte sich das aufgrund der Bemühungen von Dealern wie Freeway Rick Ross aus South Central. Er schickte Typen auf Mopeds los, um den Stoff überall in der Gegend auszuliefern. Mitte der Achtzigerjahre verschob er auf diese Weise buchstäblich Tonnen von Kokain.

Marvin Kincy wurde Augenzeuge der Auswirkungen, die Crack auf Compton hatte. Er war jedenfalls fassungslos, als er eines Tages ein prominentes Mitglied der Gemeinde, einen Bankier und Inhaber einer Autowaschanlage, einen Einkaufswagen die Straße entlang schieben sah. „Er hatte sein ganzes Imperium in Rauch aufgehen lassen.“

Den Crack-Konsumenten war auch nicht bewusst, dass sie dabei halfen, einen Krieg in Mittelamerika zu finanzieren. Einer von Ross’ nicaraguanischen Lieferanten, Oscar Danilo Blandon, stand nämlich unter dem Schutz der CIA, da er mit seinen Profiten die Contra-Rebellen in seiner Heimat unterstützte, deren Ziel es war, die linksgerichtete Sandinista-Regierung zu stürzen. Die Regierung Reagan unterstützte die Rebellen ebenfalls und finanzierte sie durch Waffenverkäufe an den Iran, was schließlich im Rahmen des Iran-Contra-Skandals ans Licht kommen sollte. Blandon wurde schließlich verhaftet, arbeitete fortan verdeckt für die US-Regierung und half dabei, Rick Ross dingfest zu machen, der daraufhin für 13 Jahre hinter Gitter musste.

1989 veröffentlichte der Senatsausschuss für Auswärtige Beziehungen unter Führung von John Kerry, der damals seine erste Amtszeit als Senator von Massachusetts absolvierte, einen Report, der zu dem Schluss gelangte, hochrangige US-Politiker seien „nicht gegen die Vorstellung immun, dass Drogengelder die perfekte Lösung für die Finanzierungsprobleme der Contras darstellten“. Die CIA mag zwar nicht direkt Crack in die Stadtgebiete geliefert haben, wie manchmal behauptet wird, doch scheint sie mitunter beide Augen zugedrückt zu haben, solange es ihren geopolitischen Zielen nützte.

In der Zeit vor der Crack-Ära war Gang-Kriminalität kein besonders profitables Geschäft. Allerdings erkannten ihre Mitglieder schon bald, wie viel Geld sich mit den Drogen machen ließe. „Plötzlich hieß es: ‚Ich kann mir tolle Autos, ein Haus und coole Klamotten leisten‘“, sagt Freeway Rick Ross. „Deshalb stiegen sie ins Geschäft ein.“ Ein Zeitlang tappte die Polizei im Dunkeln. Sie suchten bei ihren Razzien nicht nach Kokain, sondern nach PCP. Aber 1986 wurden verpflichtende Mindeststrafen festgelegt – und der Besitz von Crack wurde dabei viel schärfer geahndet als jener von Kokain. Schwarze dröhnten sich nicht mehr zu als Weiße, doch war es für die Polizei viel leichter, eine Gruppe von Dealern an der Straßenecke einzukassieren als eine Haustür in Beverly Hills einzutreten.

Die Polizei von L.A. ging äußerst brutal gegen das aufkommende Bandenwesen, den Drogenmissbrauch und Gewaltverbrechen vor. Die CRASH-Einheit des LAPD – CRASH stand dabei für „Community Resources Against Street Hoodlums“ – begab sich unter dem Codenamen „Operation Hammer“ in South Central auf einen weitreichenden Kreuzzug, in dessen Verlauf tausende angebliche Gang-Mitglieder verhaftet wurden. Viele davon waren jedoch, wie sich herausstellte, absolut unschuldig. Die CRASH-Polizisten trugen nicht selten eine Extra-Knarre oder etwas Dope bei sich, um es gegebenenfalls einem Verdächtigen unterzuschieben. „Sie schlucken den Stoff runter oder werfen ihn schnell weg, also verprügeln wir sie und stecken ihnen unseres zu“, gestand einer. „Sie verstoßen gegen das Gesetz, verkaufen Drogen, also warum sollten wir ihnen Respekt schulden? Das war falsch, aber so dachten wir nun mal.“ Im Januar 1988 wurde eine 27-jährige Frau namens Karen Toshima in Westwood Village getötet, als sie versehentlich ins Kreuzfeuer zweier rivalisierender Gangs geriet. Obwohl Gang-Morde nichts Neues waren, beschlossen Bürgermeister Tom Bradley und der Stadtrat als Reaktion auf Toshimas Tötung, die in einem begüterten Viertel passiert war, Millionen von Dollar für zusätzliche Patrouillen locker zu machen.

Präsident Reagan erklärte 1982 seinen „War on Drugs“ und der Chef der Polizei von Los Angeles, Daryl Gates, ging besonders hart gegen Drogenkonsumenten vor. 1990 erklärte er vor einem Senatsausschuss, dass auch diejenigen, „die sich gelegentlich Pot reinpfeifen“, am besten „vor die Türe gebracht und abgeknallt werden sollten“. Ein besonders drastisches Instrument, das Gates einsetzte, war die Batterram, ein sechs Tonnen schwerer gepanzerter Rammbock, der mit einem über vier Meter langen Stahlarm ausgestattet war, mit dem die Türen von Häusern plattgemacht wurden, in denen man Crackhöhlen vermutete. Dieses Gerät inspirierte auch den gleichnamigen Hit des Comptoner Rappers Toddy Tee, den der junge Dr. Dre produzierte.

Im April 1989 schlüpfte die frisch als First-Lady abgelöste Nancy Reagan, die nun mit ihrem Ronald in Bel Air residierte, in Tennisschuhe und eine Windjacke der LAPD, um der Razzia in einem mutmaßlichen Drogenhaus in South Central, nahe Main Street Ecke 51st, beizuwohnen. An der Seite von Chief Gates beobachtete sie, wie ein SWAT-Team sich seinen Weg bahnte. Reagan, die den Slogan „Just Say No“ geprägt hatte, erklärte, dass sie das spärlich eingerichtete Haus als „sehr deprimierend“ empfand. Ebenso deprimierend war vermutlich der Umstand, dass zwar nur eineinhalb Gramm Crack sichergestellt werden konnten, aber dafür immerhin 14 Leute festgenommen wurden. Die Medien berichteten, dass noch im selben Jahr eine Drogenentzugsklinik im San Fernando Valley, die Nancy Reagans Namen tragen würde, eröffnet werden sollte. Allerdings sollte es nie dazu kommen, da Reagan im Sommer dem Projekt ihre Unterstützung entzog, wodurch Spendengelder in Höhe von fünf Millionen Dollar in den Sand gesetzt wurden. Ihr Sprecher erklärte gegenüber der Los Angeles Times, dass sie sich schlicht zu viel aufgehalst hätte.

Die meisten Bürger von South Los Angeles fürchteten die Cops nicht weniger als die Kriminellen. Greg Mack vom Hip-Hop-Radiosender KDAY berichtet etwa von Pistolenschüssen, die so regelmäßig zu hören waren wie die „Ghetto-Birds“ – Hubschrauber, die über seinem Zuhause in South Central kreisten, um nach Übeltätern zu fahnden. „Da meine damalige Frau eine Latina war, wurden wir ständig angehalten“, erinnert sich Mack, der selbst schwarz ist. „Sie dachten immer, ich würde Übles im Schilde führen, beziehungsweise dass ich vermutlich ein Zuhälter sei, weil ich mit einem Mädchen unterwegs war, das einen anderen ethnischen Hintergrund hatte.“

„Sie schossen Leuten in den Rücken“, weiß MC Ren zu berichten. „Sie traten einem für nichts in den Arsch.“ Fast jeder schwarze Mann aus L.A., den ich für dieses Buch interviewt habe, hat solche Geschichten auf Lager – Verkehrskontrollen wegen Lappalien oder aus reiner Willkür, Erniedrigungen, unfaire Verhaftungen. Es gehörte einfach zum Leben dazu.

Inmitten dieses Chaos’ entstand die Hip-Hop-Szene von Los Angeles. Die Musik selbst war warm und einladend, zumindest oberflächlich betrachtet. Lokale MCs rappten zu sanften, tanzbaren Beats. In den Clubs und auf Hauspartys spielten DJs die Platten von Rappern aus New York. Aus den Nissans und VW-Käfern der Mitglieder von Auto-Clubs dröhnten Mixtapes. Breakdancer aus Venice Beach vollführten Kunststücke auf Kartonunterlagen. Und manche Drogendealer investierten ihre Profite in lokale Könner wie den Hip-Hop-Titan Mixmaster Spade, der das DJ-Handwerk während seiner Schulzeit in New York gelernt hatte und nach L.A. zurückgekehrt war, um ortsansässige Nachwuchstalente wie King Tee, Toddy Tee, Coolio und DJ Pooh zu fördern – zumindest bis 1987, als er nach einer Schießerei mit der Polizei verhaftet wurde, nachdem diese eine gigantische Menge PCP bei ihm zu Hause gefunden hatte.

Eine Hip-Hop-Show, die im Sommer zuvor in der Long Beach Arena stattgefunden hatte, war im Chaos versunken. Die Headliner Run-DMC waren um ihren Auftritt gebracht worden, als eine Prügelei ausgebrochen war. KDAY-Programmgestalter Greg Mack hatte von der Bühne aus gesehen, wie ein Mann von einem der Balkone geschubst wurde, was der aber irgendwie überlebte. Angreifer hatten abgebrochene Tischbeine zu Waffen umfunktioniert und jungen Mädchen die Ketten vom Hals gerissen. Die Sicherheitskräfte waren überfordert gewesen und Dutzende hatten sich Blessuren eingehandelt.

„Es war ein Rassenkonflikt“, erzählte der populäre DJ Rodger Clayton, der die Show promotet hatte und selbst vor Ort gewesen war. „Die Long Beach Insanes hatten einem mexikanischen Mädchen ihre Handtasche geklaut und ein paar Mexikaner brachen in die Besenkammer ein, bewaffneten sich und mischten die Long Beach Insanes auf. Sie verprügelten sie mit Besenstielen und scharfkantigen Stöcken. Dann taten sich alle schwarzen Gangs zusammen und fingen an, alle mexikanischen und weißen Jungs zu verdreschen. Sie warfen sie aus dem ersten Obergeschoss, traten ihnen in den Arsch, einfach alles.“

„Manche Kritiker wie die Kreuzritterin in den Reihen des Parents Music Resource Centers, Tipper Gore“, schrieb das People-Magazine, „glauben, dass Rap-Musik eine unterschwellige Botschaft verbreite – dass es in Ordnung sei, Leute zu verprügeln.“

Aber die Wirklichkeit war komplizierter. Für viele Kids stellte Rap einen Ausweg dar, einen konstruktiven Ansatz, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Der Performer Alonzo Williams entkam etwa einer brenzligen Situation, gerade weil er DJ war. „Ich war in East L.A. und trat bei einer Gartenparty auf, wo sich zwei Latino-Gangs in die Wolle gerieten“, erzählt er. „Allerdings legten sie eine Auszeit ein: ‚Lasst den DJ nachhause fahren, er hat nichts mit dem Scheiß hier zu tun!‘ Beide Gangs halfen mir daraufhin, meine Ausrüstung auf meinen Truck zu laden.“