Der neue Landdoktor 41 – Ein böses Omen?

Der neue Landdoktor –41–

Ein böses Omen?

Blinde Eifersucht war im Spiel

Tessa Hofreiter

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-699-2

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Es war kurz vor Mitternacht, als Anna Bergmann, Miriam Holzer und Bärbel Läutner, die Sekretärin des Bürgermeisters, die Konditorei Höfner verließen. Sie waren gut gelaunt, hatten sie doch gerade einen fröhlichen Abend mit den Damen der Bergmoosbacher Pilates Gruppe verbracht und auf Bärbels fünfundzwanzigsten Geburtstag angestoßen.

»Jetzt bin ich ein Vierteljahrhundert alt, das klingt schon ziemlich betagt«, seufzte Bärbel. »Ihr müsst mich ein bisschen stützen«, sagte sie und hakte sich bei Anna und Miriam unter, während sie über den Marktplatz mit seinem alten Kopfsteinpflaster liefen.

»Könnte es sein, dass du ein Glas Prosecco zu viel getrunken hast?«, fragte Anna schmunzelnd.

»Ein bisschen schwindlig ist mir schon, vielleicht hätte ich doch ein paar von den Schnittchen essen sollen, die Corinna auf den Tisch gestellt hat.«

»Ja, das hättest du tun sollen«, sagte Miriam amüsiert.

»Wartet, das kann nicht sein. Das ist doch unmöglich. Könnte mich mal jemand kneifen?«

»Warum? Was hast du?«, fragte Miriam.

»Hört ihr etwas?«

»Ja, meine Schuhe«, antwortete Miriam, die keine flachen Ballerinas wie ihre Begleiterinnen trug, sondern High Heels, deren Absätze auf dem Pflaster widerhallten.

»Nein, ich meine nicht deine Schuhe.«

»Sonst höre ich aber nichts.«

»Das ist es ja eben. Die Rathausuhr – sie müsste doch um Mitternacht schlagen«, flüsterte Bärbel und starrte wie gebannt auf die Uhr am Turm des Rathauses, deren vergoldete Zeiger um Mitternacht stehengeblieben waren.

»O Gott«, murmelte Miriam und folgte Bärbels Blick.

»Die Uhr ist stehengeblieben, das ist doch kein Drama«, sagte Anna, als die beiden ganz entsetzt dreinschauten.

»Du wohnst erst seit drei Jahren hier, du kannst es nicht wissen«, flüsterte Miriam, die Erbin des Sägewerks, die genau wie Bärbel zu einer der alteingesessenen Bergmoosbacher Familien gehörte.

»Was kann ich nicht wissen?«, fragte Anna

»Diese Uhr ist bisher erst einmal stehengeblieben und zwar auf den Tag genau vor achtzig Jahren. Deshalb hätten meine Eltern es auch gern gesehen, wenn ich mir mit meiner Geburt noch einen Tag länger Zeit gelassen hätte«, antwortete ihr Bärbel.

»Ich sehe keinen Grund zur Panik, ehrlich nicht. Diese Uhr hat über viele Jahre hinweg problemlos funktioniert und lässt sich bestimmt auch noch einmal reparieren.« Anna fragte sich, was mit den beiden plötzlich los war.

»Damals vor achtzig Jahren blieb sie auch um Mitternacht stehen, und in der Nacht darauf erlebte Bergmoosbach ein Jahrhundertunwetter. Der Bach und der See traten über die Ufer, und das ganze Dorf stand unter Wasser. Viele Familien haben ihr Hab und Gut verloren«, erzählte Miriam.

»Die beiden Ereignisse müssen doch nichts miteinander zu tun haben«, entgegnete Anna, die nun auch auf die Uhr am Rathausturm schaute.

»Die Bergmoosbacher glaubten damals, dass die Uhr nur deshalb stehenblieb, um sie zu warnen. Die Angst, diese Uhr könnte erneut stehenbleiben, ist in unserer Geschichte tief verwurzelt«, klärte Miriam Anna auf.

»Warum habe ich dann noch nie davon gehört?« Als niedergelassene Hebamme war sie viel in der Gegend unterwegs und kannte schon einige der alten Dorfgeschichten. Von diesem Ereignis aber hatte noch nie jemand gesprochen.

»Ein schlechtes Omen bleibt besser unerwähnt.«

»Ich denke, dass die Jüngeren von dieser Geschichte auch nichts mehr wissen. Im Sitzungssaal im Rathaus allerdings hängt ein Gemälde, das das überflutete Bergmoosbach darstellt. Ich habe es immer vor Augen, wenn ich die Treffen des Gemeinderates vorbereite«, sagte Bärbel.

»Und ich habe es während der Sitzungen ständig im Blick«, erzählte Miriam, die zum Gemeinderat gehörte.

»Also gut, es mag ja einige Bergmoosbacher geben, die heute mit einem mulmigen Gefühl zur Uhr hinaufschauen werden. Aber ihr beide glaubt doch nicht wirklich, dass dieses Ereignis ein schlechtes Omen ist. Oder?«

Anna schaute die beiden jungen Frauen abwartend an.

Die kleine zierliche Bärbel, die ihr hellblondes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, trug ein rotweiß gepunktetes Minikleid und wirkte kein bisschen angestaubt. Und Miriam in ihrem weißen Leinenkleid war das Sinnbild der mondänen Schönheit, gertenschlank und mit wallenden blonden Locken. Beide hatten bisher nicht den Eindruck auf sie gemacht, als würden sie sich von alten Geschichten Angst einjagen lassen.

»Doch, es ist unheimlich«, flüsterte Miriam und setzte sich auf den Rand des alten Steinbrunnens, dem Mittelpunkt des Marktplatzes.

»Damals soll der Vollmond genau über dem Rathausturm gestanden haben. So wie jetzt«, flüsterte Bärbel, die sich neben Miriam auf den Brunnenrand gesetzt hatte.

»Hört auf, ihr zwei, sonst steckt ihr mich noch mit eurer Angst an.« Anna setzte sich neben Bärbel auf den Brunnen und schaute an den nächtlichen Himmel.

Wie immer in klaren Nächten wölbte sich die Milchstraße in einem großen Bogen über dem Dorf, und die kahlen Gipfel der Berge ragten vom Mondlicht angestrahlt an das tiefschwarze Firmament.

»Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die lassen sich einfach nicht erklären«, sagte Miriam leise, als eine Gruppe Fledermäuse über den Turm des Rathauses hinwegflatterte und gleich darauf in der Dunkelheit verschwand.

»Dieses Ereignis lässt sich erklären. Die Uhr muss gewartet werden, das ist alles.«

»Die Leute sagen, dass die Uhr damals erstarrt ist, weil sie das Unglück hat kommen sehen.«

»Bärbel, bitte, hört mit dem Unsinn auf.« Anna konnte einfach nicht fassen, wie die beiden sich gerade aufführten.

Sie saßen auf dem Brunnenrand, hielten sich wie zwei verstörte Kinder an den Händen und lauschten in die Stille hinein.

»Was macht ihr hier?«, unterbrach eine Stimme die Stille.

»Musst du dich so anschleichen?« Miriam fuhr herum, als sie plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter spürte.

»Tut mir leid, ich wollte euch nicht erschrecken«, entschuldigte sich Corinna von Meiring. Ihrer Familie gehörten die Bäckerei und das Café mit der Konditorei. Als Mitglied der Pilatesgruppe sorgte sie dafür, dass das gemütliche Café für ihre privaten Zusammenkünfte immer zur Verfügung stand.

»Die Uhr ist stehengeblieben«, sagte Bärbel, ohne ihren Blick vom Rathausturm abzuwenden.

»O Gott«, murmelte Corinna und hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund.

»Bitte, Corinna, du wirst doch nicht auch an ein böses Omen glauben«, stöhnte Anna und schüttelte den Kopf.

»Meine Familie hat damals bei dem Unwetter beinahe ihre Existenz verloren. In der Bäckerei stand das Wasser über einen Meter hoch. Das ganze Haus musste saniert werden«, erzählte Corinna.

»Hochwasser gibt es ständig irgendwo auf der Welt. Das hat mit einer stehengebliebenen Uhr absolut nichts zu tun.«

»Es werden noch andere Dinge geschehen, wenn es so kommt wie damals. Du musst aufpassen, Anna, es kann jeden im Dorf treffen«, flüsterte Bärbel.

»Wisst ihr was, ich gehe jetzt ganz schnell nach Hause. Ihr werdet mir alle ein bisschen unheimlich«, sagte Anna.

»Wir sollten besser alle gehen. Was haltet ihr davon, wenn ich euch nach Hause fahre?«, schlug Corinna vor, die seit ihrer Hochzeit mit Andreas von Meiring auf dem Gut der Meirings außerhalb von Bergmoosbach wohnte und stets mit dem Auto unterwegs war.

»Ja, sehr gern. Ich habe jetzt überhaupt keine Lust, allein durch die Dunkelheit zu laufen«, sagte Miriam, die nur etwa fünf Minuten zu Fuß vom Marktplatz entfernt wohnte.

Auch Bärbel schloss sich Corinna an, obwohl ihr Heimweg auch nicht länger war und sich in Bergmoosbach niemand auf der Straße fürchten musste, auch nicht in der Nacht. Ein lauter Schrei und die Bergmoosbacher würden aus den Häusern stürmen und jeden vertreiben, der etwas Böses im Schilde führte. Dass sich die Leute im Dorf nun vor einer stehengebliebenen Uhr fürchten sollten, erschien Anna merkwürdig. Sie war daher zuversichtlich, dass das Ereignis, sobald es hell wurde, seinen Schrecken verlor und auch die jungen Frauen, die sich gerade so entsetzt zeigten, über sich selbst schmunzeln würden.

Nachdem Anna sich von den dreien verabschiedet hatte, lief sie über den Marktplatz, überquerte die Straße und eilte zum Seiteneingang des Hauses mit der Apotheke im Erdgeschoss. Im ersten Stock darüber hatte sie ihre Praxis, und ihre Wohnung lag im Dachgeschoss. Ich werde mich doch nicht von ihrem Aberglauben anstecken lassen, dachte sie, als sie gleich darauf die Treppen hinaufrannte, so als fühlte sie sich von jemandem verfolgt. Oben angekommen ging sie zum Fenster in ihrem Schlafzimmer. Von dort konnte sie auf den Turm des Rathauses blicken. Die Zeiger der Uhr standen noch immer auf Mitternacht.

*

Am nächsten Morgen herrschte große Aufregung in Bergmoosbach. Schon seit dem frühen Morgen war die Rathausuhr das beherrschende Thema. Vor der Bäckerei Höfner waren einige Damen des Landfrauenvereins aufeinander getroffen, die alle recht besorgt aussahen.

»Das mit der Uhr muss schnellstens in Ordnung gebracht werden.« Therese Kornhuber, die erste Vorsitzende, eine große stattliche Frau im taubenblauen Dirndl, richtete ihren Blick auf den Turm des Rathauses.

»Meinst du, damit ist das Unglück abgewehrt?«, fragte Elvira Draxler, die zweite Vorsitzende, eine hagere Frau im grauen Dirndl, die neben Therese stand und die vergoldeten Zeiger der Rathausuhr beobachtete, so als hoffte sie darauf, dass sie sich gleich wieder bewegten.

»Wenn es einmal ausgerufen ist, dann ist es nicht aufzuhalten«, erklärte eine kleine pummelige Frau, die in ihrem roten Dirndl noch rundlicher aussah.

»Unsinn, Gunhild, sobald die Uhr wieder geht, vertreibt sie das Unglück«, widersprach Therese der Kassenwartin der Landfrauen.

»Angesagt ist angesagt«, murmelte Gunhild Blissing, deren Familie seit fünf Generationen einen Aussiedlerhof in der Gemeinde Bergmoosbach bewirtschaftete.

»Gibt’s jemanden, den wir kontaktieren können?«, wollte Simone Windfang, die Kosmetikerin aus dem Hotel Sonnenblick, wissen, die mit einem Schokocroissant in der Hand aus der Bäckerei gekommen war und gehörte hatte, was Gunhild gesagt hatte.

»Vielleicht den Wetterdienst, ob sich ein Unwetter ankündigt«, schlug Therese vor.

»Geh, ich mein natürlich jemanden, der mehr weiß als der Wetterdienst«, entgegnete Simone mit leuchtenden Augen und sah Gunhild an.

»Du denkst an eine Séance?«, flüsterte Irene Süßmann, eine schlanke Mittfünfzigerin in Jeans und Strickpullover.

»Wie sollen wir denn sonst herausfinden, was auf uns zukommt? Was ist, können wir mit jemandem sprechen?«, wandte sich Simone wieder an Gunhild.

»Ich weiß nicht«, gab sich Gunhild zögerlich.

»Kann mir bitte jemand helfen!«

»Mei, Luzie, was ist denn?« Therese reagierte als erste und lief zu der hochschwangeren Frau, die nur wenige Meter neben ihnen auf das Kopfsteinpflaster gestürzt war.

Die Bäckertüte, die sie wohl kurz zuvor noch in der Hand gehalten hatte, war auf den Boden gefallen. Die zutraulichen Meisen, die sich stets auf der Kastanie vor der Bäckerei aufhielten, machten sich bereits über die verstreut herumliegenden Brötchen her.

»Ist dir schwindlig geworden?« Therese ging neben der jungen Frau in die Hocke.

»Nein, gar nicht, ich habe nur kurz zur Uhr hinaufgeschaut. Als ich weitergehen wollte, bin ich gestolpert«, erzählte Luzie. Mit angstvoll aufgerissenen Augen fasste sie sich an den Bauch, der sich unter dem hellen Baumwollkleid wölbte.

»Hast du Schmerzen?«, erkundigte sich Therese und half der jungen Frau, sich aufzurichten.

»Ich spüre ein heftiges Ziehen im Rücken und im Bauch. Es wird doch hoffentlich nichts mit dem Baby sein.« Luzie, die erst einmal auf dem Kopfsteinpflaster sitzen blieb, blickte in die besorgten Gesichter der anderen Landfrauen, die sich nun alle um sie herum versammelt hatten.

»Nicht aufregen, es wird alles gut«, beruhigte Therese die werdende Mutter.

»Ich hole Anna!«, hörten sie Corinna rufen, die auch nach ihrer Heirat mit Andreas von Meiring noch jeden zweiten Vormittag hinter der Ladentheke der Bäckerei stand.

»Ich glaube, das sind Wehen.« Luzie fasste sich mit beiden Händen an den Bauch, als ihr plötzlich der Schweiß auf die Stirn trat.

»Schön gleichmäßig atmen«, sagte Therese und betupfte Luzies Stirn mit einem sauberen Stofftaschentuch.

»Sie wird das Baby doch nicht etwa hier auf dem Marktplatz zur Welt bringen«, sprach Simone aus, was ihr gerade durch den Kopf ging.